KULTUS UND KUNST
Wenn ein Kardinal alle nicht-gott-bezogene Kunst als „entartet“ klassifiziert, fühlt man sich ins Mittelalter, in die Gegen-Reformation, in den Kulturkampf oder ins Dritte Reich zurückversetzt.
Denn dieser Kardinal hat etwas polemisch artikuliert, was alle Dogmatiker seit jeher umtreibt – die Angst vor der Unbotmäßigkeit der freien Kunst, ihre Ablehnung geistiger Freiheit und ihr ungebrochenes Streben nach Sanktionen.
Im konkreten Fall gibt es dem Anschein nach drei Möglichkeiten:
Der Kardinal wollte die ihm nicht genehme Kunst mit einem Etikett versehen, dessen Zusammenhang mit dem Wörterbuch des Unmenschen ihm nicht bekannt war. Das ist aber schon bei einem durchschnittlich gebildeten Zeitgenossen unwahrscheinlich.
Oder er wollte eine überpointierte Trennung zwischen religiöser und profaner Kunst herstellen, dabei der zweiten den Anspruch auf Transzendenz absprechen, und sie damit diskriminieren, dass er den härtest möglichen Begriff wählte. Aber auch das ist eher unwahrscheinlich, da ein katholischer Kardinal ja ein Experte in Sachen Kommunikation ist.
Bleibt Möglichkeit drei: Der Kardinal wählte den Begriff mit seiner ideologischen Aufladung bewusst, um mit der öffentlichen Empörung eine Diskussion loszutreten, in der es um gesellschaftliche Werte, um die Sinnhaftigkeit von Kunst, um deren Bezug zur menschlichen Existenz gehen soll. Aber auch das ist unwahrscheinlich, da die Reaktionen vorsehbar waren.
Also kann nur eine vierte – schreckliche – Deutung den scheinbaren kommunikativen faux pas erklären: Es gibt eine geistige Nähe von klerikalem Absolutheits-Anspruch und totalitären politischen Ideologien!
Und das heißt: Luther hatte Recht mit der Reformation; Bismarck hatte Recht mit dem Kirchenkampf – und die tapferen Kämpfer für eine Kirche von unten, für eine offene Ökumene, für Dialog und Demokratie befinden sich in aussichtsloser Position, wenn denn schon die Diskussion um Kunst derart reaktionär angegangen wird.
Dabei spielt die Frage nach dem Transzendieren und der Vergegenwärtigung von Mythen gerade in der Oper eine nicht unwichtige Rolle: Was bleibt vom Verzweifeln am Willen der Götter und der Abhängigkeit vom unerbittlichen Schicksal, wenn z.B. die Trojaner eine Art Irak-Krieg führen, wenn Medea zum Fall für die Forensik wird?
Aber das sind die Themen, die für diesen Kardinal obsolet sind, handelt es sich doch um griechische Mythologie – und die ist nach seinem Verständnis ohnehin -- „entartet“.
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