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Fakten zur Aufführung 

SOAPÈRA
(Mathilde Monnier/
Dominique Figarella)
7. September 2012
(Premiere am 6. September 2012)

Ruhrtriennale, Salzlager Essen


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Taumeln ins Nichts

Während die Besucher im Halbdunkel des Salzlagers, eines Nebengebäudes der Kokerei auf der Zeche Zollverein in Essen, ihre Plätze suchen, wächst auf der Spielfläche noch unbeleuchtet aus einem Pilz eine helle, sich ausdehnende Fläche: ein weißer, kreisrunder Schaumteppich, der immer mehr die Fläche bis zu den Rändern füllt, während langsam aus einer darüber hängenden Düse weiterer Schaum herab fällt – Stille. Zögerlich glüht Licht auf und beleuchtet den hinteren Teil des Schaumteppichs. Kaum merklich bewegt sich der Schaum, bildet kleine Berge, stößt hoch, zeigt einen Riss, der sich schnell wieder schließt. Die Zuschauer suchen vergeblich nach Ursachen für diese Schaumbewegungen. Erst allmählich, bei weiteren Bewegungen tauchen Figuren unter dem Schaum auf, die kriechend, sich zeitlupenähnlich bewegend den Schaum anheben, zerteilen, riesige Flocken hochwerfen. Schließlich bewegen sich drei dunkle Gestalten darunter und nehmen auch die weiß gekleidete Figur in ihre Bewegungen auf, die bis dahin fast regungslos am Schaumrand liegt. Alles ist schemenhaft, sehr langsam, rätselhaft, jenseitig. Die Figuren zeigen keine Tanzbewegungen, sondern langsame Körperaktivitäten, mal jede für sich, mal mit einer anderen Figur gemeinsam, ohne erkennbare Absicht oder Führung. Sie bewegen sich in einem Raum, den der Schaum sichtbar macht, der ohne Widerstand, eigene Struktur oder Energie ist, der Schaum ist das Nichts. Die Performer, man kann sie kaum Tänzer nennen, kämpfen nicht gegen den Schaum, er bietet ja keinen Widerstand, sie genießen ihn nicht, sich bewegen sich für sich, mit sich oder mit einem anderen Performer…

Als die Figuren ein großes weißes Quadrat aufheben und die Fläche hochstellen, beginnt um diese Platte herum ein weiteres Spiel mit dem Schaum, dem Nichts, in das auch die Besucher mit einbezogen werden: Der Schaumteppich greift auf die ersten Sitzreihen über, riesige Schaumflocken, leicht und glitzernd erreichen die Besucher und umschmeicheln sie.

Das Spiel mit der Platte und dem Schaum geht weiter, die Performance zeigt keine Handlung, keine Dramatik. Als ein melancholischer, sich wiederholender Song erklingt, spüren die Besucher, dass sich dieser Abend dem Ende zuneigt, sanft ausklingend, … bis mit einem lauten Knall die weiße Platte umfällt und der letzte Schaum zerstiebt – black out!

Mathilde Monnier, die gemeinsam mit Dominique Figarella den Abend konzipiert hat, nennt diese neue Form der Tanzperformance „dancetainment“, eine Bezeichnung, der wohl auch die meisten Besucher zustimmen würden. Das Licht von Eric Wurz und der Sound Olivier Renoufs setzen vorsichtige Akzente, die vier Performer halten sich tänzerisch zurück, sie zeigen im „Ringen“ mit dem Schaum, dem Nichts, ihre Körperbeherrschung. Trotzdem baut die Aufführung bis zum Schluss eine kaum begreifbare Spannung auf und hinterlässt im Publikum eine heitere Grundstimmung. Sie zeigt auch die enge Beziehung zwischen Aufführungsort und Performance, die man sich kaum in einem konventionellen Theater vorstellen kann.

Einige Zuschauer verlassen nach dem Schlussknall etwas ratlos und desinteressiert schnell die Halle, andere bleiben in Gedanken versunken noch sitzen, die große Mehrzahl bedankt sich mit anhaltendem, von begeisterten Pfiffen begleiteten Beifall für einen außergewöhnlichen Abend, dessen kreative Ideen und originelle Umsetzungen ein weiteres Mal bestätigen: diese Triennale setzt sich mit modernem Theater konstruktiv und mutig auseinander, sie ist modernes Theater.

Horst Dichanz

Foto 1: Opernnetz
Fotos 2-5: Marc Coudrais