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KOMMENTAR

Von Stefan Ulbrich und Franz R. Stuke
18. Januar 2008


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Editorial

"Entsetzen und Schrecken erstarren das Blut"
- zum Fall Nokia Bochum

In den letzten Tagen haben sich viele Leute zur geplanten Schließung des Nokia-Werkes in Bochum zu Wort gemeldet. Sollen sich die Herausgeber des Opern-Portals Opernnetz.de auch noch dazu äußern? Wir meinen: ja!

Was hat die Berichterstattung über Oper mit dem Nokia-Werk zu tun? Wir sind in dieser Region verwurzelt und nehmen Anteil an dem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Geschehen vor Ort. Unser Mitgefühl gilt all denjenigen, deren wirtschaftliche Existenz durch die geplante Werkschließung gefährdet ist, die in diesen Tagen von Angst, Wut und Entsetzen über den drohenden Verlust ihrer Arbeit geplagt sind.

Immer wieder nehmen auswärtige Besucher mit Erstaunen zur Kenntnis, dass im Ruhrgebiet auf dem Weg zur Metropolregion eine „Operndichte“ besteht, die nicht nur deutschlandweit einzigartig ist. Die Grundlage für das Aufblühen und den Erhalt von städtischen Opernhäusern wie Essen, Dortmund, Duisburg/Düsseldorf, Gelsenkirchen oder Hagen sowie von hochkarätigen Festivals wie die RuhrTriennale ist das lebendige Interesse der Menschen dieser Region an Kultur. So ist es nur natürlich und stimmig, dass die Kulturträger ihrerseits Stellung beziehen zu den drängenden sozialen Problemen.

Was zur Zeit rund um Nokia geschieht, geht auch den nicht unmittelbar Betroffenen „unter die Haut“. Der Fall Nokia hat in vielerlei Hinsicht Symbolkraft. Es ist zum einen die kühle unternehmerische Entscheidung, das Werk kurz nach Ablauf der durch die Subventionsgewährung vorgeschriebenen Frist zum Arbeitsplatzerhalt zu schließen, die den Unmut und die Vorbehalte gegenüber einer bestimmten Form der entgrenzten, hemmungslosen, den Menschen aus dem Blick verlierenden Unternehmenspolitik auf den Namen Nokia Bochum verdichtet.

Zum anderen wird der Fall Nokia aber auch zum Symbol dafür, wie es ein Unternehmen schafft, innerhalb kürzester Zeit sein über Jahre mühsam aufgebautes Image nachhaltig zu beschädigen. Der Fall Nokia wird so zu einem Symbol für eine Entwicklung unserer Zeit, in der die immateriellen Güter wie Marken und Images zunehmend an Bedeutung gewinnen. Daher erstaunt die Blindheit von Nokia gegenüber diesen Fragen sehr. Die aktuelle Diskussion über die Werkschließung wird von „materiellen Fragen“ geprägt: Wurden die Subventionen zu Unrecht ausgezahlt und können sie zurückgefordert werden? Wie hoch sind die Produktionskosten und wie lassen sie sich senken? etc.

Die Frage nach dem immateriellen Gut der Marke Nokia blieb bisher aber eher im Hintergrund. Sie wird nur am Rande im Zusammenhang mit den Boykott-Aufrufen gestreift. Ein Boykott zielt mit der Kaufverweigerung zunächst auf die materielle Dimension.

Die Frage nach der Beschädigung des immateriellen Gutes der Marke Nokia dürfte das Unternehmen in ungleich stärkerem Maße in Sorge versetzen. Stand Nokia bislang für technische Innovation und schickes Design, vermittelte Sympathie und Coolness, kann man jetzt eine Umwertung der Markeninhalte im Zeitraffertempo beobachten. Die öffentliche Rückgabe ihrer Nokia-Handys durch die Bundespolitiker Struck und Seehofer belegen diesen Prozess, dem höchstwahrscheinlich weitere Aktionen folgen werden. Auf dem Handy-Markt mit kurzen Produktzyklen sind Technik und Preis nicht mehr die entscheidenden Faktoren für die Kaufentscheidung, sondern das Image der Marke. Mit der Verweigerung jeglicher Kommunikation über einen Standorterhalt setzt Nokia die Umwertung ihrer Marke weiter fort: Sie wird zu einem Symbol für Arbeitsplatzzerstörung und für eine Unternehmenspolitik, die sich ihrer sozialen Verantwortung entledigt hat. Es ist wirklich bemerkenswert, in welchem Tempo dieser Prozess fortschreitet und der smarte Skandinavier zur unsympathischen Figur mutiert ist. Wenn nun auch noch die Meinungsführer aus der Popkultur, die Stars und Sternchen, die öffentliche Beschädigung der Marke Nokia fortsetzen, die von den Politikern begonnen wurde, wenn es auf dem deutschen Handy-Markt „uncool“ ist, ein Nokia-Handy zu besitzen, wird auch der materielle Schaden für das Unternehmen größer sein als die Kostenersparnis durch die Werkschließung.

Hier schließt sich der Kreis: Die mangelnde Pflege einer nachhaltigen Unternehmenskultur hat zunächst dramatische Auswirkungen auf die einzelnen Beschäftigten. Hierzu dürfen auch die Kulturträger nicht schweigen. Mit den Worten Albert Lortzings aus dessen Oper Regina: „Entsetzen und Schrecken erstarren das Blut“.

 

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