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KOMMENTAR

von Franz R. Stuke
5. April 2011


 
 

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Was für ein Dilemma

Da übertragt arte am 5. April aus der Wiener Staatsoper (live?) Donizettis Anna Bolena – und präsentiert damit eine Opern-Aufführung, die zu den modernsten der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zu zählen ist.

Eric Genoveses Regie-Einfallslosigkeit entspricht dem Niveau eines total unbegabten und unambitionierten Regie-Assistenten – kostümierte Konzerte sind dagegen Highlights überschäumenden Regie-Theaters!

Nun wird ja kein historisch-kritisches Sittenbild erwartet – schon gar keine aktualisierte Problematik mit politischen Verweisen; aber es geht um elementare menschliche Leidenschaften – um Liebe, Eifersucht, Intrigen, Rache, Wahnsinn, Tod: Und da stehen die rampensingenden Protagonisten hilflos herum, gestikulieren klischeehaft, werden von der Regie schlicht hingestellt nach dem Motto „Hebt hier einmal ein Bein – Faltet mal die Hände – Lehnt euch mal ans Bühnenportal – Wickelt euch in den Vorhang“.

Der Chor – ach der Wiener BeamtInnen-Chor – tritt auf und ab wie eine Abordnung des josefinischen Präsentierregiments: bloß kein Schritt zuviel, bloß kein Engagement!

Und dann das Wiener Staatsopern-Orchester: ruppig im Klang, immer näher am störrischen Humptata-Ton als am Donizetti-Ingenium. Evelino Pido hat als Dirigent kaum eine Chance, diese Versammlung älterer Herren zu leidenschaftlichem Spiel zu animieren.

Jacques Gabels Bühne besteht aus einfallslosen grauen Mauern, uninspirierter Monumental-Architektur mit nichtssagender Aura.

Aber dann: Dies Bühnen-Desaster wird von Brian Larges TV-Regie korrigierend aufgefangen, durch behutsame Bildwechsel entsteht der Eindruck eines an- und abschwellenden Gefühlsdramas – mit Unterstützung „atmender“ Kameras, den Bewegungen der Akteure emphatisch folgend, ohne übertriebene „Star“-Porträts.

Und als „Belohnung“ für alle, die das Optische – mit Hilfe Brian Larges – aushalten: Anna Netrebko mit ihrer emotionalisierenden Jahrhundertstimme; Elina Garanca – eine Offenbarung wie ein Hitchcock-Star mit einem Mezzo voller Zwischentöne; Ildebrando d’Arcangelo mit seinem Macho-Bassbariton und der Attitüde eines italienischen calcio-Stars; und die zauberhaft intonierende junge Elisabeth Kulmann. Sie vermitteln authentischen Musiktheater-Gesang auf epochalem Niveau!

Und: Die Untertitel mit schöner gelber Schrift sind lesbar, stören nicht die Ästhetik der Bilder.

Aber – noch ein Aber: arte benennt die Länge der Oper mit 150 Minuten, verweist im Programmheft auf „Alles Bakschisch“ um 22.45 Uhr. Anna Bolena beginnt um 20.15 Uhr – endet um 23.45 Uhr! Ja, verflixt, gibt es beim produzierenden ORF und dem Kultursender arte keinen „Experten“, der sich in den zeitlichen Dimensionen einer nicht so ganz unbekannten Oper auskennt?

Das affektierte Gesäusel von Barbara Rett – die Dominique Meyer das Mikro vors Gesicht knallt, dessen biedere Sprüche Sehnsüchte nach Ioan Hollender wecken – kann in der Pause ausgeblendet werden: Man erlebt das 3 zu 2 und das 4 zu 2 von Schalke bei Inter Milan im San Siro-Stadion!

Wie sagte schon der legendäre Bill Shankly vom gloriosen Liverpool FC? „Forget Covent Garden: Anfield Road, that’s real opera!“

Und was ist die Wiener Staatsoper im Vergleich zu Covent Garden?

So kann ein arte-Abend unerwartete Erkenntnisse auslösen: Dank ans schludrige arte und die aus der Zeit gefallene Museums-Oper in Wien!

Franz R. Stuke

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