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KOMMENTAR

Von Christoph Schulte im Walde
28. April 2008


 
 

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Kultur ist Luxus

Die Provinz – die gibt es eigentlich gar nicht. Die existiert nur in der Vorstellung. Meint man zumindest. Falsch. Die Provinz hat seit dem vergangenen Wochenende einen konkreten Ort: Münster in Westfalen.

Dort waren 220 000 Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines Bürgerentscheids aufgerufen, ihre Stimme abzugeben: Soll die Stadt Münster 12 Millionen Euro zur Finanzierung einer Kongress- und Konzerthalle bereitstellen oder nicht? Die überwältigende Mehrheit, nämlich 70,9 Prozent der zur Wahl gegangenen Bürgerinnen und Bürger votierten gegen diesen Ratsbeschluss vom 24. Oktober 2007, 29,1 Prozent hätten es gern gesehen, würde Münsters Stadtsäckel sich zur Errichtung einer wie auch immer gearteten Immobilie zur Pflege der Kultur spendabel zeigen. Aber damit ist jetzt Schluss, die Jahrzehnte lang gehegten Pläne verschwinden in der Schublade.

Was ist daran provinziell? Ganz klar: die öffentliche Diskussion, wie sie seit etwa einem halben Jahr in Münster gelaufen ist. Eine Diskussion, bei der die Gegner einer Kultur- und Kongresshalle einen Stil an den Tag legten, der als schlichtweg verheerend bezeichnet werden muss. Ein Konzertsaal sei Luxus für die Reichen, sei elitär und diene nur dazu, dass sich die oberen (Zehn-)Tausend ein paar schöne Abende machen können, während – und die Sozialkeule wurde je länger desto erbitterter geschwungen – in Folge eines knallharten Rödl-Gutachtens die Stadt Münster an allen Ecken und Enden an den Armen und Bedürftigen, an Kindern und „sozial Schwachen“ spare.

Das tut Münster in der Tat, und das muss auch kritisiert werden. Aber die Musikhallen-Gegner irren sich, wenn sie glauben, die Nichtrealisierung der Konzertsaal-Pläne trügen dazu bei, die beklagte Rotstift-Politik zurückzudrehen. Was die breite Front der Kritiker geschafft hat, ist eine unglaubliche Polarisierung der Münsteranerinnen und Münsteraner: wer für die städtisch mitfinanzierte Musikhalle ist, ist gegen Schwimmbäder und Kindergartenplätze, Wer für den Bau des Musentempels stimme, verschandele den Hindenburgplatz (der für den Konzertsaal-Neubau vorgesehen ist) und versetze dem Send den Todesstoß.

Der Send? Eine traditionsreiche Kirmes, die dreimal im Jahr für insgesamt 15, 16, 17 Tage Konsum in Form von Karussell und Kamellen bietet! Der Hindenburgplatz? Der mit 40 000 Quadratmetern größte unbebaute innerstädtische Platz in ganz Europa – ein Meer aus Schlaglöchern, das tagsüber als schäbiger Parkplatz ein trauriges Dasein fristet und bei Regen das Geschick eines jeden herausfordert, der versucht, ohne nasse Füße von A nach B zu kommen.

Die Konzertsaal-Gegner, in erster Linie die in Münster ach so kulturell beflissenen Grünen, die Linken inklusive DKP, mutieren zu Rettern von Kirmes und Schlagloch-Wüste – ohne indes zu wissen, was denn eigentlich als Kultur- und Kongresshalle geplant ist. Das können sie auch gar nicht, denn konkrete Pläne existieren nicht, oder genauer: nicht mehr. Um so mehr rieb man sich Augen und Ohren, als aus den Kehlen der Kritiker immer wieder lauthals verkündet wurde: „Rettet den Send“ und „Keine Bebauung des Hindenburgplatzes – freie Sicht auf das Schloss“ – als ob diese Punkte jemals zur Disposition gestanden hätten. Im Gegenteil.

Es ging bei diesem Bürgerentscheid um eine Fundamentalopposition gegen vermeintliche „Leuchtturmprojekte“, gegen eine vermeintliche Elite aus nerztragenden Konzertgourmets. Und mit einer platten Argumentation "Soziales versus Kultur" erreichten die Gegner ein beträchtliches Potenzial an Bürgerinnen und Bürgern, denen das Schwarz-Weiß-Denken leicht fällt. Viele „ganz normale Leute“ ließen sich vor den Karren jener spannen, die im Lager der Kritiker das Wort führten und dabei bisweilen auf Stammtisch-Niveau absackten. Da wurden aus 12 Millionen schnell mal 80, und statt sich mit einer behutsamen Bebauung des Hindenburgplatzes anzufreunden wurde ein völlig irrationales Horrorszenario entwickelt: so versank der Bürger in seine selbstverschuldete Unmündigkeit! Und freute sich anderntags: „Hach, wir haben gesiegt – die Musikhalle ist tot“.

Die Befürworter haben schwere Fehler gemacht, auch das ist überhaupt keine Frage. Sie haben es versäumt, rechtzeitig und wirklich stichhaltig darzulegen, warum Münster eine Musikhalle braucht. Dazu hatten sie jahrelang Zeit. Und sie hatten jahrelang Zeit, ein solides, vor allem langfristig angelegtes Finanzierungskonzept zu entwickeln – mit allem was dazu gehört. Das ist ihnen in keiner Weise überzeugend gelungen.

Die vermeintlich Reichen, die Elite in Münster wird der Ausgang des Bürgerentscheids am wenigsten treffen: dieses Klientel hat Möglichkeiten genug, sich in Essen, Dortmund, Bielefeld oder sonst wo Lang Lang oder Anne-Sophie Mutter anzuhören, die Berliner Philharmoniker oder das Alban-Berg-Quartett zu erleben. Leid kann es einem tun um all die musikalischen und künstlerischen Aktivitäten vor Ort, für die der Bau einer Musikhalle ein Gewinn hätte sein können: die zahllosen Chöre und Orchester, von deren künstlerischem Potenzial - in weiten Teilen geprägt von den vielen Studierenden - die Universitätsstadt seit langem profitiert; die Tausende Schülerinnen und Schüler der örtlichen Musikschulen. Ganz zu schweigen vom städtischen Sinfonieorchester.

Die Kulturszene, die in Münster – gemessen an der Größe der Kommune – unglaublich reich und vielfältig ist, hat einen herben Rückschlag erlitten. Und sinkt herab auf – ein provinzielles Niveau.

Das Furchtbare an dieser ganzen, leidlichen Debatte aber ist, dass Kulturpolitik in Münster zu einem Hassthema geworden ist. Man blickt zurück auf mutige, wegweisende Bauentscheidungen wie nach dem Zweiten Weltkrieg für das Stadttheater oder die 1993 eröffnete, international Aufsehen erregende Stadtbücherei. All dies wird auf Jahrzehnte nicht mehr möglich sein: Und das ist es, was wahre Provinz ausmacht.