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KOMMENTAR

Von Franz R. Stuke

1.5.2007


 
 

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Regietheater heute:
Gewalt als Bedrohung v. Integration  

Im aktuellen Musiktheater ist die Zeit eines Regietheaters vorbei, das sich am eigenen bizarren Einfallsreichtum berauscht. Jüngste Erfahrungen machen klar: Im Musiktheater geht es um die brutalen Gefährdungen einer Gesellschaft, die sich in selbstgefälliger Sicherheit wähnt, und „Integration“ als selbstverständlich voraussetzt.

Christine Mielitz lässt den süffisant-zynischen Hagen am Ende der Götterdämmerung triumphierend ins Publikum schauen – die Suche nach dem unheilvollen Ring geht weiter. Peter Konwitschnys Elektra löst mit ihrer traumatischen Rache eine Orgie blutrünstiger Gewalt aus. Bei Calixto Bieito ist die Elektra ohnehin in einer irrational-hysterischen „gutbürgerlichen“ Gesellschaft angesiedelt, die von manischer Gewalt beherrscht wird. Kazuko Watanabe lässt den Werther zu einem unbegriffen-rücksichtslosen Stalker mutieren. Paul Esterhazy macht aus dem elegischen Paul in Korngolds Toter Stadt einen mörderischen Autisten. In Gießen wird die psychisch verwahrloste Salome zur tickenden Zeitbombe; in Heilbronn ist die Lucia Opfer einer psychotischen Bande blutlüsterner Gewalttäter.

Zehn Tage mit intensiv reflektierten Arbeiten stilbildender Theatermacher verdeutlichen den aktuellen Trend des Musiktheaters – das Aufzeigen von Gefährdungen einer pseudo-sicheren Gesellschaft durch rücksichtslose selbstgerechte Einzeltäter, die wiederum Produkte dieser Umwelt sind und das proklamierte Ziel der Integration hintertreiben.

Was Philosophen, Psychologen, Soziologen, Kriminologen, Kommunikationswissenschaftler thematisieren, was Politiker umtreibt, was in den Medien spektakulär daherkommt, was den Alltag vieler Menschen beeinflusst, was das aggressive gesellschaftliche Klima bestimmt : Auf dem Musiktheater wird die Frage nach dem Zustand unserer Gesellschaft virulent und die quälenden Störungen der Integration leidvoll erfahrbar.

Das geschieht nicht mehr in vergeblich-bemühten Anstrengungen, historische Ereignisse oder gar archaische Mythen ins unvergleichbare Heute zu transferieren. Da spielen vielmehr elementare Vorstellungen eines humanen Zusammenlebens eine Rolle, die in nachvollziehbar-adäquates „Theaterhandeln“ übersetzt werden.

So wird Musiktheater zum Vermittler gesellschaftlicher Kommunikation, ist mehr als eine folgenlose Kassandra, bewegt vielmehr den Diskurs um die individuelle Verantwortung für eine menschenwürdige Gesellschaft mit ihrer integrativen Unausweichlichkeit.

Allerdings: Diese kommunikativ-reflektierenden Prozesse gelingen nur bei Beteiligung einer vielschichtigen Öffentlichkeit. Diese zu erreichen, ist eine existentielle Aufgabe für die Theater. Doch: Viele Häuser befinden sich auf gutem Weg. Die angeführten Theater in Dortmund, Stuttgart, Freiburg, Heilbronn, Gießen, Hagen geben Beispiele.

Sie sind Seismographen in der Suche nach den schizophrenen, depressiven und psychopathischen Allmachtsphantasien in einer allgegenwärtigen Gewalt-Gesellschaft. Sie artikulieren eine gesellschaftliche Notlage, sind weit entfernt von einer systemtheoretischen oder kapitalismuskritischen Bestandsaufnahme - sondern artikulieren die allgegenwärtige Ratlosigkeit gegenüber der epochalen Frage:

Woher kommt der Hass?

Und sie lassen sich nicht ein auf das grassierende Missverständnis, dass Ideologiefreiheit Freiheit von Werten bedeutet; sie lassen vielmehr erkennen, dass diese Vorstellung die Ideologie brutaler Egozentrik gebiert.

Musiktheater wird so zum Ort öffentlicher Kommunikation zur wahrhaft existentiellen Frage:

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