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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
9. Dezember 2006 (Premiere)

Aalto-Theater Essen

Points of Honor                      

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Klaustrophobische Qualen

Barrie Kosky wurde für seinen furiosen „Holländer“ seinerzeit vom schockierten Essener Premierenpublikum abgestraft. Nun wollte eben dieses Publikum nicht wieder irren und geriet nach einem tristen Tristan in einen kollektiven Jubelwahn – und liegt falsch (wie fast immer).

Kosky assoziiert im Programmheft Gedankensplitter von der „endlosen Suche nach der endlosen Weise“ und realisiert auf der Bühne das endlose Warten auf die erotische Leidenschaft. Die Protagonisten tauschen konventionelle Bewegungen aus, ab und an wird das wenig animierende Geschehen durch pseudo-realistische Highlights aufgemöbelt: da findet sich Morolds abgeschlagener Kopf im Eiskübel, da agiert Kurwenal als blutbeschmierter Sanitäter, und Tristan kämpft seinen Todeskampf im gestreiften Bademantel mit breitgestellten Beinen und weit ausgebreiteten Armen – Dittsche ist offenbar von der Alster nach Kareol gewandert.

Eine tiefere Bedeutung vermitteln die Spielnischen Klaus Grünbergs: eine Achtquadratmeter-Kajüte im ersten Akt, eine ebenso beengte Zelle im zweiten – die sich auch noch dreht! –, und eine gleich großer Container im dritten Aufzug: der ist allerdings auf der sichtbaren tiefschwarzen riesigen Bühne platziert, ist von einigen Schäfchen umgeben und wird von Äste tragenden bretonischen Hirten umwandert. Offenbar bedingen die klaustrophobischen Qualen die Todessehnsucht der ausweglos Isolierten.

Evelyn Herlitzius ist stimmlich eine verletzt , meditative und absolut verinnerlichte Isolde. Sie inkarniert ein Frauenbild tief empfindender Intensität – allerdings beeinträchtigen einige Schärfen in den Forte-Höhen den überwältigenden Eindruck. Jeffrey Dowd hat sich auf die strapaziöse Tristan-Rolle intensiv vorbereitet, und es gelingt ihm eine achtunggebietende Sängerleistung. Die fulminante heldentenorale Strahlkraft geht ihm ab, aber er setzt seine Möglichkeiten so effektiv ein, dass ihm der mörderische dritte Akt eindrucksvoll gelingt. Darstellerisch ist er der „good boy next door“, der das unerwartete tragische Schicksal nicht verkraften kann. Heiko Trinsinger läuft zum Ende als Kurwenal zu großer Form auf; Ildiko Szönyi wird als Brangäne zur Hausdame reduziert, hat mit ihrem kräftigen Mezzo dabei wenig Gelegenheit zu grandioser Brillanz, und Marcel Roscas Marke dröhnt unbegriffene Enttäuschungen in statischer Manier; Günter Kiefer bleibt für den aggressiven Melot die Chance zur Demonstration seiner ungemein kraftvollen Stimme.

Stefan Soltesz orientiert sich an den Interpretationen von u.a. Böhm und Knappertsbusch – also dezidiert konservativen Wagner-Deutern (warum nicht Busch oder Klemperer?) und betont Rhythmik, Harmonien und Dissonanzen in ihren „narkotisierenden“ Wirkungen. Heraus kommt ein extraordinär sinfonischer Orchesterklang, der von den Essener Philharmonikern in bewundernswerter Perfektion umgesetzt wird.

Diese musikalische Drogen-Verabreichung bleibt beim Premieren-Publikum nicht ohne Wirkung – es reißt von den Sitzen und der Soltesz-Wagner-Furor überträgt sich auf das lahmende Regie-Team! (frs)


Fotos: © Matthias Jung