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KOMMENTAR

Von Michael S. Zerban
10. Juli 2008


 
Niemand schläft: Paul Potts begeistert Millionen von Menschen.
 

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1:29‘ – und die Welt ist ein Stück anders

Verloren und einsam, der einsamste Mensch der Welt steht vor dieser Jury. Es ist die Jury einer dieser Casting-Shows im englischen Fernsehen, wie wir sie auch aus Deutschland kennen. Er trägt einen 45-Euro-Anzug, und eigentlich wissen jetzt schon alle, dass sie einen Loser vor sich haben, den sie gleich auseinander nehmen werden. „Was wirst Du singen?“ fragt die Jurorin Amanda Holden. Er hätte nichts Schlimmeres sagen können als das, was er sagt: „Ich werde Oper singen.“ Die Juroren haben gerade noch Zeit, entnervt zu schauen und ihm ein schlabbriges „Ready when you are“ zuzurufen, als „Nessun dorma“ losbricht, aufbricht, um Millionen von Zuschauern Gänsehäute über die Körper zu jagen, Tränen nicht mehr gekannter Gefühle fließen zu lassen. Menschen liegen sich in den Armen; alte, junge Menschen vergessen für einen Moment die Welt um sich herum. Eine Minute und neunundzwanzig Sekunden, die die Welt verändern.

Wer es nicht glaubt, mag sich unter YouTube (hier...) davon überzeugen. Oder Werbefernsehen schauen. Es gibt den einen oder anderen, der sich für T-Online nicht recht zu begeistern vermag; es gibt eine Menge Menschen, die sogar ziemlich viel gegen das Tochterunternehmen der Telekom haben. Fortan müssen wir Abbitte leisten. T-Online ist der Idee seiner Werbeagentur gefolgt und hat einen Werbespot freigegeben und realisieren lassen, der Deutschland bewegen wird. Der Auftritt Paul Potts‘ bei „Britain’s got Talent“, gemischt mit Zuschauerreaktionen jenseits der Mattscheiben von Fernsehern, Handys und Computern, bricht aus der Werberoutine aus, lässt die Menschen aufhorchen, fesselt sie für die Dauer des Spots und macht sie bekannt mit der Arie aus „Turandot“.

Der Hype um Paul Potts, dem Handy-Verkäufer mit dem kaputten Selbstbewusstsein aus Bristol, hat bereits begonnen, und er wird so weit getrieben werden, bis es uns alle wieder langweilt. Aber bis dahin wird T-Online Millionen von Menschen für die Oper begeistern. Menschen, die bislang Oper günstigenfalls als etwas abgetan haben, was sie nicht kennen. Wir wissen nicht, ob sich die Macher der Werbeagentur und die Entscheider von T-Online darüber bewusst waren, was sie da tatsächlich geschaffen haben. Dass sie der Oper eine Gänsehaut-Renaissance verschaffen werden, ist heute schon klar, wenn man sich die Kommentare auf Plattformen wie Amazon oder Clipfish anschaut: „Fetter RESPEKT!“