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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Rainer Friedemann

Rainer Friedemann ist seit 2007 Intendant am Theater Hagen.


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theater.hagen.de

 

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Die Hoffnung stirbt zuletzt

Sieben Jahre war Rainer Friedemann Intendant am Theater Hagen. Und er gibt zum Ende der Stadt eine klare Botschaft mit auf den Weg: "Die Verantwortlichen müssen sich für das 'heilige Gut' namens Kultur entscheiden." Im Backstage-Gespräch zieht Friedemann noch einmal Bilanz.

Opernnetz: Die Einschätzung der Finanzlage der Stadt Hagen und der Finanzbedarf des Theaters Hagen führen zu Kontroversen. Was sind da die Hagener Spezifika, was ist aber auch strukturell bedingt (z.B. Jahres-Etats der Städte, Spielzeit-Etats der Theater)?

Rainer Friedemann: Die Unternehmensberatung "actori", von der Stadt Hagen beauftragt, hat festgestellt, dass das Theater Hagen - obschon mit dem kleinsten Budget der vergleichbaren Theater in NRW seit langem unterfinanziert - doch überaus wirtschaftlich, effektiv und künstlerisch qualitätsvoll gearbeitet hat. Ergo: Der Prophet im eigenen Lande gilt - auch in Hagen - nichts. Die Stärke des Hagener Hauses liegt im Musiktheater. Aufgrund dessen konnte das Publikum in der Spielzeit 2006/2007 nicht nur so anspruchsvolle Produktionen wie die Uraufführung von Moritz Eggerts Oper "Helle Nächte", "Hoffmanns Erzählungen", Korngolds "Die tote Stadt" und zuletzt Wagners "Tannhäuser" (erstmals in der kühnen Pariser Spätfassung) erleben, sondern auch Brechts und Weills Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", die in der stilistischen Auseinandersetzung von unserem Sängerensemble Ungewohntes abforderte.

Das seit der Spielzeit 2000/2001 auf den Weg gebrachte Kinder- und Jugendtheater "LUTZ - junge bühne hAGEN" wurde seit dieser Zeit komplett aus dem ohnehin begrenzten Budget des Theaters sowie aus Sponsorengelder finanziert. Da eine künstlerische Weiterentwicklung des LUTZ erforderlich war, musste mit der Einstellung weiterer Fachkräfte gerechnet werden. Doch eine zusätzliche Finanzierung von städtischer Seite blieb aus.

Während der vergangenen sieben Jahre wurde trotz geringem Budget der Zuschussbedarf für das Theater Hagen von ca. 9 Mio. Euro pro Spielzeit gehalten. Abzüglich der Personalausgaben in Höhe von ca. 8,5 Mio. Euro blieben für die Umsetzung der 11 Musiktheater-Produktionen des Spielplanes sowie der zahlreichen Produktionen des LUTZ sowie zusätzlicher Sonderveranstaltungen nur äußerst begrenzte finanzielle Mittel.

Die Finanzlage der Stadt Hagen hat nur bedingt etwas mit dem nachgewiesenen Finanzbedarf des Theaters zu tun. Klar ist, dass die Stadt Hagen für den kulturpolitischen Auftrag und damit für die finanzielle Sicherung des Theaters verantwortlich ist. Obwohl eine Umlandfinanzierung fehlt, müssen sich die Verantwortlichen für das "heilige Gut" namens Kultur entscheiden. Ausflüchte kann und darf es nicht geben. Sie sind zu kurz gefasst. Andere Städte haben sich eindeutig - und anders! - entschieden: Pro Theater. Sie wissen offenkundig um den Wert eines städtischen Theaters für ihre Bürgerinnen und Bürger.

Opernnetz: Sie waren sieben Jahre lang Intendant des Hagener Theaters. Welche Spuren werden zum einen für das kulturelle Leben der Stadt, zum anderen für die Entwicklung des Musiktheaters bleiben?

Friedemann: In den sieben Jahren von 2000 bis 2007 haben wir erfolgreich an einer Gesamtkonzeption gearbeitet, die auf dem bis dahin gewachsenen Spielplan aufbaute. Der Spielplan umfasste grundsätzlich die wichtigsten Musiktheater-Gattungen und -Genres Oper, Operette, Musical und Ballett; ferner Schauspiele und Weihnachtsmärchen. Eine zentrale programmatische Säule unseres Spielplans bildeten die regelmäßigen Ur- und Erstaufführungen sowie Wiederausgrabungen selten gespielter Werke in jeder Saison. Nach intensiver Diskussion mit dem Publikum entschieden wir uns dabei übrigens konsequent für eine Wiedergabe aller Opern in Originalsprache. Bei der Auswahl der Werke legten wir besonderen Wert auf die Einbeziehung der Familie. Unser Ziel war es, Jung und Alt aus den unterschiedlichsten sozialen Strukturen zu erreichen. Und die Vorarbeit für das Publikum von morgen wurde nicht zuletzt auch durch die erfolgreiche Arbeit des Kinder- und Jugendtheaters LUTZ geleistet. 

Die Bürger aus Stadt und Region honorierten die Arbeit ihrer Künstler. Die Ensemblepflege zahlte sich aus. Von dieser besonderen Atmosphäre wird das Theater Hagen getragen. Hier lebt eine Gemeinsamkeit von menschlicher und künstlerischer Qualität. Das ist wahrhaft kulturelles Leben. Im Oktober 2007 feiert das Orchester und im Jahre 2011 das Theater den 100. Geburtstag. 

Opernnetz: „Die Hagener“ , sagt man und erlebt man bei Unterstützungs-Aktionen, stehen voll hinter „ihrem“ Theater. Wenn man aber als Beobachter seit mehr als zwanzig Jahren die unverhohlene Distanz zu „modernen“ Stücken vermittelt bekommt und bei Ihrem Tannhäuser ein Applaus losbricht nach dem „Hermann Heil“-Getöse – mit hochgereckten Armen und einem dicken Göring in der Bühnenmitte – da reagiert man schon erschrocken. Wie haben Sie „Ihr“ Publikum in den Jahren erlebt - und gibt es da Veränderungen?

Friedemann: Die Hagener erleben jede Ur- und Erstaufführung, jede Wiederausgrabung wie auch die anderen Werke zumeist als feste Abonnenten - und das oft seit vielen Jahren. Die Besucher bleiben dem Theater treu. Das macht ihr Bürgertheater für sie aus. Und wenn zur Tannhäuser-Premiere nach dem Chorsatz "Der holden Kunst Beschützer: Landgraf Hermann Heil" lang anhaltender Szenenapplaus ertönt, dann nehmen Sie es, lieber Herr Stuke, bitte als Sympathiekundgebung eben unserer Bürger für den als notwendig erachteten und unbedingt zu erhaltenden Chor. Unser Hagener Publikum ist mitten im Geschehen um die Erhaltung des Theaters bemüht, Charakter und Haltung zu zeigen. Die Ankündigung, dass Stellen des Chores gestrichen werden sollen, hat es aufmerksam werden lassen. Und der Applaus an dieser Stelle lässt für alle Wissenden das Herz höher schlagen. Hier ist Kunst zu einer starken Waffe geworden.

Ich denke, dass die hohe Qualität des Musiktheaters in Hagen stets wachsende Zuschauerzahlen mit sich gebracht hat. Ob "Elektra", "Evita" , "Mahagonny", "Die tote Stadt" oder "Tannhäuser" - das Live-Erleben von Geschichten im Theater, das gemeinsame Miteinander und die hohe Qualität unserer Ensembles ziehen mehr und mehr Menschen an, und damit bestätigt sich für unsere deutsche Theaterlandschaft und ganz besonders für das Theater Hagen: Die muss bleiben. Und sie wird bleiben. Die Hoffnung daran stirbt zuletzt!

Backstage-Archiv

Deutsche Musicals:
Eine Bestandsaufnahme

(11.9.2007)

Uwe Sandner:
Deutschen Kulturauftrag schützen

(30.8.07)

Rüdiger Beermann:
Ein unvergesslicher Abend

(22.7.07)

Rainer Friedemann:
Die Hoffnung stirbt zuletzt

(18.6.07)

Dr. Michael W. Schlicht:
Kürzungen bedeuten das Ende

(4.6.07)

Mannheim liegt Susan Maclean
zu Füßen

(26.4.07)

Dr. Martin Roeder-Zerndt:
Gastspiele auf hohem Niveau

(25.4.07)

Achim Thorwald:
Edelstein im Schuck des
Staatstheaters

(15.4.07)

Uwe Deeken:
Betteln um gute Leute

(13.3.07)

Prof. Matthias Oldag:
Einsparungsdebatte fatal

(26.2.07)

Hans Zender:
Musltiperspektivisches Musiktheater

(25.10.06)

Ute Scharfenberg:
Neugierde auf "mehr" wecken

(19.04.06)

Holger Schultze:
Eine große Bandbreite anbieten

(28.03.06)

Wolfgang Bergmann:
Schlussendlich entscheidet der
Zuschauer

(22.11.05)

Gustav Kuhn:
Entkrampfung der Opernregie

(31.8.05)

Rainer Mennicken:
Neue Formen und Inhalte
ausprobieren

(31.5.05)

Ursula Benzing:
Das Publikum langsam heranführen

(16.3.05)

Wiebke Hetmanek:
Unmittelbaren Zugang zum Werk finden
(14.3.05)

Mladen Tarbuk:
Wagner sehen und hören

(21.2.05)

Dr. Oliver Scheytt:
Kulturinteressierte mobil machen
(19.1.05)

Prof. Dr. Peter P. Pachl:
Abenteuer Siegfried Wagner
(9.1.05)

Christian Pade:
Theater als Versuchslabor

(5.11.04)

Christof Loy:
Der mikroskopische Blick

(3.11.04)

Christian Esch:
Oper vor Musealisierung bewahren

(23.9.04)

Aaron Stiehl:
Ruhe im Wahnsinn
(10.3.04)