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Wiederbelebung der Operette?
Rückblick auf die letzten Spielzeiten bundesdeutscher Opernhäuser: da gab es in schöner Regelmäßigkeit – Operetten!! Erblüht dieses Genre zu neuem Leben? Der Eindruck jedenfalls drängt sich auf. Renommierte Regisseurinnen und Regisseure stellen Franz Lehàr auf die Bühne, widmen sich Emmerich Kálmán... so wie Gabriele Rech zuletzt im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Gemeinsam mit Dramaturg Wolfgang Willaschek beantwortet sie die opernnetz-Backstage-Fragen.
opernnetz: Neben Zustimmung signalisierte das Premierenpublikum der Inszenierung Die Herzogin von Chicago auch Unverständnis, ja Ratlosigkeit. Ein Teil des Publikums hat offenbar „museale“ Operette erwartet, die Sie nicht geliefert haben. Was hat Sie bewogen, Kálmáns Herzogin von Chicago zu inszenieren? Und: was haben Sie mit dem Stück gemacht?
Gabriele Rech: Ehrliche Antwort: Es hat mich begeistert, eingenommen, berührt – als ein total toller, kreativer, provokativer, herrlicher Versuch von Kálmán und seinen beiden Autoren, der Operette um 1928 in gleich mehreren Spannungsfeldern zu neuer Wirkung zu verhelfen. Ein Musikkrieg voller Lust und Hintersinn, Eros und Kraft. Mit meinem Team – dem Dramaturgen Wolfgang Willaschek, dem Dirigenten Till Drömann, dem Bühnenbildner Dirk Becker, der Kostümbildnerin Renée Listerdal, der Choreographin Kati Farkas – haben wir da von Anfang an mit und an einem kleinen „Gesamtkunstwerk“, wie es uns die Autoren vorgeben, gearbeitet. Absolut entscheidend für alles Weitere war die Bearbeitung durch Wolfgang Willaschek, der durch seine Texte in Absprache mit mir bereits die Vorgabe gemacht hat, welche Schwerpunkte und welche Erzählweise wir wählen würden. Die Ideen kamen dann aus dem Stück, ganz logisch, ganz sinnbildlich, ganz unterhaltsam „aufklärend“: das Orchester als „Protagonist“ auf die Bühne setzen lassen, die Zusammenfassung in einem Zirkusrund anpeilen, eine Vergegenwärtigung versuchen, aber keine platte Modernisierung des Textes, vor allem eine Spurensicherung in Sachen „Operette“ wagen, ohne dass dies rhetorisch oder gar pädagogisch gerät, dadurch missraten würde. Das ergab, Spur für Spur, eine Art „Traumtheater“, in dem wir Sinnliches und Sinnbilder stets zusammen fügen konnte, mit einem wunderbaren Ensemble, dass unserer akribischen Suche nach „Operette SEIN und Operette SPIELEN“ lustvoll folgte. Das muss ich ja immer wieder neu erzählen, verkünden: Sängerinnen und Sänger lassen sich Gott sei Dank zu nichts zwingen. Ein Regisseur ist kein „Vorgeber“, sondern ein „Erwecker“ und „Mitgeher“. Das waren in diesem Fall besonders tolle Erfahrungen: Nach einer gewissen Zeit ergab sich vieles wie von selbst, weil die Darsteller vorgaben und erweckten. Da musste und durfte ich dann mitgehen. Was das Publikum dann sah oder eben nicht sehen wollte und konnte, müssen sie das Publikum fragen. Und ich habe viele Menschen getroffen, die sich begeistert auf diese sinnlich-sinnbildliche Art bei der Herzogin einließen: Das ist auch ihr Theater, machen sie es mit, gehen sie mit, auch wenn es zunächst Verwunderung beim ihnen hervorruft. Es gab auch andere, die sagten: Wir können der Sache nicht immer folgen, aber wir lassen uns da reinziehen. Auch welche, die sich nicht reinziehen lassen wollten. So haben wir aber im Team, im Haus, im Ensemble gemerkt, was Operette heute kann, nicht „noch“ oder „wieder“ kann, sondern erst recht kann: Totales Musiktheater sein, das wach rüttelt und Menschen auf lustvolle und amüsierende Art und Weise zwingt, sich Spiegelbilder der eigenen Wirklichkeit zuzumuten.
opernnetz: Das Land des Lächelns, Die Czardasfürstin, Der Vetter aus Dingsda... in den letzten zwei, drei Spielzeiten wurden im deutschsprachigen Raum bemerkenswert häufig Operetten auf die Bühne gebracht. Teilen Sie diese Beobachtung? Kann es sein, dass die Operette zurück ist aus der Mottenkiste? Oder ist sie nur ein wieder entdecktes Spielfeld für das Regiefach?
Gabriele Rech: Ehrlich gesagt: Für mich ist dann Operette als die kleine Oper zugleich die feine Oper, bei der ein genauer Blick „hinein“ lohnt. Als Regisseurin muss ich mich ja gerade NICHT mit einem Auf und Ab von Rezeptionsgeschichten aufhalten oder beschäftigen, ich muss einem Stück auf den Zahn fühlen, und dies hat in diesem Fall besondere Freude gemacht und mir einen neuen Horizont eröffnet. Aber eben nicht als typische Operette oder gar „jetzt weiß ich als Regisseurin, wie man Operette inszeniert“. Aber ich weiß jetzt viel besser, wie ernst man die Operette als die „andere“ Oper nehmen kann und muss. Und da gibt es sicherlich in den letzten Jahren viele Macher und Darsteller, die das feststellen und dem Genre zu neuer Beachtung durch andere Betrachtung verhelfen. Vielleicht ist man auch unbelasteter, sich heute nicht gleich mit Haut und Haar auf die Rezeptionsgeschichte dieser Kunstgattung einlassen zu müssen: ob goldene oder silberne Operette, ob Mottenkiste oder „Flotte Kiste“, ob Wirtschaftswunderjahre und Operettenfilme, ob Varietetradition oder Kriegshintergründe, ob Johannes Heesters-Revival oder das Weiße Rössl auf der Reeperbahn. Operette ist vieles, weil „sie“ vieles kann, auch im Stil von „Off-Theater“ und „ganz von unten her“. Die Operette gibt viel her, eben nicht allein als leichtes Genre, sondern als hintersinniges Genre. Und ein bisschen habe ich durch die Arbeit an der Herzogin schon einen Faible für die „Zwischenreichoperetten“ um 1930 bekommen, sei es eben Kálmán oder Abraham oder Künnecke, also Operetten, die einst zugleich kühne Kunstexperimente waren, um raus zu kommen aus dem Schubladendenken, die dem Jazz, der Revue, dem Kabarett Avancen machten und heute machen im Zeitalter der Shows und Events Da gibt es vieles zu entdecken, glaube ich, da muss man eher die Kiste aufmachen und herrliche Schmetterlinge raus fliegen lassen anstelle von Motten.
opernnetz: Geben Sie uns Ihre Einschätzung: Schlummert im Genre Operette ein kritisches künstlerisches Potenzial - gerade in einem gesellschaftlichen Kontext, der gekennzeichnet ist durch zunehmende soziale Spannungen?
Gabriele Rech: Klar, klar, klar, aber allein die Frage klingt mir schon zu rhetorisch, um sie akademisch oder didaktisch zu beantworten. Kritik in der Komödie oder eben in der Operette ist ja per se von hohem Potential, weil da das Lachen als Waffe eingesetzt wird: nicht um plumpe Banalitäten zu erzeugen, sondern um dem Sinn und Unsinn unseres Lebens durch feine Ironie auf die Spur zu kommen. Nehmen sie die Herzogin: Liebes- und Leibeskampf als Kulturstreit, Liebesstreit als Kulturkampf. Wenn das kein gesellschaftlicher Kontext ist und wenn die herrlichen Erfindungen in Sylvarien nicht wunderbare „soziale Spannungen“ wiederspiegeln – was denn sonst, aber eben auf subtile, ironische, sehr anspielungsreiche Art und Weise. Und da donnert es in der Operette zuweilen gewaltig, von „Schlummern“ ist da wenig die Rede. Aber das kritische Potential und die soziale Spannung muss man eben in dem Stück selbst entdecken, es dem dortigen herrlichen Netzwerk aus Geschichte, Wort, Bild, Ton und Gestus entnehmen, dann neu spiegeln. Zumindest mir macht das Spaß. So haben wir das als Team mit der Herzogin von Chicago in Gelsenkirchen am MiR auch versucht: Sinnlichkeiten als Spiegelbilder. Und plötzlich gab es wunderbare Proben, auf denen dann die Darsteller selbst zwischen Rollenspiel und Ich-Sein dieses sozial-menschliche Potential entdeckten, auch mit dem, was da an Schärfe dahintersteckt, wenn es um die eigene Person geht. Das haben sie sich dann erspielt und ausgespielt. Und vielleicht war es auch – so schließt sich der Fragen- und Antwortenkreis nach meinen Erfahrungen – diese Schärfe im Bezug auf das eigene Ich, das da mitten im Singen und Tanzen aufbricht, warum einige Zuschauer verstört waren, weil das viel zu tun hatte mit ihren eigenen Verstörungen, die man nicht immer gerne und gleich wahrhaben will. Zu solcher störenden Kraft zwischen Verstörung und Identität ist die Operette ganz klar fähig. Das habe ich in der Arbeit als wunderbares Potential empfunden.
(Die Fragen stellte opernnetz-Redakteur Christoph Schulte im Walde)
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