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Fakten zur Aufführung 

WHEN THE MOUNTAIN
CHANGED ITS CLOTHING

(Heiner Goebbels)
26. September 2012
(Uraufführung)

Ruhrtriennale,
Jahrhunderthalle Bochum


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Musik

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Slowenien, lieb Heimatland

Die Ruhrtriennale ist eine Veranstaltung für die Jugend. Die kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen und den abschließenden Fußmarsch zur Jahrhunderthalle mühelos bewältigen. Wer von außerhalb mit dem Auto anreist, landet auf einem grob geschotterten, unbeleuchteten Parkplatz mit Schlaglöchern, die bis zum Rand mit Wasser gefüllt sind. Hat der Besucher den Hang erklommen, der den Parkplatz von der asphaltierten Straße trennt, sind es nur mehr wenige hundert Meter den Hügel hinauf, bis die Jahrhunderthalle, von Bauplätzen und skurrilen Kunstwerken umgeben, ins Blickfeld gerät. Auf dem Hinweg ist das ärgerlich, auf dem Rückweg wird es zur Gefahr. Der Veranstaltungsort ist bewusst gewählt. Die großen Bühnen will man bespielen. So überrascht Klaus Grünbergs Bühne für When the mountain changed its clothing: Sie ist auf ein „Normalmaß“ zurechtgestutzt, wird hinten von einer Wand begrenzt, die an die Wand einer Industriehalle der 1950-er Jahre erinnert. Auf dem Zementboden sind verschiedene Utensilien wie Tische, Bänke, eine Rasenfläche, zwei Stative mit Scheinwerfern und so weiter scheinbar wahllos angeordnet. Es sieht nach Chaos aus und entpuppt sich alsbald als Beginn einer Choreografie, die die Dinge in die rechte Ordnung bringt. Darum aber geht es Regisseur und Intendant der Ruhrtriennale Heiner Goebbels in dieser Inszenierung nicht. Er will „den Blick der Zuschauer, der auf die Mädchen gerichtet ist, umdrehen – die Blickrichtung umdrehen, um uns unserer eigenen Blicke bewusst werden zu lassen“. Etwa 40 Mädchen im Alter von 10 bis 20 Jahren betreten verhalten zu sphärischen Klängen des Sounddesigns von Willi Bopp die Bühne, tasten sich quer zur gegenüberliegenden Bühnenecke und beginnen ein Spiel mit Stühlen, das damit endet, das die Mädchen in einer Reihe an der Rampe sitzen und das Publikum ansehen. Damit scheint die Inszenierungsidee beendet. Fortan präsentieren die Mädchen des slowenischen Schülerchores Vocal Theatre Carmina Slovenica unter der musikalischen Leitung von Karmina Šilec eine Aufführung, die mit der Umkehr von Blicken – was auch immer das heißen mag oder bewirken soll – nichts zu tun hat. Stattdessen soll es wohl nun darum gehen, „Bilder, Texte, Musik und Szenen, die zwischen täuschend kindlicher Unschuld und gefährlicher Unberechenbarkeit schwanken“ zu zeigen. Dazu passen die Kostüme von Florence von Gerkan, die in Verbindung mit vielen Zöpfen eine Mischung aus Lolita, Mango und Moderne schaffen.

Der Chor bewegt sich mit höchster Professionalität zwischen Umbauten und szenischen Darstellungen, zeigt in den Bewegungsabläufen eine Qualität, die eines Balletts würdig ist und singt dabei mit einer Perfektion und Schönheit, die man bei anderen Chören erst suchen muss. Zwischendurch gibt es englische Zitationen, die in Länge und Schwierigkeitsgrad wohl manchem gestandenen Schauspieler Respekt einflössen können.

Dass man die Schülerinnen nur selten versteht, ist nicht deren Schuld. Die angekündigten Übertitel beschränken sich auf die einfachen, englischen Texte und den deutschen Eichendorff-Text. Dass es sich hier um „ein slowenisches Volkslied, romantische Chormusik, Partisanengesänge aus der Tito-Zeit und Elemente von Popmusik“ handelt, wird aus der Inszenierung weder ersichtlich noch hörbar. Wenn Goebbels sich hier auf die ästhetische Funktion des Theaters zurückzieht und dem Publikum die Inhalte vorenthält, begibt er sich damit nicht auf einen – angekündigten – avantgardistischen Weg, wie auch immer der aussehen kann, sondern in eine Vergangenheit, die wir so nicht mehr haben wollen.

Einigermaßen ratlos bleibt dementsprechend das Publikum zurück. Die Leistungen der Schülerinnen sind auf allerhöchstem Niveau, ohne Zweifel, und da darf applaudiert werden, was das Zeug hält. Was aber eine Schülerinszenierung mit den verkündeten Ansprüchen der Ruhrtriennale verbindet, vermögen die Zuschauer und Zuschauerinnen nicht so recht nachvollziehen. Und so bleibt für das Regieteam verhaltener, respektvoller Beifall. Auf dem Weg nach draußen fallen viele, böse Worte über arrogante Theatermacher, ehe die Menschen sich darauf konzentrieren müssen, das Gelände der Jahrhunderthalle unfallfrei zu verlassen.

Michael S. Zerban

Fotos: Klaus Grünberg