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Fakten zur Aufführung 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN
(Richard Strauss)
24. Mai 2014
(Premiere)

Staatstheater Kassel


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Im Schatten des Weltkriegs

Als die Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal 1919 uraufgeführt wurde, lag die Welt in Trümmern. Während allerorten die Schäden eines Krieges behoben wurden, den die Menschen in diesem Ausmaß bis dahin noch nicht erlebt hatten, kam in Wien eine Oper auf die Bühne, die bis heute wohl eine der größten Herausforderungen in der Opernregie darstellt.

Nun ist es ja durchaus modern, die Vorstellungen von Komponist und Librettist vollständig zu ignorieren, um eine „neue Lesart“ eines Werkes zu finden. Arg verpönt ist gar eine „naturalistische“ Erzählweise. Die Frau ohne Schatten ist allerdings schon in sich so komplex und vielschichtig, dass hier jede neue Deutung das Verständnis zusätzlich erschwert. Das zeigt Regisseur Michael Schulz in eindrucksvoller Form in Kassel. Er verlegt das märchenhafte Stück in die konkrete Situation zum Ende des Ersten Weltkriegs. Zumindest lassen das all die Kriegsversehrten in Wehrmachtsuniformen, oder was davon übrig ist, vermuten. Die Hinrichtungen von Soldaten sind dabei ebenso undurchsichtig wie der Auftritt von Soldaten mit Gasmasken, die Nebel versprühen. Viel Effekthascherei, die nicht dazu beiträgt, den Konflikt der Kaiserin erlebbarer zu machen. Schon die Bühne von Dirk Becker verwirrt eher, als die Handlung zu bereichern. Die Außenwände sind Gitter, vor der Rückwand ist eine zusätzliche Brücke angebracht. In diesem Käfig oder Gefängnis finden sich die verschiedenen Handlungsräume, wobei die Färberei noch am ehesten zu erkennen ist. Später wird daraus eine Kriegslandschaft mit einem Lazarett, ein Klassenraum mit einem Richtertisch und vermutlich noch weitere, aber als solche nicht identifizierbare Räume. Von Kähnen, Bergen und versteinerten Königen wird zwar viel gesungen, zu sehen ist davon allerdings nichts. Trotzdem ist die Ausstattung insgesamt opulent. Dazu tragen zahlreiche Statisten und Choristen bei. Renée Listerdahl kleidet da auch gleich den Kinderchor so ein, dass sie die Kriegsbegeisterung zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges widerspiegeln. Solchermaßen unreflektiert und ohne erkennbare Einordnung hinterlässt das eher ein Geschmäckle. Albert Geisel wählt dazu ein überwiegend kaltes Licht, das viel mit dem Schatten spielt.

Man mag dem Regisseur unterstellen, dass er sich mit seiner Kriegsgeschichte etwas gedacht hat, aber eigentlich möchte man sich auf die Frau ohne Schatten konzentrieren. Und das fällt schwer. Erfreulich, dass die Sängerinnen und Sänger Anhaltspunkte dafür geben, an welcher Stelle der Handlung sich das Stück befindet. Allen gemein ist die großartige Verständlichkeit. Eine Aufführung, in der man wirklich mit Fug und Recht auf die Übertitel hätte verzichten können. Das kommt nicht oft vor. Tenor Ray M. Wade Jr. singt einen überragenden Kaiser. Die Amme wird von Mezzosopranistin Ulrike Schneider in allen Facetten überzeugend dargestellt. Von der Strenge über den Triumph, in ihrer Arglist bis zum Niedergang beherrscht sie nicht nur die anspruchsvolle Singrolle, sondern überzeugt auch im konzentrierten Spiel. Einen Hauch schwieriger gestaltet sich die Rolle der Kaiserin, die Vida Mikneviciute in den Höhen oft sehr dramatisch anlegt und damit wunderbar das naive, zarte Mädchen kontrastiert, das auf der Suche nach einer Wahrheit leicht wie eine Flocke über die Bühne wirbelt. Bariton Espen Fegran charakterisiert einen Barak, der seine eher naive Weltanschauung mit einer Ernsthaftigkeit verkörpert, dass verständlich wird, warum der Konflikt mit seiner Frau ausbrechen muss. Stephanie Frede spielt und singt diese Rolle sehr exaltiert, was der Färberin gut zu Gesicht steht. Die übrigen Rollen unterstreichen den hervorragenden Gesamteindruck.

Zum Gelingen tragen wesentlich auch der Opernchor, Damen des Extrachores und der Cantamus-Chor bei. Maria Radzikhovskiy hat die Kinder im doppelten Sinne gut im Griff, während Marco Zeiser Celesti für Höchstleistungen bei den Erwachsenen sorgt.

Patrik Ringborg arbeitet die dialogische Funktion der Musik in diesem Strauss-Werk mit dem Staatsorchester Kassel großartig heraus. Der Nachklang der Stimmen in der Musik ist glanzvoll. Auch die Balance zwischen Bühne und Graben gelingt ganz überwiegend. Mit viel Verve – über vier Stunden! – leitet Ringborg Musiker, Sänger und Choristen gleichermaßen engagiert an. So entsteht im Zusammenspiel zumeist Genuss pur.

So wird im Zusammenspiel aus der Frau ohne Schatten an diesem Abend ein Strauss-Fest, ohne dass die Inszenierung allzu sehr stört. Das sieht auch das Publikum im nahezu voll besetzten Haus so. Die Bühnenakteure und Musiker werden – auch stehend – heftig beklatscht und mit heftigem Gejohle und zahlreichen Bravo-Rufen gefeiert. Die Inszenierung wird lediglich mit einem einzelnen Buh-Ruf quittiert, den Schulz als ehrenhaft entgegennimmt. Ob das Publikum im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen sie ebenso kritiklos hinnimmt, wird abzuwarten sein. Die Koproduktion wird dort zu Beginn der kommenden Spielzeit zu sehen sein.

Michael S. Zerban

Fotos: N. Klinger