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KOMMENTAR

Von Franz R. Stuke
19.12.2006


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Opernnetz-Rezension:
"Tristan und Isolde" in Essen


 

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Kontroverse Einschätzungen  

Die Essener Tristan-Inszenierung von Barrie Kosky macht wieder einmal deutlich, wie unsicher die zugrundeliegenden Kriterien für die Beurteilungen von Regie-Leistungen sind.

Im konkreten Fall schwanken sie von der Betonung wahrgenommener innerer Prozesse über die ästhetische Komponente und den Bezug zur Interpretation der Wagner-Musik bis zu Argumenten, die formal-theaterfremde Aspekte berühren - wie die Relevanz dieser Produktion für die Wahl des Ruhrgebiets als Kulturhauptstadt 2010.

Das Problem beginnt schon mit der Differenzierung von zu erkennender und zu beurteilender „Inszenierungsidee“ und der Umsetzung in wahrnehmbares Handeln auf der Bühne. Und dabei fragt es sich dann, inwieweit die Bühnengestaltung Ausfluss der Regie-Vorgabe ist oder ob der Bühnenbau nicht die konkreten Handlungsabläufe bestimmt. Kein Kritiker ist Teilnehmer der entscheidenden kommunikativen kreativen Prozesse - und die Kooperation von Bühnenbildnern und Regisseuren ist auch abhängig von ganz persönlichen Prädispositionen.

Für den Zuschauer determinieren aber noch eine Reihe weiterer Faktoren seine Einschätzung der präsentierten Realisierung: Neben seiner ganz spontanen Reaktion begründen eine schier unendliche Reihe von individuellen Maßstäben seine Zustimmung oder Ablehnung - das geht von Kenntnissen lange zurückliegender Erfahrungen oder Vorlieben für einen "Regiestil" bis zur Vorliebe oder Ablehnung eines Werks oder gar der Liebe zu einem Opernhaus mit seiner Historie und seiner gewünschten Wertschätzung; schließlich ist das persönliche Umfeld nicht gering zu schätzen, aber auch die "Tagesform" des Zuschauers spielt sicherlich eine Rolle.

Was bleibt an "objektiven" Beurteilung ist eindeutig die Kompetenz des Zuschauers - sei es durch Vertrautheit mit dem konkreten Entstehungsprozess, sei es durch vielfältige Erfahrungen , sei es durch die Bereitschaft zur aktiven Teilhabe am Kommunikationsprozess "Musiktheater" .

Aber ein relevantes Kriterium ist unbestechlich: die Konfrontation des konkreten Geschehens  mit den selbst formulierten Konzepten und Intentionen (ein Grund für die Scheu von Regisseuren, ihre Überlegungen offen vorzutragen). Im Fall Barrie Kosky lässt sich dieses Prinzip des Hinterfragens leicht realisieren: Sowohl im Programmheft als auch in der Theaterzeitung finden sich Aussagen des Theatermachers für das ambitionierte Vorhaben. Einige "Kernsätze" (die nicht diffamierend ausgewählt sind) :

"Gibt es irgendeine Oper, die noch besessener ist von dem Vorgang des Lauschens und Hörens als 'Tristan und Isolde'?"
"Eine endlose Suche nach einer endlosen Melodie."
"Wir konzentrieren uns ganz auf die zwei Charaktere Tristan und Isolde und deren Situation, und das ist für uns eine klaustrophobische Welt."

Da sind sie also, die ernsthaft-konzeptionellen Fragmente eines langandauernden Reflexionsprozesses - und wir Zuschauer sind in der glücklichen Lage zu fragen:

Lassen sich mit diesen Ansätzen die komplex-mythischen Schichten des opus maximum erschließen? Werden diese Fragestellungen heutiger existenzieller Problemlagen gerecht? Werden diese Vorstellungen adäquat ästhetisch umgesetzt? Wie verhalten sie sich zu avancierten Deutungen anderer Regisseure?

Dies alles Revue passieren lassend, kann der kundige Zuschauer zu dem Ergebnis kommen: Die gedankliche Tiefe der Regie-Konzeption ist nicht sonderlich beeindruckend. Die Umsetzung verzichtet auf innovativ-überraschende Varianten. Eine explizit-erkennbare Auseinandersetzung mit der unendlichen Liste von vorangegangenen Inszenierungen findet nicht statt.

Nun soll aber nicht vergessen werden , dass die Regie zwar eine Sichtweise des Werks vermittelt und für das Geschehen auf der Bühne Verantwortung trägt - aber am Ende doch nur Background ist für Musik und Gesang, für Orchester und Sänger, die ihre je spezifischen künstlerischen Vorstellungen konkret Wirklichkeit werden lassen!

Und damit sind wir bei einem weiteren Kriterium für die ach so schwierige Frage nach der Bewertung von Regie-Leistungen: Ist es dem "director" gelungen, alle diese kompetent-begründeten Intentionen zu einem nachvollziehbar fokussierten "Gesamtkunstwerk"  zusammenzuführen - oder ist dies alles nur ein bemühter Versuch?

Eines ist auf alle Fälle klar: Zum Kriterium für die Tauglichkeit einer "Kulturhauptstadt" kann die Bewertung einer einzelnen Veranstaltung mal gar nicht herhalten, sei sie so gut gemeint wie auch immer. Im Gegenteil: Zum erwarteten hohen Standard einer Kulturhauptstadt gehört auch der hohe Standard der eigenen Kritik!

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