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KOMMENTAR

Von Franz R. Stuke
17. Juli 2008


 
 

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Tan Dun – Chinas Musik-Welt

Das Klavierfestival Ruhr – weltweit Zeichen setzend – präsentiert nicht nur den schon zu jungen Lebzeiten legendären Piano-Weltstar Lang Lang, sondern bringt ihn zusammen mit Tan Dun, den großen „Verknüpfer“ europäischer und chinesischer Musik-Kultur.

Die Begegnung mit Tan Dun, seiner so intensiven Vertrautheit mit den chinesischen Musik-Traditionen und den Entwicklungs-Linien der – auch aktuellen - europäischen Musik, wird mit der kommunikativ komplexen „Tan Dun Nacht“ in der Essener Philharmonie zum Aufbruch intensiver Auseinandersetzung mit den faszinierenden Traditionen chinesischer Musik!

Da bereitet Tan Duns Konzert für Pizzicato Piano und zehn Instrumente mit der virtuos-experimentierenden Margaret Leng Tan und bravourös variablen Musikern des WDR Sinfonieorchesters Köln den Schritt zur Verknüpfung mit chinesischen Traditionen und Ansätzen neugierig-machend vor; da demonstriert die junge Pianistin Ran Jia mit Tan Duns Erstlingswerk von 1978 musikalische Empfindsamkeit à la chinois – behutsam intonierend, mit gleitender Dynamik und gefühlsbetonten Fermaten.

Der „Dialog“ zwischen altchinesischem Zheng und Piano ist allerdings der faszinierende Höhepunkt des nachdenklich stimmenden Konzert-Abends. Yuan Li spielt das „Zheng“, ein mehr als zweitausend Jahre altes 21-Saiten-Instrument mit ausgefeilter Bauweise und virtuosen Spiel-Techniken, ein Modell für das philosophisch begründete Musik-Verständnis der chinesischen Zivilisation. Die begnadete Ran Jia – Tan Dun: „Chinas neuer Champion!“ – kontrastiert die uralten musikalischen Ausdrucksformen in rekonstruierten Fassungen für das Piano. Und – höreda – es gibt Gemeinsamkeiten im Ausdruck von Gefühlen, es finden sich simultane Formen des Instrumenten-Spiels, es gibt sehr ähnliche Reaktionen auf die emotionalisierenden Spielweisen -- und offenkundig ähnliche Gefühlswelten in den scheinbar so unterschiedlichen Kulturen.

Tan Dun moderiert sehr „praktisch“ orientiert, vermittelt Grund-Prinzipien altchinesischer und europäischer Musik, interpretiert die emotionalen Grundlagen der Musik, bezieht immer wieder das Musik-Verständnis von John Cage in den Zusammenhang. Philosophische Reflexion – ausgehend von Laotse – bestimmt die Jahrtausende alte chinesische Musik, ist fixiert auf Meditation und Emotion, setzt sich dialektisch-aktuell mit „moderner Musik“ auseinander, findet in den spirituell dominierten Konzepten von John Cage animierende Verknüpfungen.

Es scheint an der Zeit, diesen „cultural approach“ auch für das Musiktheater zu vitalisieren. Shanghai Opera, Beijing Opera, Huangmei Opera, Ping Drama und viele andere bieten eine Fülle von Beispielen der „Aktualisierung“ uralter Traditionen und haben die großartige Chance, Chinas kulturelle Botschaft weltweit zu vermitteln. Gao Wenjung hatte mit seinen „Chinese Women“ beim Amsterdamer Holland Festival großen Erfolg.

Jetzt engagiert sich das Klavierfestival Ruhr für die hoch innovative chinesische Musik. Wenn im kulturbewussten China das Interesse für alte, neu verstandene chinesische Musik und ihre Verbindungen zur europäischen Musik-Kultur explosionsartig wächst – dann ist es an der Zeit, dass auch im „normalen“ deutschen Musiktheater diese Entwicklung operational zur Kenntnis genommen wird. Das ist für die Weltkultur – und die vielbeschworene „gesellschaftliche Relevanz“ – von erheblich größerer Bedeutung als das PR-blinde Schleudern von symbolisch-destruktiven Tibet-Fahnen!