Archiv     Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Gabriele Rech/
Wolfgang Willaschek

Gabriele Rech, geboren in Duisburg, studierte Germanistik und Anglistik an der Ruhruniversität Bochum, assistierte zunächst am Schauspielhaus Neuss, dann am Musiktheater im Revier (u.a. bei Dietrich Hilsdorf, Uwe Eric Laufenberg und Christof Loy). Am Musiktheater inszenierte sie auch die ersten Kinderstücke, es folgten über 45 Operninszenierungen als freischaffende Regisseurin in Deutschland und im Ausland, u.a. in Bielefeld, Gelsenkirchen, Münster, Wiesbaden, Bremen, Oldenburg, Osnabrück, Weimar, Dortmund, Linz, Graz, Antwerpen, Kassel und Mannheim. Für ihre Inszenierung von Madama Butterfly in Gelsenkirchen erhielt sie den Theaterpreis, ihre Zauberflöte in Weimar, die Winterreise in Bielefeld und Hoffmanns Erzählungen in Kassel wurden von der Zeitschrift Opernwelt im Vergleich mit anderen Inszenierungen der Werke zur jeweils Besten gewählt, mehrfach wurden ihre Inszenierungen zur Inszenierung des Jahres vorgeschlagen. Das Osnabrücker Publikum wählte 2008 ihre Inszenierung „Die blutige Nonne“ zur besten des Jahres.

 

Wolfgang Willaschek, geb. 1958 in Treuchtlingen/Mittelfranken; 1978 - 1981 Studium der Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hamburg; 1981-1988 Dramaturg an der Hamburgischen Staatsoper, unter Rolf Liebermann Leitender Dramaturg (1986-1988); 1987-1991 Chefdramaturg der Salzburger Festspiele; 1988 - 1995 freiberuflicher Produktionsdramaturg, u.a. an Opernhäusern in Brüssel, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, München, Zürich, St. Petersburg, San Francisco; 1994/95: Vorbereitung für die Intendanz von Johannes Schaaf an der Hamburgischen Staatsoper, 1995 Absage von Johannes Schaaf; Sommer 1995 - Dezember 1996: Chefdramaturg des Schleswig-Holstein Musik Festivals (Ausscheiden auf eigenen Wunsch); seit 1. Januar 1997: Freischaffender Produktionsdramaturg, Librettist und Autor; seit Sommer 2000: Dramaturgie und Programmplanung für die San Francisco Opera (SFO) unter der Intendanz von Pamela Rosenberg ab Sommer 2002; seit 1985: Lehrbeauftragter für Dramaturgie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg; seit 1987: mehrere Lehrtätigkeiten u.a. an der Hochschule für Gestaltung in Hamburg/Armgardtstraße, Studium Medienbetriebstechnik an der Fachhochschule für Schiffbau Hamburg, Lehrbeauftragter für Dramaturgie im Studiengang Schauspieltheaterregie Hamburg; seit 1999: Lehrbeauftragter für Dramaturgie/Werkanalyse an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin; Regelmäßige Zusammenarbeit u.a. mit den Regisseuren Johannes Schaaf, Nikolaus Lehnhoff, Marco Arturo Marelli, Nicolas Brieger, Herbert Wernicke, Peter Löscher, Gottfried Pilz und Ulrich Heising - Dramaturgien u.a. für Götz Friedrich, Harry Kupfer, Jürgen Flimm, August Everding (Vorbereitung des "Jedermann"-Projekts für die Salzburger Festspiele), John Schlesinger u.a. - Regelmäßige Zusammenarbeit mit John Neumeier am Hamburg Ballett.




 
 

zurück       Leserbrief

Wiederbelebung der Operette?

Rückblick auf die letzten Spielzeiten bundesdeutscher Opernhäuser: da gab es in schöner Regelmäßigkeit – Operetten!! Erblüht dieses Genre zu neuem Leben? Der Eindruck jedenfalls drängt sich auf. Renommierte Regisseurinnen und Regisseure stellen Franz Lehàr auf die Bühne, widmen sich Emmerich Kálmán... so wie Gabriele Rech zuletzt im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Gemeinsam mit Dramaturg Wolfgang Willaschek beantwortet sie die opernnetz-Backstage-Fragen.

opernnetz: Neben Zustimmung signalisierte das Premierenpublikum der Inszenierung Die Herzogin von Chicago auch Unverständnis, ja Ratlosigkeit. Ein Teil des Publikums hat offenbar „museale“ Operette erwartet, die Sie nicht geliefert haben. Was hat Sie bewogen, Kálmáns Herzogin von Chicago zu inszenieren? Und: was haben Sie mit dem Stück gemacht?

Gabriele Rech: Ehrliche Antwort: Es hat mich begeistert, eingenommen, berührt – als ein total toller, kreativer, provokativer, herrlicher Versuch von Kálmán und seinen beiden Autoren, der Operette um 1928 in gleich mehreren Spannungsfeldern zu neuer Wirkung zu verhelfen. Ein Musikkrieg voller Lust und Hintersinn, Eros und Kraft. Mit meinem Team – dem Dramaturgen Wolfgang Willaschek, dem Dirigenten Till Drömann, dem Bühnenbildner Dirk Becker, der Kostümbildnerin Renée Listerdal, der Choreographin Kati Farkas – haben wir da von Anfang an mit und an einem kleinen „Gesamtkunstwerk“, wie es uns die Autoren vorgeben, gearbeitet. Absolut entscheidend für alles Weitere war die Bearbeitung durch Wolfgang Willaschek, der durch seine Texte in Absprache mit mir bereits die Vorgabe gemacht hat, welche Schwerpunkte und welche Erzählweise wir wählen würden. Die Ideen kamen dann aus dem Stück, ganz logisch, ganz sinnbildlich, ganz unterhaltsam „aufklärend“: das Orchester als „Protagonist“ auf die Bühne setzen lassen, die Zusammenfassung in einem Zirkusrund anpeilen, eine Vergegenwärtigung versuchen, aber keine platte Modernisierung des Textes, vor allem eine Spurensicherung in Sachen „Operette“ wagen, ohne dass dies rhetorisch oder gar pädagogisch gerät, dadurch missraten würde. Das ergab, Spur für Spur, eine Art „Traumtheater“, in dem wir Sinnliches und Sinnbilder stets zusammen fügen konnte, mit einem wunderbaren Ensemble, dass unserer akribischen Suche nach „Operette SEIN und Operette SPIELEN“ lustvoll folgte. Das muss ich ja immer wieder neu erzählen, verkünden: Sängerinnen und Sänger lassen sich Gott sei Dank zu nichts zwingen. Ein Regisseur ist kein „Vorgeber“, sondern ein „Erwecker“ und „Mitgeher“. Das waren in diesem Fall besonders tolle Erfahrungen: Nach einer gewissen Zeit ergab sich vieles wie von selbst, weil die Darsteller vorgaben und erweckten. Da musste und durfte ich dann mitgehen. Was das Publikum dann sah oder eben nicht sehen wollte und konnte, müssen sie das Publikum fragen. Und ich habe viele Menschen getroffen, die sich begeistert auf diese sinnlich-sinnbildliche Art bei der Herzogin einließen: Das ist auch ihr Theater, machen sie es mit, gehen sie mit, auch wenn es zunächst Verwunderung beim ihnen hervorruft. Es gab auch andere, die sagten: Wir können der Sache nicht immer folgen, aber wir lassen uns da reinziehen. Auch welche, die sich nicht reinziehen lassen wollten. So haben wir aber im Team, im Haus, im Ensemble gemerkt, was Operette heute kann, nicht „noch“ oder „wieder“ kann, sondern erst recht kann: Totales Musiktheater sein, das wach rüttelt und Menschen auf lustvolle und amüsierende Art und Weise zwingt, sich Spiegelbilder der eigenen Wirklichkeit zuzumuten.

opernnetz: Das Land des Lächelns, Die Czardasfürstin, Der Vetter aus Dingsda... in den letzten zwei, drei Spielzeiten wurden im deutschsprachigen Raum bemerkenswert häufig Operetten auf die Bühne gebracht. Teilen Sie diese Beobachtung? Kann es sein, dass die Operette zurück ist aus der Mottenkiste? Oder ist sie nur ein wieder entdecktes Spielfeld für das Regiefach?

Gabriele Rech: Ehrlich gesagt: Für mich ist dann Operette als die kleine Oper zugleich die feine Oper, bei der ein genauer Blick „hinein“ lohnt. Als Regisseurin muss ich mich ja gerade NICHT mit einem Auf und Ab von Rezeptionsgeschichten aufhalten oder beschäftigen, ich muss einem Stück auf den Zahn fühlen, und dies hat in diesem Fall besondere Freude gemacht und mir einen neuen Horizont eröffnet. Aber eben nicht als typische Operette oder gar „jetzt weiß ich als Regisseurin, wie man Operette inszeniert“. Aber ich weiß jetzt viel besser, wie ernst man die Operette als die „andere“ Oper nehmen kann und muss. Und da gibt es sicherlich in den letzten Jahren viele Macher und Darsteller, die das feststellen und dem Genre zu neuer Beachtung durch andere Betrachtung verhelfen. Vielleicht ist man auch unbelasteter, sich heute nicht gleich mit Haut und Haar auf die Rezeptionsgeschichte dieser Kunstgattung einlassen zu müssen: ob goldene oder silberne Operette, ob Mottenkiste oder „Flotte Kiste“, ob Wirtschaftswunderjahre und Operettenfilme, ob Varietetradition oder Kriegshintergründe, ob Johannes Heesters-Revival oder das Weiße Rössl auf der Reeperbahn. Operette ist vieles, weil „sie“ vieles kann, auch im Stil von „Off-Theater“ und „ganz von unten her“. Die Operette gibt viel her, eben nicht allein als leichtes Genre, sondern als hintersinniges Genre. Und ein bisschen habe ich durch die Arbeit an der Herzogin schon einen Faible für die „Zwischenreichoperetten“ um 1930 bekommen, sei es eben Kálmán oder Abraham oder Künnecke, also Operetten, die einst zugleich kühne Kunstexperimente waren, um raus zu kommen aus dem Schubladendenken, die dem Jazz, der Revue, dem Kabarett Avancen machten und heute machen im Zeitalter der Shows und Events Da gibt es vieles zu entdecken, glaube ich, da muss man eher die Kiste aufmachen und herrliche Schmetterlinge raus fliegen lassen anstelle von Motten.

opernnetz: Geben Sie uns Ihre Einschätzung: Schlummert im Genre Operette ein kritisches künstlerisches Potenzial - gerade in einem gesellschaftlichen Kontext, der gekennzeichnet ist durch zunehmende soziale Spannungen?

Gabriele Rech: Klar, klar, klar, aber allein die Frage klingt mir schon zu rhetorisch, um sie akademisch oder didaktisch zu beantworten. Kritik in der Komödie oder eben in der Operette ist ja per se von hohem Potential, weil da das Lachen als Waffe eingesetzt wird: nicht um plumpe Banalitäten zu erzeugen, sondern um dem Sinn und Unsinn unseres Lebens durch feine Ironie auf die Spur zu kommen. Nehmen sie die Herzogin: Liebes- und Leibeskampf als Kulturstreit, Liebesstreit als Kulturkampf. Wenn das kein gesellschaftlicher Kontext ist und wenn die herrlichen Erfindungen in Sylvarien nicht wunderbare „soziale Spannungen“ wiederspiegeln – was denn sonst, aber eben auf subtile, ironische, sehr anspielungsreiche Art und Weise. Und da donnert es in der Operette zuweilen gewaltig, von „Schlummern“ ist da wenig die Rede. Aber das kritische Potential und die soziale Spannung muss man eben in dem Stück selbst entdecken, es dem dortigen herrlichen Netzwerk aus Geschichte, Wort, Bild, Ton und Gestus entnehmen, dann neu spiegeln. Zumindest mir macht das Spaß. So haben wir das als Team mit der Herzogin von Chicago in Gelsenkirchen am MiR auch versucht: Sinnlichkeiten als Spiegelbilder. Und plötzlich gab es wunderbare Proben, auf denen dann die Darsteller selbst zwischen Rollenspiel und Ich-Sein dieses sozial-menschliche Potential entdeckten, auch mit dem, was da an Schärfe dahintersteckt, wenn es um die eigene Person geht. Das haben sie sich dann erspielt und ausgespielt. Und vielleicht war es auch – so schließt sich der Fragen- und Antwortenkreis nach meinen Erfahrungen – diese Schärfe im Bezug auf das eigene Ich, das da mitten im Singen und Tanzen aufbricht, warum einige Zuschauer verstört waren, weil das viel zu tun hatte mit ihren eigenen Verstörungen, die man nicht immer gerne und gleich wahrhaben will. Zu solcher störenden Kraft zwischen Verstörung und Identität ist die Operette ganz klar fähig. Das habe ich in der Arbeit als wunderbares Potential empfunden.

(Die Fragen stellte opernnetz-Redakteur Christoph Schulte im Walde)

Backstage-Archiv

Opernstudio und Jugendorchester am MiR

Respighi-Entdeckung an der Deutschen Oper Berlin

Grenzüberschreitung Asien - Europa. Der Sänger Xu Chang

Für jeden Gast offen - das Theater Pilsen (Januar 2009)

Stadttheater für Hof und Bayreuth (Januar 2009)

Der schnöde Mammon? (Dezember 2008)

Die Wagner-Festspiele im oberösterreichischen Wels

Schule und Theater

Wolfgang Quetes zum Thema Co-Produktionen (6.5.2008)

Der permanente Kampf um Zuspruch - rund ums Theater Brandenburg (1.4.2008)

"Ohne Melodie geht's nicht" - der Komponist Giselher Klebe im Gespräch. (11.4.2008)

Ulrich Peters blickt zurück und nach vorn (8.4.2008)

André Bücker über Toleranz, Gewalt und Extremismus (23.3.2008).

Peter Spuhler über Baustellen, neue Bühnenwerke und das Theater im Wandel (12.3.2008)

Dr. Michael Wieler über die Theaterfusion in Görlitz (22.02.2008)

Gregor Horres über Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" am Pfalztheater Kaiserslautern (16.2.2008)

Johannes Reitmeier über seine Arbeit am Pfalztheater Kaiserslautern
(21.12.07)

Dr. Ulrich Peters, der neue Intendant am Gärtnerplatz in München
(2.12.07)

Regula Gerber:
Zwei Jahre Intendanz in Mannheim

(12.11.2007)

Deutsche Musicals:
Eine Bestandsaufnahme

(11.9.2007)

Uwe Sandner:
Deutschen Kulturauftrag schützen

(30.8.07)

Rüdiger Beermann:
Ein unvergesslicher Abend

(22.7.07)

Rainer Friedemann:
Die Hoffnung stirbt zuletzt

(18.6.07)

Dr. Michael W. Schlicht:
Kürzungen bedeuten das Ende

(4.6.07)

Mannheim liegt Susan Maclean
zu Füßen

(26.4.07)

Dr. Martin Roeder-Zerndt:
Gastspiele auf hohem Niveau

(25.4.07)

Achim Thorwald:
Edelstein im Schuck des
Staatstheaters

(15.4.07)

Uwe Deeken:
Betteln um gute Leute

(13.3.07)

Prof. Matthias Oldag:
Einsparungsdebatte fatal

(26.2.07)

Hans Zender:
Musltiperspektivisches Musiktheater

(25.10.06)

Ute Scharfenberg:
Neugierde auf "mehr" wecken

(19.04.06)

Holger Schultze:
Eine große Bandbreite anbieten

(28.03.06)

Wolfgang Bergmann:
Schlussendlich entscheidet der
Zuschauer

(22.11.05)

Gustav Kuhn:
Entkrampfung der Opernregie

(31.8.05)

Rainer Mennicken:
Neue Formen und Inhalte
ausprobieren

(31.5.05)

Ursula Benzing:
Das Publikum langsam heranführen

(16.3.05)

Wiebke Hetmanek:
Unmittelbaren Zugang zum Werk finden
(14.3.05)

Mladen Tarbuk:
Wagner sehen und hören

(21.2.05)

Dr. Oliver Scheytt:
Kulturinteressierte mobil machen
(19.1.05)

Prof. Dr. Peter P. Pachl:
Abenteuer Siegfried Wagner
(9.1.05)

Christian Pade:
Theater als Versuchslabor

(5.11.04)

Christof Loy:
Der mikroskopische Blick

(3.11.04)

Christian Esch:
Oper vor Musealisierung bewahren

(23.9.04)

Aaron Stiehl:
Ruhe im Wahnsinn
(10.3.04)