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Fakten zur Aufführung 

PROMETHEUS
(Lemi Ponifasio nach Carl Orff)
16. September 2012
(Premiere)

Ruhrtriennale, Kraftzentrale,
Landschaftspark Duisburg-Nord


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Sprachlose Scheinästhetik

Es scheint sich zum Markenzeichen dieser Ruhrtriennale zu entwickeln, ein Stück nicht anfangen und nicht enden zu lassen. Auch hier gleitet die Aufführung mit einem Donnergrollen auf eine Bühne, auf der bereits der Protagonist steht, als die Besucher den Raum betreten. Von der steilen Tribüne aus blickt das Publikum auf eine 140 Meter lange Bühne mit zwei „Seitenbühnen“. Auf der rechten Seite eine strukturierte Wand, die je nach Beleuchtung stumpf wie ein Felsen oder metallisch-abweisend erscheint. Sie verkleidet das Podest, auf dem Musiker und Dirigent hoch über dem Geschehen agieren. Der Bühnenboden bildet eine spiegelnde Fläche, die für allerlei Effekte taugt. Darauf steht, sitzt oder liegt vor hinter und auf einem schwarzen Block Prometheus.

Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Lemi Ponifasio lässt das Stück wie im Original in altgriechisch vortragen. Weil er auf Übertitel verzichtet, entzieht er de facto sämtliche Inhalte dem „Normalpublikum“, in dem sich eher kein Altphilologe befindet. Das klingt nach „Kunst ist, wenn es keiner versteht“. Schier unendliche Monologe im Singsang, teilweise unterbrochen durch artifizielle Gesänge und begleitet von Aufmärschen, die einen bitteren Geschmack assoziieren, untermalt von Orffscher Musik, mögen als Experiment dienlich sein – zweieinhalb Stunden ohne Pause werden da eher zur Geduldsprobe. Zumal die für das Licht verantwortliche Helen Todd einen Scheinwerfer so auf die spiegelnde Fläche ausrichtet, dass Zuschauerinnen und Zuschauer nahezu ununterbrochen geblendet werden. Das hat nichts mit Kunst oder Geschmack zu tun, das ist einfach falsch gemachtes Handwerk. Das Ziel der Regie ist ebenfalls verfehlt: „Wir wollen über das Theater hinausgehen. Wir wollen zu einer Zeremonie zusammenkommen, zu einem Treffen. Wir wollen auf unsere Reise als Menschen zurückblicken und über die Geschenke nachdenken, die uns gemacht wurden“, sagt Ponifasio in einem Interview. Gelungen ist ihm das nicht. Selbst da, wo der Text in einen Dialog zu münden scheint, bleiben die Sängerdarsteller streng nach vorn ausgerichtet. Obwohl im Bühnenraum permanente Bewegung herrscht, findet eine Handlung nicht erkennbar statt. Indem die Bewegung ständig im abgedunkelten Hintergrund oder auf den ebenso in Halbschwarz getauchten Seitenbühnen stattfindet, bleiben Details verborgen. Wer Kunst als Chance zur Kommunikation begreift, wird hier enttäuscht.

Wenn im Einzelnen ästhetische Bilder entstehen, wirken die Kostüme eher archaisch, oft uniformhaft, was in Verbindung mit der Musik Carl Orffs doch eher Unwohlsein denn Verständnis auslöst.

Dennoch hält es die meisten Besucher auf den Stühlen. Denn alle Akteure geben ihr Bestes. Bariton Wolfgang Newerla begeistert als Prometheus, indem er seine Stimme bis zum Äußersten im Wechsel von – vermutlich altgriechischer – Sprache und Gesang strapaziert, ohne auch nur ein Mal angestrengt zu wirken. Der artifizielle Gesang von Brigitte Pinter als Io setzt kunstvolle Kontrapunkte zu Prometheus. David Bennent gibt mit seiner ganz eigenen Stimmfärbung als Hermes einen letzten Höhepunkt. Grandios schön auch die „Einwürfe“ des ChorWerk Ruhr in der Einstudierung von Florian Helgath.

Das Orchester, das sich aus dem Ensemble Musikfabrik, Splash-Perkussion NRW und dem Orchesterzentrum NRW zusammensetzt, spielt auf den Punkt präzise, differenziert und wohltemperiert auf. Peter Rundel hat als Musikalischer Leiter an zwei Pulten alle Hände voll zu tun, um die Akteure durch den Abend zu leiten. Engagiert, hochkonzentriert und sichtbar mit Spaß dirigiert er Orchester, Chor und Sängerdarsteller mit klarem Gestus.

Das Publikum, sofern nicht vorzeitig aufgebrochen, zeigt sich von der musikalischen Leistung höchst begeistert, nachdem es begriffen hat, dass das Standbild im Hintergrund den Schlusspunkt der Aufführung darstellt. Bei der Regie teilt sich erwartungsgemäß die Meinung. Und die Diskussionen auf dem Heimweg drehen sich in erster Linie darum, ob beim Publikum Altgriechisch-Kenntnisse vorausgesetzt werden können oder Ausgrenzung auch eine Kunstform ist.

Michael S. Zerban

Fotos: Paul Leclaire