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KOMMENTAR

September 2012


 


 

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Erfolg mit Fragezeichen

Die erste Ruhrtriennale unter der Ägide von Heiner Goebbels neigt sich dem Ende zu. Das mediale Interesse an dem Ereignis war hoch. Schon jetzt verbreitet die Festivalleitung die Zahlen ihres Erfolgs. Trotzdem bleiben Fragen – nicht nur an Goebbels, sondern auch grundsätzlicher Art.

Nach dem glanzvollen Abgang Willy Deckers mit der letzten Ruhrtriennale waren die Erwartungen an die neue Intendanz von Heiner Goebbels hoch – und wurden im Vorfeld mächtig hoch geschraubt. Von Avantgarde war da die Rede, von Fragen an die Zukunft des Theaters, von Trends, die zu setzen sind oder jedenfalls entdeckt werden müssen. Keine Gazette, in der Intendant Goebbels nicht wenigstens mit einem Interview auftauchte. Solch fleißige Kommunikationsarbeit muss belohnt werden. Und so überschlägt sich die Festivalleitung nun auch – noch vor dem letzten Wochenende der Triennale – vor Freude über die Erfolge der pompösen Veranstaltung.

Rund 900 internationale Künstlerinnen und Künstler habe Goebbels in die „Metropole Ruhr“ gebracht. Mit über 30 Produktionen, darunter rund 20 Uraufführungen, Neuproduktionen und Deutschlandpremieren seien in „spektakulären Aufführungsorten“ gezeigt worden. Und es wird noch bunter: Rund 50.000 Zuschauer haben die Verantwortlichen gezählt, was einer Auslastung von etwa 85 Prozent entspräche. Abzuziehen davon sind rund 20.000 Zuschauer, die bei Ausstellungen und Installationen zugegen waren. Weiter sind abzuziehen die Mehrfachbesucher, von denen es reichlich gegeben haben dürfte. Bleiben also großzügig etwa 20.000 Zuschauer, die die Veranstaltungen der Ruhrtriennale in anderthalb Monaten besucht haben. Bei solchen Zahlen würde Disneyland Paris sofort seine Pforten schließen. Sie finden, der Vergleich hinkt? Für diese anderthalb Monate stellt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen rund 11 Millionen Euro an Subventionen zur Verfügung.

Es gibt im Ruhrgebiet kaum eine Spielstätte, die nicht um ihre Finanzen kämpfen müsste. Spielstätten, die sich Jahr für Jahr mit kleingeistigen Sparprogrammen irgendwelcher Stadträte auseinandersetzen und um ihre Zukunft fürchten müssen. Profitieren die von den Subventionen? Nein. Stattdessen wird an „spektakulären Aufführungsorten“ gespielt: Industriebrachen, die wir nun seit vielen Jahren kennen – und bei denen Jahr für Jahr der Ärger über das Ungemach der Spielstätten wächst, das dem Publikum zugemutet wird. Da rühmt sich das Ruhrgebiet seiner Verbundenheit im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Die leider überhaupt nicht mehr funktioniert, wenn es darum geht, improvisierte Aufführungsorte in abgelegenen Gewerbegebieten zu erreichen.

Zudem sorgt die Abgeschiedenheit der Veranstaltungsorte mit schöner Regelmäßigkeit dafür, dass die Wirtschaft vor Ort allenfalls in Maßen von der Triennale profitiert. Der Bäcker an der Ecke bleibt ebenso außen vor wie die Einkaufsstraßen in den Städten. De facto sprechen wir also hier von einer Luxus-Veranstaltung, die sich die Landesregierung Nordrhein-Westfalen leistet. Hier zahlen sehr viele viel Geld für das Amüsement weniger. Wenn man sich das leisten kann, spricht nicht viel dagegen. Ein wenig Luxus muss sich schließlich jeder mal gönnen. Da können die Leiter der regulären Spielstätten Wutschaum vor den Lippen haben, nutzen wird es ihnen nichts. Zumal sie mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben. Denn die Ruhrtriennale mit ihrem „internationalen Flair“ endet nicht etwa, wie andere Festivals – und das mit gutem Grund – vor der neuen Spielzeit, sondern will mit heftig beworbenen Uraufführungen in Zeiten punkten, in denen Stadttheater mit Premieren um die „Kundenbindung“ kämpfen. Das ist mehr als bedenklich.

Aber muss in der Kunst nicht alles erlaubt sein, wenn es darum geht, sie weiter zu entwickeln, nach vorne zu treiben? Darf man da neidisch auf Gelder schielen oder auf die kleinmütigen Sorgen irgendwelcher Stadttheater Rücksicht nehmen? Wie soll sich da wirklich Großes entwickeln können (wenn wir jetzt mal davon absehen, dass Peter Carp in Oberhausen beinahe tagtäglich beweist, wie man ganz großes Theater auf kleinem Raum zeigen kann)?

Diejenigen, die sich von Deckers Tristan immer noch berührt fühlen, werden jetzt aufschreien. Eine solche Aufführung hätte es nie und nimmer auf einer kleineren Bühne geben können, dafür war jeder Euro gerechtfertigt! Von Mortiers Glanzzeiten wollen wir hier schweigen, weil ja von Avantgarde und Zukunft die Rede ist, und nicht von Vergangenheit. Das hat Heiner Goebbels immer wieder – und mitunter auch provokant – formuliert. Nach dieser ersten Ruhrtriennale unter seiner Ägide allerdings bleibt Ratlosigkeit.

Rückwärtsgewandter war nie. Wir feiern in diesen Tagen, dass John Cage einhundert Jahre alt geworden wäre. Der Intendant gibt Europeras in pompösem Auftritt zur Eröffnung. Im kommenden Jahr will Goebbels mit einem Stück von Harry Partch eröffnen. Der Mann ist 1974 verstorben. Wer hier immer noch von Avantgarde und Neuer Musik redet, klammert sich an Konventionen, um sich nicht mit der Gegenwart oder gar der Zukunft beschäftigen zu müssen. In Prometheus feiert Goebbels völlig unreflektiert die Musik eines Nazi-Günstlings auf „moderner“ Bühne mit Aufmärschen. Und was slowenische Volksmusik oder Eichendorff-Texte mit der Zukunft zu tun haben: Darüber darf man getrost mit Tee und Räucherstäbchen in der Strickrunde diskutieren. Der großen Bühnen, der „spektakulären Aufführungsorte“ hätte es für solche Inszenierungen nicht bedurft.

13,8 Millionen Euro müssen erst einmal „verbraten“ werden. Dieser Eindruck ist beim Einstand des Künstlerischen Leiters Goebbels entstanden. Geschmäckle inklusive. So mancher Einstand ist misslungen, gerade die Ruhrtriennale ist ein gutes Beispiel dafür. Bleibt also die Hoffnung, dass die Verantwortlichen das eben Erlebte sehr sorgfältig reflektieren und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Viel stärker aber sollten doch die verantwortlichen Geldgeber darüber nachdenken, ob eine solche Veranstaltung überhaupt noch zeitgemäß ist und die Gelder nicht doch sinnvoller verwendet werden können. Lobeshymnen jedenfalls sind dieses Jahr nicht angebracht; wenn aber die „Macher“ ihre Erfahrungen zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, wie sie ihre Kunst in Zukunft sinnvoller in das Umfeld implementieren können, wäre ja auch diese Ruhrtriennale zu etwas gut gewesen.

Michael S. Zerban, 29.9.2012

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Marketplace 76 zählte noch zu
den besseren Aufführungen der
diesjährigen Ruhrtriennale.


Slowenische Volkslieder werden in
When the mountain changed its
clothing
vorgetragen. Hübsch.


Die Taufe als Thema. In Folk geht es
nicht nur um Religiosität. Um die
Zukunft aber auch nicht.


Auf "altgriechisch" vorgetragen,
präsentiert sich Prometheus in
erster Linie archaisch.


Schaumschlägerei in Essen: Soapera
lässt viele Fragen offen.

Fotos: Ruhrtriennale