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Baustellen, neue Bühnenwerke und das Theater im Wandel
Intendant Peter Spuhler im Gespräch mit Opernnetz
Opernnetz: In Heidelberg läuft die Aktion „Wir retten unser Theater“ mit offensichtlich großem bürgerschaftlichen Engagement. Worin sehen Sie die Gründe für diese Übereinstimmung von städtischer Öffentlichkeit und Theater ?
Peter Spuhler: Wir haben es in den zweieinhalb Jahren unserer gemeinsamen Arbeit seit dem Start der neuen Intendanz geschafft, die Menschen in Heidelberg wieder für ihr Theater zu begeistern und ihnen klar gemacht, was diese Institution Theater alles sein kann und für eine Stadt bedeutet: Wichtigste Kulturinstitution, Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, Ort der Konfrontation mit neuen Ästhetiken, Ort zum Entwickeln von Träume und Utopien, Begegnungen mit Sprache und anderen Lebensmodellen, Vergnügung, Verstörung, Ausstellungsraum, Unterricht mit anderen Mitteln, Informationsstelle, usw., usw.
Sie merken, dahinter verbirgt sich ein Theaterbegriff, der klar setzt. Ein Theatergebäude, das ja oftmals das größte Kulturgebäude einer Stadt ist (zumindest das mit den meisten Beschäftigten) muss, kann darf und soll heutzutage weit mehr sein, als man das noch vor Jahren angenommen hat. Nur wenn wir Theaterleute diese Aufgaben übernehmen – und wir in Heidelberg machen das gern – können wir leicht nachweisen, warum Theater so wichtig ist. In der ersten Spielzeit meiner Intendanz ist es uns gleich gelungen, die höchsten Zuschauerzahlen der letzten 17 Jahre zu erzielen und überall wurde über den Aufbruch im Theater und im Konzertwesen (mit dem jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands, vielleicht der Welt) geredet. Als dann ein Jahr später die Schließung des Theaters für einige Wochen aus Sicherheitsgründen erfolgte, war klar, wir können die Theaterleute, die sich so für die Stadt engagiert haben, nicht hängen lassen, nicht jetzt, nicht in der Situation des neuen Aufschwungs.
Und wir Theaterleute haben gezeigt, dass wir unser Publikum auch in einer solchen Notsituation nicht hängen lassen und haben überall in der Stadt gespielt und schwer vorstellbare Situationen gemeistert – wie zum Beispiel die Umsetzung der Rocky Horror Show in nur vier Stunden nach der Schließung in ein kommunales Zentrum oder die Premiere von Madama Butterfly ohne Probe am Tag nach der Schließung in einer Kirche. Das hat eine ungeheure Welle der Solidarität ausgelöst. Wir haben gezeigt, dass wir für unser Theater kämpfen und die Zuschauer waren sofort bereit mit zu kämpfen. Das beeindruckende Ergebnis von derzeit mehr als 3,2 Millionen Euro Spenden wäre allerdings ohne das vorbehaltslose Engagement der lokalen Zeitung nicht möglich gewesen. Sie hat die Theatersanierung zu ihrem Anliegen gemacht und stellte sich klar hinter die Theaterleute. Verdienter Weise wurde das Bürgerkomitee zur Rettung des Theaters 2007 „Ausgewählter Ort im Land der Ideen“. Die Initiative kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Heidelberg hat enorme Defizite in der Schulsanierung. Wären wir auch nur anderthalb Jahre später mit der Rettungsaktion gekommen, wären die Prioritäten vielleicht anders oder weniger klar gesetzt worden.
Opernnetz: „Zweitaufführungen“ aktuellen Musiktheaters gehören seit einigen Jahren - u.a. mit Zenders Chief Joseph - zum Programm des Heidelberger Theaters. Gibt es da Kriterien der Auswahl – inhaltliche Aspekte, Entwicklungen des Musiktheaters, bloße urheberrechtliche und produktionstechnische Fragen, persönliche Affinitäten...?
Peter Spuhler: Die Idee, jedes Jahr eine Uraufführung eines herausragenden Musiktheaterwerkes nachzuspielen, kam von unserem Operndirektor Bernd Feuchter – und sie stößt auf große Begeisterung bei Komponisten, Autoren und Verlagen. Augenscheinlich ist Feuchtner auf etwas gestoßen, was dringend notwendig war: Den Werken junger Komponisten eine zweite Chance zu geben und damit die Möglichkeit, im Opernrepertoire einen Platz zu finden. Die Auswahl treffen Generalmusikdirektor Cornelius Meister, der Operndirektor und der Intendant einvernehmlich. Ausschlaggebend ist vor allen Dingen die Qualität, die wir in dem neuen Werk zu erkennen meinen – insbesondere, wenn diese eventuell bei der Uraufführung noch nicht voll zur Wirkung kommen konnte oder erkannt wurde. Sicher gibt es dabei natürlich Einschränkungen, die die Leistungsfähigkeit eines vergleichsweise kleineren Hauses, wie es das Heidelberger Theater ist, betreffen: Ausstattung an elektronischem Equipment, Größe des Orchestergrabens, Besetzung der Musikerstellen... Wir sind aber glücklich, dass wir ein leistungsfähiges, hoch motiviertes, junges Ensemble haben, das sich zusammen mit sehr engagierten jungen Dirigenten der Herausforderung zeitgenössischer Oper mit großem Interesse und bemerkenswerter Bereitschaft stellen. Dies bestätigen uns auch die Komponisten wie etwa Hans Zender, der unsere Umsetzung von Chief Joseph im Vergleich zur Uraufführung vorzog, oder die Wiener Zeitung, die beim Blühenden Baum im Vergleich zur Uraufführung bei den Wiener Festwochen durch Peter Sellars mehr Engagement bei den Mitwirkenden und eine höhere Intensität der sängerdarstellerischen Leistung sowie ein intelligenteres Regiekonzept erkannte.
Opernnetz: Es wandelt sich derzeit das Musiktheater-Publikum, es befindet sich das Selbstverständnis vieler Theatermacher im Umbruch, es entstehen zu Zeiten hoher Mobilität und umfassender Internet-Kommunikation neue regionale Verflechtungen. Welche Rolle sieht da das Theater Heidelberg in der „Metropolregion Rhein-Neckar“ für sich?
Peter Spuhler: Das Theater Heidelberg steht ganz klar für Innovation, interessante Inszenierungsansätze und junge Talente. Wir sind überzeugt von unserem jungen Ensemble und denken, dass man unseren Sängern in einigen Jahren an größeren Opernhäusern wieder begegnen kann. Wir engagieren fast ausschließlich junge Inszenierungsteams, die mit jeder Inszenierung hinterfragen, was ein Werk für unsere heutige Zeit noch bedeuten kann und nehmen dafür bewusst Verstörungen und Irritationen bei einem konservativeren Opernpublikum in Kauf. Der Gewinn für uns ist zum einen das erwachte Interesse eines jungen Publikums, aber auch die Anerkennung von größeren Häusern wie auch von Seiten der Fachöffentlichkeit, wie es etwa die Auszeichnung unseres Regisseurs Benedikt von Peter mit dem Götz-Friedrich-Preis für die genannte Chief Joseph-Inszenierung zeigt. Wir wollen als ein Haus wahrgenommen werden, wo man Entdeckungen machen kann und wo das Musiktheater in jedem Fall eines nicht sein soll: langweilig. Zu den Entdeckungen gehören übrigens auch unsere Vivaldi-Ausgrabungen im Rahmen unseres neu gegründeten Barockfestivals „Winter in Schwetzingen“. Hier haben wir in den letzten beiden Jahren die Vivaldi-Opern „Die Olympiade“ und „Motezuma“ wieder ausgegraben und dafür von vielen Seiten Anerkennung erhalten – besonders übrigens für die Leistung des Philharmonischen Orchesters, das sich mit viel Enthusiasmus unter Anleitung des Barockspezialisten Michael Form im Rahmen seines Repertoirebetriebs mit barocken Spielweisen und Techniken vertraut gemacht hat. Wir bemerken zunehmend, dass unser Publikum nicht nur aus Heidelberg, sondern inzwischen auch regelmäßig aus Frankfurt, Stuttgart, Wiesbaden und Mannheim kommt und wir denken, dass wir mit dem „Marktsegment“ junger Talente und Innovation unsere „Nische“ oder vielleicht besser „Aufgabe“ innerhalb der Metropolregion gefunden haben. Selbstverständlich verbindet uns eine enge und freundschaftliche Beziehung zu den anderen Opernhäusern der Region – eben weil wir uns nichts gegenseitig wegnehmen.
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