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KOMMENTAR

Von Christoph Schulte im Walde
27. September 2008


 

Dirigent Kurt Masur boykottiert bis auf Weiteres die Essener Philharmonie.



Intendant Michael Kaufmann
 

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Kulturhauptstadt Essen?

Der Rausschmiss von Philharmonie-Intendant Michael Kaufmann schlägt hohe Wellen, die sich so schnell nicht werden glätten lassen. Dirigent Kurt Masur boykottiert das Haus und ließ am Donnerstag (25. September) über sein Büro eine Erklärung verbreiten: „Ich bin entsetzt über die plötzliche Entlassung von Michael Kaufmann. Michael Kaufmann ist der fähigste und wertvollste Intendant, den es in Deutschland gibt“. Ohne Kaufmanns „leidenschaftliche Identifizierung“, so Masur weiter, seien die „ersten Jahre der Essener Philharmonie mit diesem großen internationalen Ruf überhaupt nicht denkbar.“

Unter Masurs Leitung soll das Concertgebouw-Orchester aus Amsterdam im Dezember 2008 in Essen gastieren, das Haus ist bereits ausverkauft. Ob statt Masur ein neuer Dirigent eingesetzt wird, ist noch unklar.

Inzwischen sind etliche Einzelheiten bekannt geworden, die zu der Entscheidung des Aufsichtsrates der Theater und Philharmonie Essen GmbH (kurz: TuP) geführt haben, Kaufmann zu entlassen. So habe der Intendant im Laufe der beiden zurückliegenden Spielzeiten den ihm zur Verfügung stehenden Etat um 1,5 Millionen Euro überzogen, allein der Werbeetat sei um 140 000 Euro zusätzlich beansprucht worden. Außerdem habe es Einnahme-Ausfälle in einer Größenordnung von einer halben Million Euro gegeben.

Dies alles sind kaum zu bestreitende Fakten. Doch stellt sich sehr schnell die Frage nach der Arbeit des 13köpfigen Aufsichtsrates. Der habe, so Kulturdezernent Oliver Scheytt am 23. September 2008 in einem Interview des Westdeutschen Rundfunks, Michael Kaufmann immer wieder auf die „wiederholte eigenmächtige Etatüberschreitung“ hingewiesen und um entsprechendes Handeln gebeten. War Kaufmann uneinsichtig? Hat er die etliche Monate lang angetriebenen Alarmsirenen überhört, wollte er sie überhören? Hier und dort wird darüber gesprochen, Kaufmann sei so etwas wie beratungsresistent gewesen, habe die Zahlen falsch gedeutet. Aber rechtfertigt das den herben Schnitt, die fristlose Kündigung – 15 Monate vor Beginn des Jahres 2010, in dem sich Essen und das Ruhrgebiet als europäische Kulturhauptstadt präsentieren wollen? Zumal es noch nicht lange her ist, dass Kaufmanns Intendanten-Vertrag ohne große Not bis zum Jahr 2013 verlängert worden ist.

Die Finanz- und Auslastungsprobleme der Philharmonie sind schon seit längerem bekannt, auf den Tisch kommen sollten sie aber erst nach Ablauf des Jahres als Kulturhauptstadt. Das hat einigen wohl nicht gepasst, wohl auch nicht dem Gesamtbetriebsrat der TuP, der die Entlassung Kaufmanns begrüßt. Der Intendant habe „den gesamten Betrieb mit seinen 700 Mitarbeitern im Aalto-Theater, im Schauspiel Essen und in den Werkstätten in Gefahr gebracht.“ Da ist dem Betriebsrat offenbar das Hemd näher als der Rock, da schwingt die Angst um den eigenen Arbeitsplatz mit. Gleichwohl klingen die Worte arg übertrieben.

Grundsätzlich stellt sich indes die Frage, wie kurzsichtig Essens Kulturpolitiker waren, als sie sich entschlossen haben, aus dem alten Essener Saalbau eine Hochglanz-Philharmonie zu machen mit einem Fünf-Sterne-Programm, das weit in die Region und über sie hinaus strahlt. Jeder mit einem halbwegs klaren Verstand ausgestattete Mensch weiß, dass die Folgekosten für den Betrieb eines solchen Saales – er ist mit 1900 Plätzen schon ziemlich riesig – nicht unerheblich sind. Das weiß man bereits aus den Erfahrungen, die in Dortmund gemacht wurden. Auch im dortigen Konzerthaus fuhr der Gründungsintendant Ulrich Andreas Vogt schlechte Zahlen ein – und wurde geschasst. Das ist gute drei Jahre her. Seltsam, dass es immer die Intendanten sind, die gehen müssen. Dabei sind für die Wirtschaftlichkeit eines Kulturbetriebes weit mehr Leute im Management verantwortlich. Und halt auch die Kommunalpolitiker, die sich bislang gern im Glanz des edlen Philharmonie-Ambiente gesonnt haben und die wissen müssen, dass ein Rolls Royce unter den Konzerthäusern mehr Unterhalt kostet als ein Volkswagen. 42 Millionen Euro liegen jährlich im Etat der Theater und Philharmonie Essen, Oper und Schauspiel haben in den vergangenen Jahren ordentlich geblutet und sind längst an die Grenzen des Sparens gekommen. Mehr Geld durch mehr Sponsoren? Kaufmann hatte gute Verbindungen zu potenten Partnern, deren Finanzspritzen konnten die Defizite der Essener Philharmonie bislang auffangen. Wäre da nicht ein etwas längerer Atem ratsam gewesen, sich weiter um Gelder aus dieser Richtung zu bemühen? Stattdessen wurde bei der Diskussion um die Philharmonie auch bekannt, dass die Stadt Essen ihre geplanten Kulturhauptstadt-Aktivitäten unter anderem dadurch finanziert, dass woanders gestrichen wird. Das hält NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Große-Brockhoff für bedenklich: „Es geht nicht, dass eine Stadt das Geld, was sie für die Kulturhauptstadt zahlt, im Kulturbereich wieder einspart.“

Mit Michael Kaufmann jedenfalls ist ein wichtiger Kopf für dieses wichtige Jahr gefallen, die Essener Kulturpolitik macht sich bundesweit zum Gespött der Feuilletons. Und auch in der lokalen Presseberichterstattung macht sich Kopfschütteln breit, zeigt man sich peinlich berührt. Unter dem Motto „Der Mohr kann gehen, die Kulturpolitik bleibt“ kommentiert Wolf Mämpel in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Sein Fazit: Der ganze Vorgang sei „einfach provinziell und passt nicht zu dem europäischen Anspruch, den die Stadt immer so gerne auf ihre Fahnen schreiben will.“ (WAZ vom 23. September 2008). Dem ist nichts hinzuzufügen.