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KOMMENTAR

von Franz R. Stuke
(31.Oktober 2007)


 
 

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Die Zukunft des Operngesangs

Seit zwanzig Jahren ist Gütersloh das Mekka junger Stars des Operngesangs. Intendanten, Agenten, Kritiker verfolgen den Wettbewerb Neue Stimmen weltweit mit wachsamem Interesse.

Stars wie Nathalie Stutzman, Andrzej Dobber, Vesselina Kasarova, Rene Pape, Sonia Zlatkova, Michael Volle, Laura Polverelli, Sami Luttinen gehören zu den Preisträgern.

August Everding war der erste Jury-Präsident, Gerard Mortier folgte ihm, Gustav Kuhn ist von Anfang an der „künstlerische Leiter“, Brian Dickie seit Jahren der souveräne Chef der „Vorauswahlen“ in 23 Städten in allen Kontinenten. In der Jury fanden sich Größen der Opern-Szene wie Erika Köth, Elisabeth Schwarzkopf, Josef Metternich, Birgit Nilsson, Ioan Hollender, Edda Moser, Brigitte Fassbaender, Kurt Moll.

Von Anfang an ging es nicht um einen „Talent-Wettbewerb“, sondern um die Präsentation „junger Stars“.

Das war 1987 noch ein abenteuerliches Vorhaben -- befürchteten Szene-Beherrscher wie Karajan doch das Absterben der Opern-Kultur mangels junger Gesangs-Enthusiasten.

Mittlerweile ist Opern-Gesang zu einem weltweiten Highlight geworden -- in Ost-Europa, in Amerika und Australien, aber vor allem in China, Japan, Korea werden Opernsänger mit hoher Kompetenz und intensivstem Engagement ausgebildet. Die vielfältig irritierende und Strukturen zerstörende Globalisierung hat für den sängerischen Standard eine außerordentlich stimulierende Wirkung. „Oper“ ist zum Ausdruck der Weltkultur geworden!

Der Wettbewerb Neue Stimmen erlebt diesen epochalen Prozess seit Jahren, begleitet ihn mit der bewundernswerten Leidenschaft seiner Initiatorin Liz Mohn und den finanziell mäzenatischen Möglichkeiten der gesellschaftlich-offenen Bertelsmann-Stiftung – und präsentiert Anno 2007 einen Triumph sondergleichen: 46 Sänger kommen nach Gütersloh, singen das Opernrepertoire rauf und runter -- und alle sind ausnahmslos „bühnenreif“, bewegen sich mit ihrer sängerischen „Qualität“ auf dem Niveau höchster Opern-Anforderungen. Zur Bewertung heranzuziehende Kriterien wie Intonationstechnik oder Phrasierungskunst lassen keine Unterschiede erkennen.

Die hochkarätige Jury mit Francisco Araiza als Präsident hat mit den Kategorien Stimmtechnik, künstlerischer Ausdruck, Persönlichkeit und Präsentation Probleme mit der Hierarchisierung der Leistungen -- die Unterschiede sind minimal, Differenzierungen sind durch eher subjektiv-sensible Einschätzungen bestimmt.

Und da zeigt sich die Sonderstellung der Neuen Stimmen: Es geht nicht um technokratische Vorgaben, es gibt keine knallharte Konkurrenzsituation, es geht nicht um intrigierende Taktiken: Jury und Kandidaten finden sich zu einer kooperierenden community -- die einen geben in geschütztem Raum ihr Bestes, die anderen sind kompetent hilfreiche Berater.

Die jungen Sänger mit ihrer Zerbrechlichkeit, ihren Motivationen und Identifikationen stehen im Mittelpunkt des Geschehens. Eine Atmosphäre der Menschlichkeit bestimmt den Wettbewerb; Verantwortung für die jungen Sänger und Vorbereitung auf den Druck des Opernbetriebs sind permanente Maxime der vertrauensvollen Kommunikation.

So kann Julia Novikova ihre zauberhaft ziselierte Glöckchen-Arie aus Delibes’ Lakme in voller Konzentration vortragen; so gelingt der späteren Siegerin Marina Rebeka eine Gounod-Margarete mit selten hörbarer Differenzierung von Unschuld und Begehren; so beeindruckt Takesha Kizart als Strauss-Ariadne mit faszinierenden dunklen Tönen und einem stimulierenden Vibrato; so ist unglaublich, wie der 21jährige Fernando Javier Rado die zerstörte Gefühlswelt Philipps (Verdis Don Carlos) mit höchster Intensität interpretiert; oder wie Christiane Karg Händels „Piangero ...“ in allen Gefühlsnuancen interpretiert.

Sie alle – ob früh ausgeschieden, im Semifinale am Ende, im Finale auf den Plätzen – fühlen sich als „Gewinner“. Sie alle nehmen eine Gewissheit mit nach Hause: Sie sind die Neuen Stimmen!

Ein Glücksfall für den Wettbewerb: die Duisburger Philharmoniker! Für den erkrankten Jonathan Darlington wird der junge Hendrik Vestmann engagiert – und er korrespondiert mit den jungen Sängern auf beglückende Weise! Übereinstimmung mit den hoch motivierten Musikern, perfekte Vertrautheit mit den unterschiedlichen Idiomatiken der wechselnden Komponisten, Unterstützung der Sänger in ihrer großen Anspannung – das gerät im Finale zu einem musikalischen Kommunikations-Ereignis der Extra-Klasse!

Entscheidend für den Erfolg des Wettbewerbs ist über den momentanen Eindruck das weitere Bemühen um die jungen Sänger: Im nächsten Jahr werden alle an Meisterkursen teilnehmen!

Bemerkenswert die von den Jury-Mitgliedern geäußerte Kritik an den gewinnorientierten Agenten und den deutschen Opernhaus-Intendanten, die zu wenig für die Nachwuchsförderung tun.

Schade allerdings, dass die vorgetragenen Arien sich mit wenigen Ausnahmen in ausgetretenen Pfaden bewegen. Mozart spielt keine Rolle, die Barock-Oper bleibt unbeachtet, deutsche Romantik ist ausgeblendet, moderne Kompositionen sind offenbar tabu, aber auch amerikanische Opern-Musik wird offensichtlich nicht goutiert. Da muss die Frage erlaubt sein: Sind die Neuen Stimmen ein Museum der Donizetti, Rossini, Bellini, Verdi?

2009 wäre es doch schön, auch Berg, Schönberg, Glass oder Glanert zu hören -- von Monteverdi, Händel oder Weber ganz zu schweigen.

Dieser Herausforderung muss sich der so innovative Wettbewerb stellen: „Stimmen“ gibt es in unterschiedlichen Formen -- und bei der Auswahl darf doch nicht die Akzeptanz des Honoratioren-Publikums in der Gütersloher Stadthalle eine Rolle spielen!