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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Christian Pade


 

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Theater als Versuchslabor

Mit seiner provozierenden Fidelio-Interpretation sorgte Regisseur Christian Pade am Theater Dortmund vor allem beim Publikum für viel Aufsehen. Im Fadenkreuz: Die Schlussszene. Dort wird mittels Zyklon-B-Patrone Gas in das Verlies geblasen, die in rot gekleideten Gefangenen sterben unter Krämpfen. Opernnetz.de gibt daher Chriatian Pade an dieser Stelle Gelegenheit zu einer Interpretation:

Opernnetz: "Fidelio" nicht als unbegriffenes "Freiheitsdrama" zu inszenieren, gehört zum Stand der letzten Produktionen. Eine Kooperation mit amnesty international ist dagegen neu. Wie hat diese Verknüpfung Ihre Inszenierung bestimmt und wie haben Sie das Dortmunder Publikum eingeschätzt?

Christian Pade: Die Zusammenarbeit mit amnesty international war zum einen Folge langjähriger politischer Aktivität - ich halte ethisches Verhalten übrigens zunehmend für einen wesentlichen Parameter von Ästhetik - zum anderen ergab sich über die Bühnenbildidee von Alexander Lintl sehr schnell der Wunsch nach authentischem, respektgebietendem Material, das uns nur durch amnesty auch verantwortungsvoll geprüft und überlassen werden konnte. Daher, nur nebenbei, schloss sich für uns immer aus, den Foto-Fries mit Abbildungen von Sängern zu bestücken, etwa des Florestans: es kann und darf bei einer Verwendung von Echt-Material keinen untergejubelten Bühnennaturalismus geben. Die Sänger sind Darsteller, Verkörperer, aber nicht an den Leiden der Abgebildeten zu messen. Sie sind nur deren Bedeutungs-Vertreter auf einer Bühne, sozusagen Metaphern auf Beinen - niemand wird verletzt oder erniedrigt (zumindest nicht über das verabredete Maß von z.B. Ausgebuhtwerden hinaus).
Und nach 2 Stunden werden wir alle wieder in unsere Realität entlassen, können uns äußern, also kräftige Lebenszeichen von uns geben, werden wahrgenommen und sind dadurch deutlich von denen geschieden, deren Augen den größten Teil des Abends auf uns ruhten. Ein Luxus, der für mich zwingend machte, amnesty auch über den Abend hinaus an diese Produktion zu binden und auf die aktuellsten Fälle hinweisen zu lassen. Zur Einschätzung des Dortmunder Publikums kann ich nur sagen - ich erwartete in einer Stadt und einem Gebiet, welches hohe politische Tradition und Kultur hat, eine kontroverse und engagierte Reaktion und eine Debatte, die diesen Namen verdient, und die habe ich ja nun auch bekommen…! Ich bin's zufrieden.

Opernnetz: Sowohl von dem reflektierenden Dramaturgen Oliver Binder als auch von dem ideenreichen Bühnenbildner (und Kostümgestalter) Alexander Lintl sind Akzente gesetzt: Wie haben Sie mit Ihren Kollegen das Inszenierungskonzept diskursiv erarbeitet?

Pade: Hierzu nur knapp: eine vernünftige Zusammenarbeit erfordert nicht an allen Punkten gleiche Meinungen von Anbeginn, aber gleich bleibende Ernsthaftigkeit und Konsequenz im Verlauf der gesamten Produktion und eine Konzentration auf das Wesen der Dinge, die man erzählen will. Das bedeutet ein fortwährendes Interesse am Sujet, einen respektvollen Umgang mit allen Beteiligten, ob auf oder vor der Bühne, und eine nicht erlahmende Bereitschaft, sich oder das Gedachte, Probierte immer wieder befragen zu lassen (- und eben auch nach der Premiere…) De facto beginnt so ein Diskurs also lange vor der Produktion (etwa ein halbes Jahr) mit immer wieder aufgenommenen Klausuren und dauert immer noch an (wahrscheinlich bis zur letzten Vorstellung).

Opernnetz: Im Finale steckt Jaquino eine Gasbombe in das Röhrensystem; die Gefangenen (in Rot wie in Guantanamo) sterben im Gasnebel. Ist Ihnen dieser Verweis auf Zyklon B in Auschwitz bewusst gewesen? Ich bin erstaunt, dass in den mir vorliegenden Rezensionen diese Assoziation nicht erscheint, aber im Dortmunder Theater gab es einige zutiefst Empörte. Und auch ich finde eine Blasphemie in Ihrem Bild - mit Auschwitz macht man keine "attraktiven Bühneneffekte" und setzt Guantanomo nicht gleich mit Auschwitz! Eine ernstgemeinte Frage, eine Frage, die für mich an die Mythen unserer orientierungslosen Gesellschaft stößt.

Pade: Gas auf einer deutschen Bühne ist eine Zumutung, muss eine sein und bleiben - aber der Begriff "blasphemisch" stellt den Vorgang in Zusammenhänge des Glaubens, denen ich in politischem Kontext und auch auf dem Theater zutiefst misstraue. Im Gegenteil, jeder Weihrauch sollte klarer, womöglich schneidend sinnlicher Erkenntnis weichen, wissendes Gefühl soll Sentimentalität ersetzen. Aber das ging noch nie ohne das Überwinden von Tabus, Blockaden und Barrieren.

Weit entfernt von Walsers dümmlicher Moralkeulendiskussion und immer auf Ignatz Bubis` traurig-isolierter Seite, denke ich doch, das wir auf und mit dem Theater eines der letzten Versuchslabors für gesellschaftlichen Diskurs besitzen, und nur solange dieser Raum konsequent ausgenutzt und ausgeweitet wird, haben wir einen Anspruch auf Subvention. Mit dieser Äußerung lehne ich mich weiterhin aus dem Fenster, obwohl ich weiß, dass zurzeit zu viele darüber ganz anders denken und meine folgenden Auslassungen noch weniger auf geneigte Ohren fallen dürften.

Sie können sicher sein, dass das Schlussbild von uns, Arthur Fagen und dem Team, sehr wohl diskutiert und kalkuliert worden ist, und es handelt sich viel weniger um einen Effekt als eine verzweifelt pessimistische Schlusscoda, die sich wie folgt lesen lässt: Eine Auschwitz-Analogie beim bildlichen Zusammenhang von Gefangenen und ihrem Gas-Tod war wohl nicht zu vermeiden und wurde in Kauf genommen, wiewohl sie trotz allen Bühnen-Signalen historisch nie gemeint sein konnte! Vielmehr ist wichtig, eine Lesart wieder auf den Bildschirm zu rücken, die vielmehr mit amnesty und dem mangelnden Unrechtsbewusstsein verschiedener Rechtssysteme heute zu tun hat.
Natürlich ist Guantanamo nicht Auschwitz, die regierende Administration Amerikas ist schon überhaupt keine Waffen-SS usw., zu müßig das weiter durchzuspielen, das muss man mir einfach glauben, solange mir noch etwas politische Vernunft unterstellt wird.

Sondern:
- die Häftlinge sind in Rot (nicht Orange) gekleidet, der Farbe, die im amerikanischen Strafvollzug den zum Tode Verurteilten zugewiesen ist, damit sie im Falle ihrer Flucht durch ihre lustig- auffallende Kluft sofort zu identifizieren sind (eine Idee nicht frei von Zynismus, aber gut, auf diesen Trichter kamen glaube ich schon frühere Verwaltungen).

- die am meisten praktizierte Hinrichtungsart im Raum der USA - ja, eine Demokratie, welche sich immer noch in außerordentlich unbefragtem Maße erlaubt, Menschen vom Leben zum Tode zu befördern - ist der Tod durch Gaszuführung, erst dann folgt die Giftinjektion, der elektrische Stuhl ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Wenn also die Legislative, dargestellt durch den Einzelne begnadigenden Minister Fernando, ihre Exekutive an die neue Übergangsmacht weitergibt, in diesem Fall verkörpert durch Jaquino, einem mafiosen Schwarzmarkthändler ausgestattet mit latentem Jähzorn und geringem Unrechtsbewusstsein, so fällt diesem im Besitz der Macht über Leben und Tod nichts anderes ein, als erst einmal Tabula Rasa zu schaffen und sich aller Mitwisser in einem (selbst-) zerstörerischen Handstreich zu entledigen, durch eine kollektive anonyme Exekution, die wie meistens den Bodensatz für weiteres, sogar das eigene Verderben schafft.

- Ob die sich zurückziehende, an andere Orte ihr System exportierende und sich weiterfeiernde Macht, diesen Anschlag , dürftig zivilisatorisch geschützt durchs Taschentüchlein der Kultur, am Rande der Herzattacke überstehen wird, ist die Frage, deren Antwort der fallende Vorhang abdeckt.


Bochum, 5.11.2004

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