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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Christof Loy

Christof Loy studierte Musiktheater-Regie an der Folkwang-Hochschule in seiner Heimatstadt Essen sowie Philosophie, Kunstgeschichte und italienische Philologie in München. Anschließend Assistenzen u.a. bei Luc Bondy, Jaroslav Chundela und Göran Järvefelt.

Seit 1990 ist er freischaffend im Musiktheater und Schauspiel tätig.

Inszenierungen u.a.
2000: Don Carlos, Düsseldorf
2001-2003: Monteverdi-Zyklus,
Düsseldorf
2002: Ariadne auf Naxos, London


Links

www.christof-loy.de

Rezension "Hoffmanns Erzählungen"

 

zurück       Leserbrief

Der mikroskopische Blick

Mit "Hoffmanns Erzählungen" gelang Regiseur Christof Loy wieder einmal ein großer Wurf - vom Publikum bejubelt, von der Presse gefeiert (lesen Sie dazu die Opernnetz-z-Rezension). Mit Opernnetz.de sprach er über seine Auffassung von Musiktheater und zukünftige Projekte.


Opernnetz:
Herr Loy, Sie wurden in der Kritikerumfrage der Zeitschrift "Opernwelt" bereits zum zweiten Mal in Folge zum "Regisseur des Jahres" gewählt. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

Christof Loy: Es wird ja immer richtig beschrieben, dass meine Art von Stückanalyse auf den ersten Blick nicht umstürzlerisch ist, dass ich offenbar dennoch diesen mikroskopischen Blick habe. Ich freue mich, dass mein mikroskopischer Blick mittlerweile von mir handwerklich so erfahrbar gemacht werden kann - für Zuschauer und auch für Kritiker.

Opernnetz: Sie sagen ja selbst immer, dass die Sicht auf den Menschen am wichtigsten ist. Glauben Sie, dass dies mittlerweile auch erkannt wird, und nicht so sehr die Innovation an sich im Vordergrund steht?

Loy: Wenn man so will, kommt man vielleicht zu einem Ursprung des Theaters zurück: Der Mensch vor der antiken Mauer. Und da gibt es natürlich immer viele verschiedene Spielmöglichkeiten und Varianten. Ich glaube, auch immer wieder den Blick auf kleinere Dinge zu lenken und auf Details zu achten. Es kommt nicht immer nur auf das große, überwältigende Erlebnis an, sondern man hat auch eine Sehnsucht hat nach Dingen, bei denen man sich in Feinheiten verlieren kann. Theatralische Poesie hat auch mit kleinsten Entscheidungen und Details zu tun.

Opernnetz: In den vergangenen Jahren haben Sie sich mit den noch drei erhaltenen Opern Monteverdis befasst und diese an der Deutschen Oper am Rhein zur Aufführung gebracht. Würden Sie diese drei Produktionen eigentlich selbst als Zyklus betrachten? Denn es waren ja doch drei verschiedene Inszenierungsansätze.

Loy: Die Bezeichnung "Trilogie" wäre mir lieber. Ich habe die Räume von Anfang an ganz bewusst nicht für alle drei Stücke konzipiert, sondern habe mich - wie es Monteverdi ja auch gemacht hat - von Stück zu Stück wieder neu inspirieren lassen. Aber man geht natürlich mit den Erfahrungen um, die man zunächst mit dem "Orfeo" und dann auch mit dem "Ulisse" gemacht hat. Das hat wiederum Auswirkungen auf die "Poppea". Es fängt an in dem archaischen Zustand, wo der Mensch beginnt, sich von den Göttern zu lösen. Der selbstbestimmte Mensch ist ein wesentliches Thema von Orfeus. Im Ulisse haben wir dann schon mit selbstbewussteren Menschen zu tun. Es wird plötzlich selbstverständlich, dass man versucht, sein eigenes Schicksal zu beeinflussen und dass sich die Götter fragen müssen, wo ihre Position dabei ist. Und in der Poppea war es dann in meiner Version der nächste Schritt zu fragen, wo sich Menschen befinden, die nicht mehr im Kontext einer göttlichen Schöpfung sehen. Das ganze ist ja, wenn man so will, die Entwicklung der Menschheit. Das war nie geplant, sondern hat sich jeweils aus der intensiven Auseinandersetzung mit den Stücken ergeben.


"Ich mache die Stücke nicht schöner, als sie sind"


Opernnetz:
"L'Incoronazione di Poppea" wurde ja letztendlich von Kritikern und Publikum am kontroversesten diskutiert. Woran könnte das wohl liegen? War man diese Art der Darstellung auf der Bühne von Ihnen nicht gewohnt?

Loy: Ich denke einfach, dass in der Poppea Dinge passieren, die viele Menschen nicht sehen wollen. Eigentlich mache ich die Stücke nicht schöner als sie sind, das muss man grundsätzlich sagen. Ich empfinde aber, dass ein Ulisse insgesamt einfach viel mehr Hoffnung in sich trägt als eine Poppea. Ich bin einfach gnadenlos in der Auseinanderfächerung von dem, was in dem Stück passiert und was den Menschen dort widerfährt. Und da gab es eben Grenzüberschreitungen.

Opernnetz: Seit einigen Tagen läuft am Opernhaus Düsseldorf mit "Hoffmanns Erzählungen" Ihre neueste Arbeit. Was reizt Sie besonders am Hoffmann-Stoff?

Loy: Es ist zunächst einmal ein weiteres Stück, welches die Künstlerproblematik thematisiert. Ganz egoistisch gesprochen, möchte man sich damit selbst besser kennenlernen. Dann ist es ein wunderbares Stück, das ich schon sehr, sehr lange und gut kenne. In der Version, die wir ausgesucht haben, bekommt die Muse eine zentrale Rolle. Das hat mich schon damals bei dem Monteverdi-Orfeo inspiriert. Was ich ja auch immer gerne habe, sind Stoffe, die auf den ersten Blick sehr chaotisch wirken und gar nichts haben von den klassischen drei Einheiten des Theaters, sondern die phantastisch und bizarr in alle Richtungen gehen. Dennoch liebe ich auch eine gewisse Struktur. Stoff und Form müssen sich aneinander reiben. Ich denke, das macht die Energie in meinen Aufführungen aus. Der Zuschauer sollte immer merken, dass in verschiedene Richtungen gezerrt wird.

Opernnetz: Seit der "Manon" 1997 haben Sie zum ersten Mal wieder als Regieteam Loy, Murauer, Podic zusammengearbeitet. War das Ihre Idee?

Loy: Tobias Richter und ich haben seit der Manon-Zeit immer wieder versucht, Gespräche darüber zu führen, dass wir zusammen mit Baldo Podic noch einmal etwas finden, das für uns alle das richtige Stück ist.

Opernnetz: Was schätzen Sie an den beiden, vor allem an Herbert Murauer, der ja wirklich Ihr ständiger Bühnenbildner ist?

Loy: Herbert und ich kennen uns über die ganzen Jahre einfach so gut, dass man einerseits in grundsätzlichen ästhetischen Fragen von vielen Gemeinsamkeiten ausgehen kann, dass die Arbeit bei jedem Stück dennoch immer wieder anders ist. Bei uns gibt es keine streng geregelte Arbeitsteilung. Es kann manchmal sein, dass bei einem Stück die Vorgaben meinerseits sehr stark sind. Dann wünsche ich mir einfach bei Herbert die Atmosphären, und er setzt es um. Und es gibt andere Sachen, bei denen er mit Bildmaterial kommt, das mich in eine bestimmte Richtung drängt, bevor ich ihm überhaupt etwas erzählen kann.


"Dass ein Kontakt zu Zuhörern und Zuschauern gesucht wird, finde ich essentiell wichtig."


Opernnetz:
Wenn man sich Ihre bisherigen Inszenierungen so anschaut, fällt auf, dass Sie viel Mozart gemacht haben und sogar bis in die Zeit Monteverdis zurückgegangen sind. Aber das 20. Jahrhundert fehlt noch ein bisschen in Ihrem Repertoire. Reizt Sie zeitgenössisches Musiktheater nicht?

Loy: Doch, es gibt da eine Menge, was ich gerne machen würde. Einerseits Klassiker wie die beiden Berg-Opern, dann "Die Soldaten" von Zimmermann oder Busonis "Faust". Es gibt da wirklich große Stücke. Ich brauche nur für mich selber sehr viel Zeit, die Musik von diesen Stücken kennenzulernen. Ich fühle mich immer am wohlsten, wenn ich ein Werk so gut kenne, als hätte ich es selber geschrieben - sowohl den Text als auch die Musik. Und die Zeit werde ich mir in den nächsten Jahren nehmen.

Opernnetz: Sie haben selbst gesagt, die beiden Berg-Opern sind ja bereits Klassiker, und viele weitere Opern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss man als wichtige Werke der Musikgeschichte bezeichnen. Welche Bedeutung hat neues Musiktheater für Sie generell?

Loy: Wenn ich spüre, dass neues Musiktheater zu sehr ästhetisch-formales Experiment wird und ich nicht mehr nachvollziehen kann, was erzählt wird - ich meine dabei gar nicht eine konventionell realistische Erzählweise, sondern lediglich den Versuch von Kommunikation - stehe ich neuem Musiktheater skeptisch gegenüber. Dass ein Kontakt zu Zuhörern und Zuschauern gesucht wird, finde ich essentiell wichtig. Wenn man das nicht macht, hat es auch keinen Sinn, den Monteverdi noch aufzuführen.

Opernnetz: Gerard Mortier hat ja mal den Satz formuliert, dass Musiktheater die Gefühle sensibilisieren soll. Aus Ihrer letzten Aussage entnehme ich, dass dies auch ein Credo für Ihren Umgang mit der Oper sein könnte. Ein rein intellektuelles Vergnügen könnten sie sich dann wohl auch selbst bei zeitgenössischem Musiktheater nicht vorstellen?

Loy: Intellektuelles Vergnügen ist auch wichtig, sollte aber erst nach der Seh- und Hörerfahrung klar werden. Es muss schon ein direktes sinnliches Erlebnis bleiben. Natürlich gibt es eine gewisse Elite von Intellektuellen. Der Moment, wo ein Intellekt glücklich gemacht wird, ist für diejenigen ein ästhetisch sinnliches Vergnügen höchster Güte. Von denen gibt es zwar nicht sehr viele, doch muss für sie auch eine Nische da sein. Ich bin ja für eine große Vielfalt. Ich bin allerdings vorsichtig mit dem Einsatz von technischen Mitteln, also alles was mit Klangverstärkung und -verzerrung oder mit Videoeinsatz zu tun hat. Das zieht, wie ich finde, immer eine Wand.

Opernnetz: Sie haben sich bis jetzt nur ein einziges Mal mit Richard Wagner beschäftigt, das war der "Tannhäuser" in Gelsenkirchen vor knapp zehn Jahren. Planen Sie auch für die Zukunft keine Wagner-Inszenierung?

Loy: Doch, es gibt da schon Überlegungen. Ich habe allerdings Schwierigkeiten mit den Werken, in denen die Leitmotivtechnik sehr deutlich ausgeprägt ist. Dort fühle ich mich als Zuhörer immer ein bisschen bevormundet. Ich brauche nicht erinnert zu werden, ich habe ein eigenes Gedächtnis. Ich gebe zu, es gibt großartige Momente in der Walküre und der Götterdämmerung, wo sich aus dieser Technik wieder eine eigene Form ergibt, die nicht erinnerungsmäßig am Text entlang komponiert scheint.

Opernnetz: Herr Loy, ich bedanke mich für dieses Gespräch.


Das Gespräch führte Christoph Dittmann.

Bochum, 3.11.2004

 

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