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KOMMENTAR

von Michael S. Zerban
13. April 2011


 
 

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Funkstille statt Kultur

Erschreckend, wie die Geldgier der Bundesregierung sich über alles hinwegsetzt, was den Menschen wertvoll und wichtig ist. Wir reden über Kultur. Neuestes Beispiel ist etwas, mit dem der „Normalbürger“ sich eigentlich überhaupt nicht auseinandersetzen will: Funklizenzen. Da wittern die Mobilfunkbetreiber ein Riesengeschäft, indem sie Funklizenzen aufkaufen und damit die Übertragung von Daten auf Smartphones, also Mobilfunkgeräte, mit denen man oft auch noch telefonieren kann, der nächsten Generation beschleunigen kann. So haben die Mobilfunkbetreiber eben die Lizenzen für Funkbereiche erwerben können, die den Datentransfer beschleunigen. Ein wenig Schwund ist immer. Dass auf genau diesen Frequenzen die Funksysteme von Theaterbetrieben arbeiten, wird billigend in Kauf genommen. Zeichen unserer Zeit: Dann müssen die eben weg.

Wir hören heute Kultur auf höchstem Niveau. Kleine Ohrbügel, kaum sichtbar, sorgen dafür, dass Besucherinnen und Besucher von Kulturveranstaltungen den Klang von Wort und Musik in höchster Qualität erleben. Eine Qualitätsstufe, die heute schon zum Standard zählt. Will sagen: Kaum ein Theaterbetrieb kann darauf verzichten. Von der Koordination im Backstage-Bereich ganz zu schweigen. Damit ist irgendwann Schluss. Irgendwann? Exakt. Weder die Bundesregierung noch die Mobilfunkbetreiber äußern sich näher dazu, wann die Frequenzen von den Mobilfunkbetreibern belegt werden. Besucherinnen und Besucher werden also irgendwann in einer Veranstaltung sitzen, nichts Böses ahnend, und plötzlich nur noch ein Rauschen hören. Auf diese Art und Weise erfahren die Theaterbetriebe davon, dass die Mobilfunkbetreiber die 3.000-mal stärkeren Sendestationen in Betrieb genommen haben.

Spätestens dann wird es Zeit für die Theater, sich um neue Funkanlagen zu kümmern. Vorher gibt es dazu kaum eine Gelegenheit, weil die Haushalte der Theater kaum hergeben, einfach mal eben eine neue Funkanlage zu installieren. Inklusive zugehöriger Technik kommt ein einzelnes Mikrofon im Profibereich auf mehrere tausend Euro. Für eine mittlere Produktion werden 10 bis 30 Stück benötigt. Hinzu kommt, dass den Theatern bis heute niemand sagen kann, welche technischen Anforderungen eine neue Anlage erfüllen muss.

Zuständig fühlt sich für die Investitionen niemand. Die Mobilfunkbetreiber sehen ihre Pflichten mit der Zahlung der Lizenzen abgegolten, die FDP als Regierungspartei warnt vor „Überkompensationen der Kulturbetriebe“. Der überbordende Zynismus von Menschen, die eine „freie Marktwirtschaft“ fordern. Das Schlimme daran ist, dass die Theaterbetriebe sich in einer Situation der völligen Hilflosigkeit befinden. In etwa so wie der einzelne Bürger, der versucht, einen Vertrag bei einem Mobilfunkbetreiber zu kündigen. Die Kündigung wird einfach ignoriert, da soll die Gegenpartei doch mal versuchen, aus so einem Vertrag herauszukommen.

Dass Mobilfunkbetreiber sich bar jeder sozialen Verantwortung fühlen, ist bekannt. Dass die Regierung sich längst nicht mehr um das Volk und dessen Bedürfnisse kümmert, sondern stattdessen den Interessen von Wirtschaftslobbyisten verpflichtet ist, verdeutlichen die Regierungsparteien tagtäglich. Wenn allerdings eine Regierung dem Volk „Brot und Spiele“ verweigert, gerät auch eine demokratische Republik in eine kritische Situation.

Auch wenn die Regierung es noch nicht verstanden hat: Es gibt Handlungsbedarf. Die Theaterbetriebe müssen erfahren, wann sie betroffen sind. Sie müssen Gelegenheit bekommen, die richtige Technik aufzurüsten. Und sie müssen dafür finanziell ausgestattet werden. Das ist bei einer Einnahme für den Verkauf von Funklizenzen in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro nicht zu viel verlangt. Ohne wenn und aber. Wer die Systeme ändert, muss auch dafür sorgen, dass sie weiter funktionieren. Egal, ob eine freie oder doch lieber eine soziale Marktwirtschaft angedacht ist.

msz

Detaillierte Informationen zu den Funkstörungen im Theater gibt es hier.

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