Liz Mohn – die Wettbewerbs-Präsidentin
Liz Mohn, First Lady von Bertelsmann und Präsidentin des Internationalen Gesangswettbewerbes NEUE STIMMEN, sucht seit 1987 nach jungen Operntalenten. Den Anstoß dazu hatte ein Gespräch mit Herbert von Karajan gegeben, der sich um fehlenden Nachwuchs bei der Oper sorgte. In diesem Jahr fand der Wettbewerb der Bertelsmann Stiftung zum 13. Mal statt.
opernnetz: Die NEUEN STIMMEN sind der weltweit wichtigste Wettbewerb für junge Opernsänger. Wer bewirbt sich für das Vorsingen in den vielen Ländern, in denen „Oper“ nicht zur etablierten Kultur gehört?
Liz Mohn: Als wir 1987 mit unserem Operngesangswettbewerb angefangen haben, nahmen zunächst nur Sängerinnen und Sänger, die in Deutschland und Europa arbeiteten oder studierten, teil. Damals gab es noch den Eisernen Vorhang –China oder Asien hatte niemand im Blick. 1993 fand erstmals eine Vorauswahl im Ausland, und zwar in Moskau, statt. Dies war der Beginn der Internationalisierung: Seitdem schreiben wir den Wettbewerb weltweit aus und bieten Vorauswahlen in vielen Städten rund um den Globus an.
In diesem Jahr konnten die jungen Sängerinnen und Sänger an 23 Orten vorsingen. Wir hatten 1140 Bewerber – ca. 900 sangen dann tatsächlich vor. Und wieder haben wir festgestellt, dass insbesondere in Asien großes Interesse am Operngesang besteht. Nach Peking und Yokosuka in Japan kamen fast so viele junge Talente zum Vorsingen wie nach Berlin oder Düsseldorf. Auch New York, Buenos Aires und Moskau waren in den Vorauswahlen sehr gefragt – mehr noch als die klassischen europäischen Opern-Hochburgen München, Wien, London oder Florenz.
Unter den 40 Besten, die sich für die Finalwoche in Gütersloh qualifiziert hatten, kamen die größten Gruppen aus den Ländern Südkorea, Russland und Kanada.
opernnetz: Nun gibt es – abgesehen von „handwerklichen“ Grundvoraussetzungen – unterschiedliche Vorstellungen von „perfektem Operngesang“. Welche Kriterien gelten bei den zahlreichen weltweiten Vorsing-Terminen - und wie werden sie von den Betroffenen angenommen?
Liz Mohn: Unser Jury-Mitglied Brian Dickie, Intendant des Chicago Opera Theatre, hat 19 der 23 Vorauswahlen weltweit besucht, um ein gleich bleibendes Niveau bei der Beurteilung der Sänger sicherzustellen. Dennoch hat jeder Mensch ein individuelles Geschmacksempfinden; das betrifft auch die Stimme und den als perfekt empfundenen Operngesang. Deshalb beurteilt die Jury während der Vorauswahlen und der Endrunde nicht nur ein Kriterium – die Stimme –, sondern vier Kriterien, alle nach gleichem System. Bewertet werden jeweils technisches Können, musikalische Gestaltung, natürlich die Stimmqualität und die Präsenz auf der Bühne.
Darüber hinaus haben die Bewerber – mal abgesehen von der Altersbegrenzung – weitere Kriterien zu erfüllen: Jeder, der an unserem internationalen Gesangswettbewerb teilnimmt, muss an einer Musikhochschule immatrikuliert sein und/oder an einem Opernhaus eine Rolle eingeübt oder aufgeführt haben. Alle Teilnehmer müssen fünf Arien vorbereiten. Die Bandbreite entspricht den Voraussetzungen, die ein junges Ensemblemitglied in der heutigen Opernwelt zu erfüllen hat.
Das alles fällt vielen Nachwuchstalenten nicht leicht. Auch unsere NEUE STIMME 2009, die südkoreanische Sopranistin Eunju Kwon, hatte z. B. noch nie zuvor mit einem Orchester auf der Bühne gestanden.
Ich sage gern: Es sind musikalische Rohdiamanten, die uns mit ihrer Stimme verzaubern. Rohdiamanten, die manchmal im Laufe des Wettbewerbes wie geschliffene Diamanten funkeln.
opernnetz: Haben viele Preisträger der NEUEN STIMMEN anschließend internationale Karrieren gestartet? Wie schätzen Sie den Einfluss des Wettbewerbs auf die internationale Opernszene ein, gibt es Auswirkungen auf die „Gesangskultur“ – oder sogar auf die Spielpläne?
Liz Mohn: Ich denke, die jungen Operntalente, die bei uns vorsingen, und ebenso unsere Jury spiegeln den gegenwärtigen Stand der vorherrschenden „Gesangskultur“. Für viele Sänger sind die NEUEN STIMMEN der erste internationale Wettbewerb, an dem sie teilnehmen. Die meisten haben noch sehr viel Entwicklungspotenzial! Und alle sind Gewinner, die sich für’s Finale qualifiziert haben. Denn wir bieten den Endrunden-Teilnehmern neben Preisgeldern und Kontakten auch Meisterkurse und Audition-Workshops, um die weitere Entwicklung zu fördern – aber behutsam, der Persönlichkeit und Reife entsprechend und ohne die jungen Menschen und ihre Stimme zu überfordern.
Unsere Jury hat sehr gute Verbindungen zu Bühnen und ein großes Netzwerk innerhalb der Opernszene – auch international. So halte ich es durchaus für möglich, das unser Wettbewerb durch die Auswahl und Qualität der jungen Künstler und die Vermittlungs- und Kontaktarbeit der Jury die Opernwelt beeinflusst.
Mir ist aber wichtiger, dass die Bertelsmann Stiftung mit dem Internationalen Gesangswettbewerb NEUE STIMMEN auch einen Beitrag zur internationalen Verständigung leisten möchte – mit dem Grundsatz, absolute Toleranz gegenüber der kulturellen Vielfalt und dem Individuum zu wahren. Viele der jungen Sängerinnen und Sänger aus aller Welt kannten sich nicht, als sie nach Gütersloh kamen, und gehen anschließend als Freunde auseinander – für mich die schönste Form der Globalisierung.
Bei den NEUEN STIMMEN gab es bereits zahlreiche junge Künstler, die anschließend eine nationale und internationale Karriere gemacht haben – beispielsweise Vesselina Kasarova, René Pape, Nathalie Stutzmann. Die lettische Sopranistin Marina Rebeka, unsere NEUE STIMME von 2007, wurde bei den Salzburger Festspielen in diesem Sommer von Publikum und Presse bejubelt, i n der Spielzeit 2009/2010 gibt sie an der Hamburger Staatsoper ihr Debüt als Violetta in La Traviata. Und Eunju Kwon, NEUE STIMMEN-Siegerin in diesem Jahr, erhielt bereits in der Woche nach dem Finale die erste Anfrage von einem der großen deutschen Opernhäuser.
(Die Fragen stellte opernnetz-Herausgeber Franz R. Stuke)
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