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Fakten zur Aufführung 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN
(Richard Strauss)
28. September 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Im Schatten des Ersten Weltkriegs

Es gibt Opernhäuser wie das in Wuppertal, die unter den finanziellen Engpässen zusammenbrechen und ihre Daseinsberechtigung als Hegestationen einer zukunftssichernden Ensemble-Pflege aufgeben. Es gibt zum Glück noch mehr Häuser, denen es zwar materiell auch nicht besser geht, die aber die Ärmel aufkrempeln und mit Geschick, Fantasie und Stehvermögen ihre Kräfte zu ungewöhnlichen Leistungen mobilisieren. Und wenn in diesem Jahr des 150. Geburtstags von Richard Strauss gedacht wird, geht man selbst den gewaltigsten Herausforderungen nicht aus dem Weg. So stemmen Krefeld einen Rosenkavalier, die Deutsche Oper am Rhein eine Ariadne auf Naxos und, noch ehrgeiziger, das Musiktheater im Revier Die Frau ohne Schatten. Allesamt Produktionen auf mehr als achtbarem Niveau, die sich ohne Ensemblegeist nicht realisieren ließen.

Und das Ensemble bildet auch in Gelsenkirchen samt Chor und Statisterie das Rückgrat der neuen Frau ohne Schatten, auch wenn sich dieser Koloss nicht restlos ohne Gäste besetzen lässt. Die Ankündigung von 380 Mitwirkenden auf der Bühne und im Orchestergraben schien eine regelrechte Materialschlacht dieser Koproduktion mit dem Staatstheater Kassel erwarten zu lassen. Doch weit gefehlt. Intendant und Regisseur Michael Schulz führt die Massen ebenso sehr mit Augenmaß wie die Solisten und bringt mit einem einfachen, aber schlüssigen Konzept Licht in die verworrene Handlung. Dabei entgeht er der Gefahr, das symbolistisch verschlüsselte Libretto durch aufgesetzte realistische Erklärungsversuche um seinen geheimnisvollen Reiz zu bringen. Davon ist Die Frau ohne Schatten nicht weniger bedroht als Debussys Pelléas et Melisande.

Schulz entschlüsselt nicht jedes Detail aus dem Geisterreich Keikobads. Er findet aber eine überzeugende Folie für die Bereitschaft der Färberin, ihren Schatten, also ihre Fruchtbarkeit, auch jenseits materieller Verführungen zu verkaufen. Schulz siedelt das Stück nämlich in die Entstehungszeit der Komposition an, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zusammenfällt. Kriegsopfer, Krieger-Witwen und -Waisen beherrschen die Menschenwelt der Färberin, die angesichts des Elends davon Abstand nehmen will, Kinder in diese schlechte Welt zu setzen. Überlegungen, die sie in heftige Konflikte mit ihrem Mann und ihrem Gewissen stürzen. Der Gesang der ungeborenen Kinder wirkt plötzlich entwaffnend logisch. Zugleich wird deutlich, dass die Kaiserin mit ihrem sehnlichen Kinderwunsch aus einer anderen Welt stammen muss und erst allmählich erfahren wird, wie blutig der „Menschendunst“ dampft. Beide Welten haben allerdings eine Gemeinsamkeit: Es sind brutale, menschenverachtende Welten, mögen sie von einem Phantom beherrscht werden oder von einem wilhelminischen Kaiser. Der Kaiser in der Oper gerät wie seine Gattin zwischen die Fronten. Auch die Entschlüsselung seiner Versteinerung als innere Verhärtung in einer menschenfeindlichen Zeit leuchtet ein. Erstaunlich überzeugend gelingen Schulz diese und andere Konkretisierungen der teilweise arg chiffrierten Symbole Hofmannsthals. Das von Strauss überdreht jubilierende Schluss-Bekenntnis der Hauptfiguren zum Weiterleben klingt in diesem Kontext doppelzüngig. Entsprechend zieht bereits die Soldateska einer noch brutaleren Epoche auf.

Einleuchtend, dass in diesem Umfeld jede optische Assoziation an das märchenhaft exotische Ambiente der Geisterwelt fehl am Platz wäre. Bühnenbildner Dirk Becker belässt es deshalb bei einer raffiniert schlichten Umrahmung der Spielfläche, die den Massenauftritten genügend Raum lässt, durch die Verwendung von 1000 Plexiglasfenstern jedoch verschwommene Ein- und Durchblicke in Parallelhandlungen erlaubt.

Das musikalische Niveau beeindruckt nicht minder. GMD Rasmus Baumann führt mit Umsicht, Klanggefühl und emotionalem Überdruck zusammen mit der glänzend disponierten Neuen Philharmonie Westfalen durch den vierstündigen Abend. Von feinsten kammermusikalischen Delikatessen bis zu Eruptionen von elementarer Gewalt bleibt Baumann der Partitur nichts schuldig. Zarte Geigensoli gelingen nicht minder gut als massive Blechattacken, die Baumann voluminös ausspielen lässt.

Strauss fordert drei dramatische bis hochdramatische Frauenpartien und einen Heldentenor, womit er jedes Besetzungsbüro ins Schwitzen bringt. Gelsenkirchen kann stolz sein, diese enormen Anforderungen ohne einen einzigen Schwachpunkt erfüllen zu können. Yamina Maamar als Kaiserin verströmt lyrischen Wohllaut und dramatische Energie in gleichem Maße. Sie vermittelt sowohl die Unsicherheit, die die fremde Menschenwelt in ihr auslöst als auch die ekstatische Sehnsucht nach einem Mutterdasein.

Sabine Hogrefe vermag in der besonders expressiven Partie der Färberin auch in den extremsten Ausbrüchen ihre Stimme unter Kontrolle zu halten und vor hysterischen Auswüchsen zu bewahren. Gudrun Pelker als Amme komplettiert das Damen-Trio adäquat. Auch sie singt die Rolle weitgehend kultiviert aus. Martin Homrich schwächelte als Kaiser ein wenig und kann den Glanz seiner schönen Stimme nicht durchweg schlackenfrei präsentieren. In Top-Form dürfte er die schwere Partie mit seinem groß dimensionierten Tenor jedoch mühelos bewältigen. Einen vokal rundum sauber gestalteten Barak ohne sentimentale Entgleisungen bietet Urban Malmberg mit der vielleicht anrührendsten Leistung des Abends.

Ein Sonderlob verdienen neben den vielen tüchtigen Darstellern der kleineren Rollen der Chor, genauer die versammelten Chöre, neben dem erweiterten Opernchor auch der Kinderchor und Jugendchor Gelsenkirchen.

Insgesamt eine erfreulich schlüssige Darstellung des aufwändigen Stücks auf exzellentem musikalischen Niveau, mit der das Musiktheater im Revier gleich zum Saisonauftakt hohe Maßstäbe setzt.

Begeisterter Beifall für alle Beteiligten, in den sich einige Buh-Rufe gegen das szenische Team mischen.

Pedro Obiera





Fotos: Karl Forster