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Toleranz, Gewalt, Extremismus in der Zivilgesellschaft
Der Überfall bekannter rechtsradikaler Schläger auf Halberstädter Schauspieler hat die kulturelle Szene aufgeweckt: Die als selbstverständlich begriffene „Zivilgesellschaft“ ist offenbar gefährdeter, als es bislang in Kreisen Kulturschaffender zur Kenntnis genommen wurde.
Opernnetz: Am 9. Juni 2008 wird es im Theater Halberstadt eine Diskussionsveranstaltung anlässlich des Jahrestags des Überfalls auf Schauspieler des Theaters Halberstadt geben. Welche Auswirkungen hatte dieser Zivilisationsbruch auf das Theater Halberstadt – auf die Opfer, auf das Ensemble, auf das Publikum?
André Bücker: Dieser Überfall hatte vielfältige Auswirkungen, extrem negative, aber auch durchaus positive und zur Hoffnung Anlass gebende. Negativ ist die Kündigung von zwei Tänzern, die direkt Opfer dieser Gewalttat wurden. Die beiden lieben ihren Job und auch das Theater, wollen aber keinesfalls in dieser Stadt bleiben. Dafür kann man nach Lage der Dinge, auch in Bezug auf den Verlauf des Prozesses, nur Verständnis haben. Andere leiden nach wie vor unter den Folgen des Überfalls, haben Angst und sind vor allem von Polizei und Justiz enttäuscht. Das Ensemble ist sicher näher zusammen gerückt, ist sensibler geworden. Die Kollegen achten mehr aufeinander, man bringt sich nach Vorstellungen nach Hause und ich spüre trotz allem ein größeres Selbstbewusstsein, das zum Teil einem gewissen Trotz oder einer „Jetzt-erst-recht“ - Haltung entspringt. Das Publikum hat uns wirklich unterstützt. Mit Briefen, Faxen, Mails und in der persönlichen Ansprache. Es gab beim Publikum ein Bedürfnis, mit uns ins Gespräch zu kommen. Man hatte das Gefühl, die Bürgergesellschaft empfand den Angriff auf ihr Theaterensemble als Angriff auf sich selbst. Man darf doch auch hier einige Stimmen nicht verschweigen, die meinten, wir seien doch selber schuld, wenn wir so spät nachts noch draußen wären, müssten wir uns doch nicht wundern, zusammengeschlagen zu werden.
Im Prozess fühlen sich die Opfer diffamiert und allein gelassen, weil Gericht und Staatsanwaltschaft nur damit beschäftigt sind, sich selbst als unschuldig zu inszenieren, anstatt eine Straftat aufzuklären. Wir empfinden den Prozess als rechtstaatliche Bankrotterklärung.
Opernnetz: „Theater in der Zivilgesellschaft“ ist der Versuch, mit den Mitteln des Theaters die kulturellen Herausforderungen aufzunehmen. Doch das Motto „Republik der Phantasie“ scheint die konkrete Auseinandersetzung mit den Feinden der Zivilgesellschaft ins „Ideelle“ zu verschieben, anstatt den Terror „praktisch“ zu bekämpfen. Was wird inhaltlich zu erwarten sein? Welche Formen theatraler Kommunikation stehen im Vordergrund? Gibt es Unterstützung von Politik, Wirtschaft, Medien und Bevölkerung?
André Bücker: Die Initiative der Theater in Sachsen-Anhalt „Republik der Phantasie“ bündelt die Aktivitäten der Theater, die sich mit Toleranz, Gewalt- und Extremismusprävention und Zivilgesellschaft auseinandersetzen. Die Initiative wird sowohl vom Justiz- und Kultusministerium, wie auch von der Landesregierung unterstützt. Hinzu kommen die Kooperationen mit zahlreichen Kulturinstitutionen, wie z.B. Bibliotheken, Museen und Schulen vor Ort. Wir bemerken bei den Veranstaltungen, die dieses Label tragen, einen verstärkten Zuschauerzuspruch und ein erhöhtes Medieninteresse. Die Wirtschaft hat in Halberstadt unser großes Stadtprojekt „Auf die Plätze“ am 14. September 2007 spontan und großzügig unterstützt. Insgesamt ist es aber schwer, über einen langen Zeitraum die Aufmerksamkeit und Sensibilität für dieses Thema hoch zu halten. Die Aktionen und Projekte müssen aus der „Event“–Aufmerksamkeit in den Alltag überführt werden. Und der Alltag sieht dann bei einigen so aus, dass sie nach dem Motto reagieren: „Jetzt muss doch auch mal gut sein mit dem Nazi-Gerede. Unsere schöne Stadt hat das doch nicht verdient.“ Das Problem im Umgang mit Rechtsextremismus auf lokaler Ebene ist immer noch die Verharmlosung und Gleichsetzung mit Imageschaden. Damit einher geht die Verdrängung der Schäden für die Opfer und der Gefahr für unser demokratisches System.
Opernnetz: Das Nordharzer Städtebundtheater ist mit seinen vielen Spielstätten, seinem thematisch vielfältigen Programm-Angebot und seiner künstlerischen Qualität sicherlich der „kulturelle Identifikations-Faktor“ der Region. Doch was bedeutet das kommunikativ: Welches Publikum erreicht das Theater? Und: Gibt es konkrete Anzeichen für die „Wirkung“ der staunenswerten Arbeit des Theaters?
André Bücker: Das Theater erreicht ein breites Publikum. Von Seniorengruppen in der Operettenvorstellung bis zu den Kindergartengruppen. Da es jedoch keinen nennenswerten Abonnentenstamm gibt, ist jede Inszenierung aufs Neue ein Kampf um die Zuschauer. Das verhindert einerseits Trägheit und Selbstzufriedenheit, ist aber enorm anstrengend. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit besteht auch im Knüpfen von Kontakten zu anderen Kultureinrichtungen und in Kooperationen. Wir haben es geschafft, das Theater als einen kulturellen Knotenpunkt in Stadt und Region zu etablieren. Wir haben Kooperationen mit der Bundeskulturstiftung, der Landeszentrale für politische Bildung, der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik, der Landesmarketingagentur, der Moses Mendelsohn Akademie, der Kurt Weill Foundation in New York und einigen mehr realisiert. Ein weiterer wichtiger Faktor ist unsere Arbeit im Bereich ästhetischer und kultureller Bildung. Wir erreichen über theaterpädagogische Programme mehrere tausend Schüler und Lehrer. Wir haben schriftliche Kooperationsverträge mit Schulen geschlossen. Wir haben ein Kinderballett, einen Kinderchor, einen Jugendklub, ein Schülertheatertreffen und ein Seniorentheater. Wir betreiben seit Jahren die Orchesterwerkstatt für junge Komponisten in Zusammenarbeit mit dem Landesmusikrat. Dort werden in jedem Jahr neun Uraufführungen von jungen Komponisten im Alter zwischen 16 und 21 Jahren präsentiert. Die Wirkung eines Theaters zeigt sich allerdings zumeist erst dann, wenn es nicht mehr da ist. Allzu oft werden die Leistungen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Leichtfertige Spardebatten, dummes Subventionsgerede und die fatale Haushaltslage der Kommunen mit der ihr im Nacken sitzenden Kommunalaufsicht stellen oft Institutionen in Frage, die seit Jahren und Jahrzehnten, gerade in der Provinz, Basisarbeit leisten - für die kulturelle Grundversorgung, die Vermittlung eines künstlerischen Grundverständnisses und für die Vermittlung von Werten. Keine Gastspielbühne kann auch nur ansatzweise den kulturellen Verlust ausgleichen, den die Schließung eines Repertoire- und Ensembletheaters für eine Stadt bedeutet. Die Schauspieler, Sänger, Tänzer und Musiker sind Teil des kulturellen Lebens und somit der Identität einer Stadt. Wenn es ein Zeichen für die Wirkung unserer Arbeit hier vor Ort gibt, so ist es, das diese Auffassung in den verantwortlichen politischen Gremien durchgesetzt scheint.
(Die Fragen stellte Franz R. Stuke)
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