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Entkrampfung der Opernregie
Mit dem "24-Stunden-Ring" von Erl hat Gustav Kuhn ein wahres Meisterstück vollbracht. Dabei geht es dem Leiter der Tiroler Festspiele um mehr als einfach nur ein riesiges Event auf die Bühne zu bringen.
Opernnetz: Der "24-Stunden-Ring" in Erl hat viele Vorab-Kritiker in seiner lokalen, inszenatorischen, musikalischen, sängerischen und atmosphärischen Dichte überrascht, ein Sakrileg am Jahrhundertwerk wurde befürchtet. Welche kommunikative Bedeutung messen Sie selbst Ihrer Konzeption zu, die sich m.E. an den Erfahrungen der Soaps oder Telenovelas orientiert?
Gustav Kuhn: Ich denke, es geht da um eine "Entkrampfung" der Opernregie überhaupt. Lockerheit - ob im Sport oder in der Kunst - bringt einen direkteren Bezug zur Wahrheit und damit zum Publikum. Im Sport ist die "körperliche Wahrheit" interessant, in der Oper wohl die musikalische, die dann aber auch - so zumindest mein Versuch – Grundlage der Regie sein muss. Sonst wird ja doch wieder nur der Text inszeniert. Soaps und Telenovelas inszenieren, wenn man so will, sehr bevorzugt das oder ein - leider oft nur sehr platte, aber doch - Gefühl, womit die von ihnen angedeutete Annäherung ungefähr gegeben wäre.
Opernnetz: Der "24-Stunden-Ring" hat "Erl" sicherlich in das Bewusstsein eines Publikums gehoben, das nicht aus prestigesüchtigen Festival-Hoppern besteht. Wie werden die nächsten "Erl-Jahre" aussehen, mit welcher Konzeption lässt sich dieser fulminante Innovationsschub nachhaltig fortsetzen?
Kuhn: Wir werden versuchen, den „Ring“ (zumindest im Hinterkopf) gut zu erhalten, nächstes Jahr "Tristan und Isolde" zu spielen, um 2007 dann "Parsifal" folgen zu lassen. Dann ein Jahr Pause - wie vor dem Ring - um dann mit "Rheingold", "Walküre", "Siegfried“ 1.und 2. Akt, "Tristan", "Siegfried“ 3. Akt, "Götterdämmerung", "Parsifal" eine Wagner-Acht-Tage-Woche folgen zu lassen. Das ist jetzt natürlich nur eine Idee zum Nachdenken, Herumträumen und so. Aber so sind die anderen Ideen auch entstanden und dann doch umgesetzt worden. Zum "auseinandergelegten" "Siegfried" könnte man jeweils z.B. die ersten zwei Akte mit einer Meistersinger-Lesung ergänzen, und den 3. Akt mit dem 2. Akt der "Meistersinger“ kombinieren. Man könnte in dieser Woche Wagner in seiner Kompositions-Strategie unmittelbar nachvollziehen.
Opernnetz: Ihre Accademia di Montegral spielt für das großartige Gelingen des "24-Stunden-Rings" ganz offensichtlich eine entscheidende Rolle. Wie verlaufen diese Vernetzungen ganz konkret?
Kuhn: Ich freue mich besonders über diese Frage, weil mir dadurch klar wird, dass unsere Arbeit doch - manchmal - sehr gut verstanden wird. Nun, die Accademia di Montegral ist die Mutter aller unserer Unternehmungen; sie ermöglicht Menschen, die eine gemeinsame Vision haben, oder unter Umständen auch nur ein etwas komplexeres Ziel ansteuern, zusammen zu leben, zusammen zu arbeiten und Vorbereitungen zu treffen, die ein übliches Ausmaß sehr weit überschreiten. Das völlige Trennen von Arbeit und Leben, schon im Tagesablauf eines "normalen" Menschen mehr als gefährlich, ist bei dem Versuch künstlerisch zu arbeiten absolut zerstörend. Man muss schon "sein Leben geben" um z.B. als Sänger glaubhaft auf der Bühne zu stehen. Man muss aber auch die Möglichkeit haben, während der Arbeit zu leben!
Diese Möglichkeit kann dann das Kloster der Accademia sein, es kann das Gefühl der familiären Zusammengehörigkeit durch die Accademia sein, oder es kann einfach die Sicherheit sein, die durch ein Eingehen auf die gesamte Person, den Menschen, entsteht. Wie das genau funktioniert, ist nicht ganz so schnell zu erklären, am besten man fährt einfach in die Toscana und sieht sich das an.
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