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"Wagner ist ohne Zweifel einer meiner Lieblingskomponisten geworden"
Evelyn Krahe ließ ihre Stimme von der Opernsängerin Diane Pilcher ausbilden; Meisterkurse bei Brigitte Fassbaender sowie Claudia Eder folgten. Nach einer Festanstellung im Opernchor des Theaters Stralsund, darauf folgend am Theater Bonn, arbeitete sie zunächst freiberuflich. Seit Beginn der Spielzeit 2008/2009 ist Evelyn Krahe Ensemblemitglied am Landestheater Detmold. In dem
Detmolder Ring-Zyklus, der im September 2009 mit der Götterdämmerung abgeschlossen wurde, war sie als Erda, Flosshilde, 1. Norn, Waltraute und Grimgerde zu hören.
opernnetz: Frau Krahe, Sie sind seit der Spielzeit 2008/2009 als Solistin fest engagiert am Landestheater Detmold. Was ist das Besondere an einer Bühne zu singen, die nicht nur ihr „Stammhaus“ bespielt, sondern reisend Kultur multipliziert?
Evelyn Krahe: Unser Landestheater gilt ja als „größte Reisebühne“ Europas; etwa die Hälfte der Vorstellungen werden an Bühnen in der näheren und weiteren Umgebung gespielt. Das bringt unter anderem mit sich, dass unser Ensemble zeitlich und räumlich intensiver miteinander zu tun hat, da wir einige Stunden in Bussen verbringen und uns oftmals an räumlich beengteren Abstecherorten mit mehreren Solisten die Garderoben teilen müssen. Die Atmosphäre ist dadurch aber – das bekommen wir auch immer wieder rückgemeldet von Kollegen/Kolleginnen anderer Theater, die z. B. bei uns einspringen – familiärer als in anderen Häusern.
Auch wenn es manchmal stressig ist, nach einer langen Busfahrt eine anspruchsvolle Partie auf einer fremden Bühne mit anderen akustischen und räumlichen Bedingungen zu singen, glaube ich, dass man sich dennoch künstlerisch und menschlich sehr weiterentwickeln kann: Künstlerisch, da man jederzeit sehr aufmerksam sein muss und sich nicht so sehr auf die Routine verlassen kann, wie wenn man immer unter den gleichen Bedingungen arbeitet. Menschlich, weil man die Arbeit der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen sämtlicher Abteilungen – sei es Maske, Technik, Requisite – viel direkter mitbekommt und (vielleicht auch daher mehr?) schätzen lernt.
Gerade das, was „hinter den Kulissen“ läuft, die gesamte Organisation des Spielbetriebs muss extrem gut geplant werden; auch hat sicherlich die Tatsache, dass die Produktionen vom Landestheater letztendlich verkauft werden müssen, einen gewissen Einfluss auf die Spielplangestaltung.
Daher finde ich es wunderbar, dass die Bedeutung der Landestheater für die Theaterlandschaft Deutschland erst kürzlich mit der Verleihung des Theaterpreis Faust herausgestellt worden ist.
opernnetz: Detmold hat gerade Wagners Ring gestemmt - Erda, Flosshilde, Waltraute, 1. Norn, Grimgerde... all diese Partien haben Sie gesungen. Ist Wagner Ihr Lieblingskomponist (geworden)? Und: welche Partien stehen demnächst an?
Evelyn Krahe: In Wagners Musik – insbesondere im Ring - gibt es zahlreiche Momente, die mich tief berühren; in denen für mich die ganze Tiefe und Zerbrechlichkeit des Menschseins abgebildet sind. Bei Wotans Schlussgesang in der Walküre, dem Trauermarsch und der Schlussszene der Götterdämmerung, nur um wenige zu nennen, wird für mich immer wieder begreifbar, dass Musik ein Grundbedürfnis im Menschen ist, welches durch nichts zu ersetzen wäre.
Daher war es natürlich großartig für mich, dass ich so tief in diese Musik eintauchen, an so vielen verschiedenen Partien im Ring arbeiten konnte. Wagner ist ohne Zweifel einer meiner Lieblingskomponisten geworden.
Meine nächste Fachpartie wird die Hexe Jezibaba in Dvořáks Rusalka sein. Und hier gibt es ja auch wiederum einen Bezug zu Wagner, da Dvořák ja diese Oper nach dem Vorbild der Musikdramen Wagners komponierte. Ich freue mich sehr auf diese Rolle, auch weil sie sängerisch ziemlich anspruchsvoll ist: Es gibt zahlreiche gewaltige Intervallsprünge bei einem Ambitus von mehr als zwei Oktaven – da bin ich froh (als in diesem Fach noch junge Sängerin), auf die Erfahrung anderer dramatischer Fachpartien wie zum Beispiel die Waltraute zurückgreifen zu können.
Vor dieser Produktion steht aber noch die Premiere vom Wirtshaus im Spessart an, in der ich als „Franziska Comtesse von und zu Sandau“ zum ersten Mal in einer großen Rolle in einem Musical zu erleben bin. (Anmerkung der Redaktion: hier handelt es sich um die 1977 entstandene Musical-Fassung des populären Films aus den 50er Jahren u. a. mit Liselotte Pulver). In Operetten und Musicals ist man in meinem Fach ja eher selten in einer Hauptrolle besetzt, und umso mehr freue ich mich auf die Gelegenheit, schwerpunktmäßig einmal anders, zum Beispiel an Dialogen arbeiten zu können.
opernnetz: Sie verbringen seit dem Jahr 2007 regelmäßig im Sommer einige Wochen als Solistin bei der Festival Opera in Longborough, einem Ort rund neunzig Meilen nordwestlich von London. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht – und was macht einen Festivalcharakter im Vergleich zum „normalen“ Saisonbetrieb aus?
Evelyn Krahe: Longborough war für mich der Anfang meiner Karriere als Solistin; wahrscheinlich sogar die Voraussetzung: Als ich mich damals um ein Vorsingen dort beworben hatte, war ich noch fest angestellt im Bonner Opernchor und versuchte, den „Absprung“ als Solistin zu schaffen. Meine Bewerbungen für Vorsingen an Opernhäusern oder deutschen Festivals blieben – damals hatte ich noch keine Agentur – sämtlich ohne Antwort. Mehr aus Zufall entdeckte ich im Internet dieses Festival und bewarb mich für ein Vorsingen. Ich wurde eingeladen, sang vor, und man bot mir an, im Rheingold die Partien Floßhilde und Erda zu singen. Erst als ich dann zu den Proben kam, wurde mir nach und nach bewusst, was für ein unbeschreibliches Glück ich gehabt hatte: Der musikalische Leiter Anthony Negus hatte viele Jahre dem bedeutenden Wagner-Dirigenten Reginald Goodal assistiert und sich mittlerweile selbst den Ruf eines Wagner-Spezialisten erarbeitet. Ich als absolute Wagner-Debütantin konnte von dem Wissen eines so erfahrenen Dirigenten profitieren.
Die musikalisch-künstlerische Arbeit für das Festival bewegt sich auf einem sehr hohen Niveau - was besonders bemerkenswert ist, wenn man die Arbeitsbedingungen berücksichtigt: Die Bühne ist sehr klein und die technischen Möglichkeiten sind beschränkt, es gibt keine Einsingräume, für die Maske ist man mehr oder weniger selbst verantwortlich und eine Kantine gibt es auch nicht.
Aber Longborough ist auch nicht als normaler Opernbetrieb sondern als Festival konzipiert, und ein wenig entschädigt wird man durch die wunderschöne Landschaft, inmitten dieser das Opernhaus liegt. Selbst unter Engländern gilt Longborough als sehr exzentrischer Ort: Zu den Vorstellungen rollen Rolls Royce mit Chauffeur an oder es fliegen sogar Hubschrauber ein, und stilecht wird vor der Vorstellung und in der Pause auf dem Rasen gepicknickt.
(Die Fragen stellten Christoph Schulte im Walde und Thomas Hilgemeier)
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