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KOMMENTAR

von Franz R. Stuke
12. Oktober 2007


 
 

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BLUFF DES JAHRES?

Unsuk Chins „Alice in Wonderland“ ist die „Uraufführung des Jahres“, Bremens Theater und die Berliner Komische Oper sind die „Opernhäuser des Jahres“,Janaceks „Aus einem Totenhaus“, inszeniert von Patrice Chereau, musikalisch umgesetzt von Pierre Boulez, ist die „Aufführung des Jahres“ usw. usf.

Ultimativ werden diese Befunde nicht nur der Fach-Öffentlichkeit mit Aplomb vorgestellt. Und die renommierte Fachzeitschrift Opernwelt widmet diesen apodiktischen Botschaften 128 Seiten ihres Jahrbuchs Oper 2007.

Bei der Lektüre der erfreulich transparenten Materialien wird deutlich:

Befragt wurden 50 Kritiker unterschiedlichster Provenienz – und vier (4) von ihnen votierten für „Alice“, je sechs (6) von ihnen für Bremen und Komische Oper, zwölf (12) für das „Totenhaus“!

Nun sind die Plaketten ja an die Richtigen vergeben worden – so wie es angemessen ist, Christine Schäfer als „Sängerin des Jahres“ zu verehren; Stefan Herheim als „Regisseur des Jahres“ zu bestaunen; oder das Kuddelmuddel an der Deutschen Oper Berlin als „Ärgernis des Jahres“ zu brandmarken -- nur stellt sich die Frage nach Validität und Signifikanz dieser Ehrungen.

Ein statistisches Grundprinzip besagt, dass jedes Element die gleiche Chance haben muss, bei einer Umfrage berücksichtigt zu werden. Und davon kann nun bei der Opernwelt-Umfrage keine Rede sein: Die Auswahl der befragten Kritiker ist nicht offen; deren Erfahrungen sind begrenzt – nicht alle Opernhäuser, Aufführungen, Sänger, Regisseure hatten die gleiche Chance, berücksichtigt zu werden.

Was soll man von einer „Wahl“ halten, bei der schon vier (4) Votierungen als spektakuläres Resultat vermittelt werden?

Zu rechtfertigen ist ein solches Verfahren nur durch die Plausibilität der ermittelten Namen. Das aber ist nur eine Selbst-Bestätigung blasierter Selbstreferenz eines hermetischen Feuilleton-Systems, das seine kommunikativen Funktionen partout nicht kapieren will.

Abseits aller methodologischen und systemtheoretischen Bedenken:

Die Ignoranz gegenüber den allabendlich an 130 bundesdeutschen Musiktheatern erbrachten Leistungen ist ein Armutszeugnis für den Kenntnisstand der „Branche Feuilleton“.

Journalistisch formuliert: Es gilt die Lücke zu schließen, die zwischen lokaler Haus- und elitärer Hof-Berichterstattung klafft.

Das Opernwelt-Spektakel wird dieser Aufgabe nicht gerecht, ignoriert die äußerst kreative Welt des Musiktheaters in ihrer präsenten Vielfalt.