Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

KOMMENTAR

Mai 2014


 


 

zurück       Leserbrief

Schleichendes Gift

Gastspiele, Kooperationen, Fremdproduktionen – alles Formen, die den regulären Betrieb eines Musiktheaters bereichern können. Der Irrtum: Sie können ihn nicht ersetzen. Wenn Kultur eingekauft, statt entwickelt wird.

Geld stinkt nicht. Es regiert die Welt. Und dass alles seinen Preis hat, lernen inzwischen die Kinder in der Vorschule. Die Bibel warnte bereits davor, ein Hilfsmittel anzuhimmeln, Jesus traute sich noch, die Händler aus dem Tempel zu vertreiben. Daraus würde wohl heute nichts mehr werden. Dass den Kindern ein bereits implodierendes System als Weltanschauung verkauft wird, mag daran liegen, dass Schule schon bei Hardenberg und von Stein kein Ort der Avantgarde war.

Seitdem die Demokratie, speziell in Deutschland, zugunsten eines Lobbyismus und neoliberaler Strukturen aufgekündigt worden ist, kommt den Kulturinstitutionen die Rolle des Gegenparts zu, die sie über viele Jahre inne gehabt haben und, je nach Intendanz, mehr oder minder konsequent ausfüllten. So konnte ein „Restbewusstsein“ auch an politischer Kultur aufrechterhalten werden. Inzwischen sind die Intendanzen, die sich solcher Verantwortung bewusst waren, vielerorts gegen Erfüllungsgehilfen machtbesessener Politiker ausgetauscht. Die neue Generation widersetzt sich nicht politischen Bestrebungen, (musik-)theatrale Kultur als einen zusätzlichen Unterhaltungsbereich neben Fernsehen, Internet und Kino einzuordnen. Sondern unterstützt willfährig diese Tendenzen unter dem Deckmäntelchen von Kürzungsbemühungen.

Gastspiele, Koproduktionen, Kooperationen und der Einkauf von Fremdproduktionen nehmen derzeit inflationsartig zu. All diese Formen, einen Theaterbetrieb zu ergänzen, sind sinnvoll und können für zusätzliche kulturelle Impulse sorgen. Wenn sie denn eine sinnvolle Ergänzung bieten. Stehen allerdings nur noch zwei eigene Premieren in einer Spielzeit auf dem Programm, finden in Opernhäusern gar unvermittelt verstärkt konzertante Aufführungen auf den Programmzettel, geraten Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht, Widerstand zu leisten. Wird ein Theater zum „Bespiel-Objekt“, verliert es sein Profil und jede ernsthafte Möglichkeit, auf die kulturelle Entwicklung seiner Stadt Einfluss zu nehmen. Das kann, darf und wird das Publikum nicht hinnehmen. Wenn eine Spielstätte ihr Gesicht verliert, büßt sie in der Folge ihre Existenzberechtigung ein.

Eine eigene Position zu markieren, ist in der Politik längst obsolet. Da darf ein Oberbürgermeister aktuell auch schon mal ein halbes Jahr lang die Bürgerinnen und Bürger seiner Stadt über das Schicksal des eigenen Theaters belügen, um anschließend als Präsident des Deutschen Städtetages gewählt zu werden. So weit sind wir schon. Wenn aber das Theater selbst keine eigene Position mehr bezieht, sondern sich als Unterhaltungsfaktor innerhalb des Stadtgeschehens versteht, wird es mittelfristig erleben, dass es ganz schnell von der Bühne der Relevanz verschwindet.

Noch ist die bürgerliche Gesellschaft einer Stadt nicht so weit verdummt, dass sie die „Popcorn-Oper“ als selbstverständlich hinnimmt. Die Beliebigkeit ist aber notwendig, will man ein Stück auf möglichst vielen Bühnen zeigen. „Bürger, seid wachsam!“ möchte man derzeit einem Publikum zurufen, das den Verlust der eigenen Kreativität des städtischen Musiktheaters in Kauf nehmen muss – und sei es auch nur, weil angeblich Umbaumaßnahmen des eigenen Theaters Schuld sind, dass die eigenen Premieren auf satte zwei pro Spielzeit reduziert werden.

Eine solche Kommunikation ist fadenscheinig, mag der Intendanz ruhigen Schlaf bescheren, wird sich aber, analog zur Politik, dahingehend auszahlen, dass das für dumm gehaltene Publikum sich abwendet. Und zwar ohne mit dem Finger auf die Schuldigen zu zeigen. Es wird einfach wegbleiben.

(Musik-)Theater sind Orte politischen Geschehens, und sie bleiben es, so lange es sie gibt. Wie lange sie allerdings noch existieren, wird angesichts einer zunehmenden Monokultur fraglich. Dass das außerordentlich gut bezahlten und mit langjährigen Verträgen abgesicherten Intendanten egal sein kann, stimmt nur vordergründig. Sie werden nämlich feststellen, dass sie letztlich nicht der Politik verantwortlich sind, um ihre Pfründe zu sichern, sondern einzig und allein ihrem Publikum.

Michael S. Zerban, 28.5.2014

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Eigentlich gehören hier Gastspiele zur
Routine: In Leverkusen passten
plötzlich die Bühnenmaße nicht mehr.
Also wurde improvisiert.


Aus Berlin wurde die Zauberflöte an
die Rheinoper übernommen. Die
Inszenierung ist beliebig wie ein
Kinofilm.


Aus Stockholm fand die Stehparty
ihren Weg nach Köln: Otello an der
Rampe ließ nur die Kölner kalt, die
nicht auf den „alten Stil“ stehen.


In Kassel kam die Frau ohne Schatten
zur Premiere. In der nächsten Spielzeit
wird sie im Musiktheater im Revier in
Gelsenkirchen zu sehen sein.