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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Wiebke Hetmanek

Seit der Spielzeit 2000/2001 ist Wiebke Hetmanek Dramaturgin am Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen. In der Spielzeit 2003/2004 erhielt sie den Förderpreis des Gelsenkirchener Theaterpreises.


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Rezension "Der Barbier von Sevilla"

 

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Unmittelbaren Zugang zum Werk finden

Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zeigte zu Beginn des Jahres den "Barbier von Sevilla". Ungewöhnlich war dabei, dass Rossinis erfolgreiche Komödie nicht in ihrer italienischen Originalsprache aufgeführt wurde. Wiebke Hetmanek, die die Produktion dramaturgisch betreute, erklärt, wie man mit dem vermeindlichen Konflikt zwischen Original- und Fremdsprache in der Oper umgehen muss.

Opernnetz: Warum wurde Rossinis „Barbier von Sevilla“ am Musiktheater nicht in italienischer Originalsprache, sondern in deutscher und teilweise auch englischer Übersetzung aufgeführt?

Wiebke Hetmanek: „Der Barbier von Sevilla“ ist eine Produktion im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier. Dort gibt es keine Übertitelungsanlage, weil es auf Grund der Räumlichkeiten keinen Ort gibt, an dem alle Zuschauer Übertitelprojektionen einsehen könnten.
Deswegen werden Produktionen im Kleinen Haus grundsätzlich in deutscher Sprache gegeben (s. auch „Armide“, „Die Banditen“), auch unabhängig von der fehlenden Anlage: die Zuschauer erleben hier durch die Nähe der Bühne die Darstellerinnen und Darsteller ganz unmittelbar, sehen jede Geste, jede Mimik. Und diesen Vorzug des Kleinen Hauses möchten wir unterstützen, in dem der Zuschauer auch die Geschichte ganz „unmittelbar“ verstehen kann.
Die Idee zu einer mehrspracheigen Aufführung kam dem Leitungsteam während der Beschäftigung mit der Musik Rossinis und mit seinem Umgang mit der Sprache, die – namentlich in den Ensembles – eher zweitrangig ist. Spätestens bei Basilios „Text“ im Finale I („sol, sol, sol, do“) haben wir dann beschlossen, ebenso wie Rossini, mit der Sprache zu spielen – zumal die Rezitative so aufgebaut sind, dass die Handlung immer noch zu verstehen ist, wenn ein Part in italienisch gesungen wird.
Als Vertreter der Musik und als intriganter Mafiosi haben wir Basilios Part größtenteils in der italienischen Originalsprache belassen. Der nächste Schritt folgte dann logisch aus dem ersten: Wenn der Musiklehrer italienisch spricht, muss dies natürlich auch sein „Schüler“ Don Alonso tun, zumindest dann, wenn Almaviva diese Rolle spielt. Wenn er aber apart mit Rosina spricht, tut er dies auf Deutsch, wodurch seine virtuose Doppelrolle noch deutlicher wird.
Und wenn wir bei Alonso die Sprache als Mittel der Verkleidung verwenden, dann kann man dies auch schon bei seiner ersten Verkleidung benutzen: Als Soldat spricht er englisch.

Opernnetz: In welchen Fällen ist es generell sinnvoll, fremdsprachige Opern zu übersetzen? Und wann ist es besser, sich für eine Aufführung in Originalsprache mit Übertitelung zu entscheiden?

Hetmanek: „Generell“ kann man diese Frage leider nicht beantworten, sondern muss von Fall zu Fall eine Lösung finden. Grundsätzlich halte ich Aufführungen in Originalsprache mit deutscher Übertitelung für den richtigen Weg, dem Werk gerecht zu werden; denn natürlich wurden die Opern in einer bestimmten Sprache komponiert und sind in dieser Sprache auch am einfachsten zu singen. Einerseits. Andererseits verhindern sie – vor allem bei komischen Opern – den unmittelbaren Zugang zu einer Geschichte; dennoch können auch gute Übertitel, die es verstehen, den Witz des Librettos zu vermitteln, zur Komik des Abends beitragen.
„Von Fall zu Fall“ heißt auch: Ist ein Stadttheater in der Lage, seinem Ensemble mit aufwendigen, zeitintensivem Sprachtraining tschechisch oder russisch beizubringen? Kann sich das ein kleines oder mittleres Haus überhaupt noch leisten?

Opernnetz: Was halten Sie von der Übertitelung deutschsprachiger Opern als zusätzliche Orientierungshilfe für den Zuschauer?

Hetmanek: Man muss sich schon fragen, wie viel man wirklich versteht, wenn eine Oper in deutscher Sprache gesungen wird. Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, auch deutschsprachig gesungene Opern zu übertiteln. Es geht ja hier nicht um die Frage, ob Sänger gut artikulieren können oder nicht, sondern dass das gesungene Wort per se nicht immer einfach zu verstehen ist. Warum sollte man da nicht eine Orientierungshilfe anbieten? Unsere Aufgabe ist es ja auch, den Zuschauern den Zugang zu einem Werk zu erleichtern – und da gehört auch der Text zu.


Bochum, 14.3.2005

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