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OPERNNETZ SPEZIAL

Aufholjagd

 

 

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Oper wird jung

Seit einigen Jahren unternehmen die Opernhäuser erhebliche Anstrengungen, jüngere Menschen für die Oper zu begeistern. Die Zahl der Aktivitäten ist eindrucksvoll, der Erfolg strittig. Das eine Erfolgsrezept gibt es offenbar nicht, aber den unbändigen Willen von Intendanten und Theaterpädagogen, bereits Kinder für die Bühne zu begeistern. Immerhin: Die Erfahrungen sorgen für Optimismus.

Ratlosigkeit scheint dem Aktionismus gewichen. Bedrohte jahrzehntelang die Überalterung die Opernhäuser, fürchten sich heute schon ältere Herrschaften, von Kinderhorden überrannt zu werden, wenn sie eine Oper besuchen wollen. Dieser Eindruck entsteht, wenn enthusiasmierte Theaterpädagogen über ihre tägliche Arbeit berichten, und er ist natürlich ebenso falsch wie die in der Bevölkerung offenbar noch immer vorherrschende Meinung, Oper sei etwas für betagte Menschen. Wer einmal vormittags die Busladungen voller Grundschulkinder in Zweierreihen in der Obhut ihrer Lehrer und Eltern in eine Vorstellung hat rauschen sehen, wird nicht mehr behaupten wollen, Oper eigne sich wenig für Kinder. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo in der Mitte, aber die Probleme sind vielschichtig. Und sie werden höchst unterschiedlich wahrgenommen, offenbar je nach Gewichtung des jeweiligen Hauses.

Worüber keiner gerne spricht: Die Jugendarbeit ist über Jahrzehnte vernachlässigt worden. Und so ist den Häusern eine komplette Generation verlorengegangen, die heute kaum noch zu erreichen ist. Es ist die Generation der Eltern, von denen auch kein Rückhalt zu erwarten ist, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche für die Oper zu gewinnen. Burkhard Lücking war zehn Jahre lang Referent für Theaterpädagogik am Aalto-Theater Essen. Er hat jeden Tag gesehen, dass die Eltern mit einfacher Bildungsstruktur ihre Kinder nicht kulturorientiert anleiten können und die Eltern der Mittelschicht mit eigener, in einem mangelhaft musisch orientierten Bildungssystem kaum ausgebildeten Kulturbegabung häufig geradezu mit Ablehnung auf etablierte Kulturangebote wie die Oper reagieren. Er ist davon überzeugt, erkannt zu haben, dass solche Eltern, nachdem „Haus und Hof bestellt sind“, ein Bedürfnis haben, sich weiter entwickeln zu wollen und deshalb häufig über die Kinder gewonnen werden können. Aber: „Dieser Wunsch sich weiterzuentwickeln, der ist da, und den bedienen wir noch zu wenig.“ Weil Theaterpädagogen sich in einem Selbstfindungsprozess befinden, in dem in erster Linie Kinder eine Rolle spielen. Dabei werden sie nicht müde zu betonen, dass es nicht darum gehe, neue „Kundenschichten“ zu erschließen, sondern das hehre Ziel verfolgt werde, sich um die kulturellen Bedürfnisse der Kinder zu kümmern.

Es gibt wohl kaum einen Intendanten oder eine Intendantin, die sich nicht die Jugendarbeit auf die Fahnen geschrieben haben. Fragt man in den Abteilungen der Theaterpädagogik nach – ja, inzwischen haben die Theaterpädagogen ordentlich personell aufgerüstet – hört man immer wieder ähnliche Antworten. Der Intendant, gleich welchen Geschlechts, ermögliche erst die intensive Arbeit mit der Jugend, halte sich aber komplett aus der operativen Arbeit heraus, ohne je den kommunikativen Kontakt zur Theaterpädagogik zu verlieren. Von enger Zusammenarbeit, ernsthaftem Engagement oder eigener Präsenz ist selten die Rede. Ein starkes Selbstbewusstsein der Theaterpädagogen ist für die Arbeit mit Jugendlichen aber sicher förderlich. Insofern ist also die Unterstützung der Intendanten erwünscht, wenn sie nicht darin ausartet, sich ernsthaft in die eigene Arbeit einzumischen.

Die ist ohnehin schwer genug. Das Problem des Prekariats ist bewusst. Deshalb betonen alle an der Jugendarbeit Beteiligten, dass alle gesellschaftlichen Schichten in die Opernarbeit integriert werden; auf Nachfrage sind es dann doch eher die „höheren“ Schichten, die aber ja ohnehin dafür sorgen, dass ihre Kinder eine kulturelle Anbindung erleben. Tatsache ist, dass viele Angebote nur gegen Entgelt zu haben sind, obwohl die Musiktheater alle subventioniert werden; anders also beispielsweise als in Frankreich, wo Kinder und Jugendliche grundsätzlich freien Eintritt in die Kulturinstitutionen genießen. Zaghafte Ansätze sind bei einigen Städten erkennbar, die so etwas wie einen „Familienpass“ eingeführt haben und auf Museumsbesuche Nachlässe gewähren. Einen Schritt weiter, wenn auch in eine ganz andere, aber ja möglicherweise richtige Richtung, geht Michael Grosse, Intendant des Theaters Krefeld Mönchengladbach. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt hat er eine Patenschaft eingeführt, in der ein Erwachsener sich eines sozial schwach gestellten Jugendlichen annimmt und so dafür sorgt, dass der kulturelle Angebote kostenlos wahrnehmen kann. Eine schöne Form der Solidarität, solange sie nicht von kommunaler Seite als selbstverständlich angenommen wird.

Von Solidarität ist im Zusammenhang mit Jugend und Oper nur selten die Rede. Häufiger schon mal von Vernetzung. Dafür gibt es sogar in Nordrhein-Westfalen (NRW) auf Landesebene eine eigene Einrichtung – die Arbeitsstelle Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW. Gisela Wibbing leitet die Arbeitsstelle mit Sitz im ländlichen Remscheid. Die ehemalige Leiterin einer Realschule hat sich in die Provinz zurückgezogen, um von dort aus die Vernetzung der kulturellen Institutionen für Kinder und Jugendliche voranzutreiben. Sie sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, gelungene Konzepte weiter zu kommunizieren. Insbesondere ländliche Gegenden sollen davon profitieren. Mit Informationsbroschüren, landesweiten Tagungen, Beratungen von Schulen und Kommunen sowie der Begleitung von Bildungsnetzwerken soll die Jugendarbeit auf Landesebene vorangetrieben werden. Oper spielt eher eine untergeordnete Rolle. Da scheint es mit der Vernetzung noch ein wenig zu hapern. Zwar kenne man sich im Kollegenkreis der Theaterpädagogen, bestätigt Caroline Philippi, leitende Musiktheaterpädagogin an der Deutschen Oper am Rhein, ein Abgleich der Aktivitäten findet aber nicht statt.

Dazu sind die Ansätze vielleicht auch viel zu unterschiedlich. Während der Essener Theaterpädagoge Burkhard Lücking die Kinder und Jugendlichen in der Oper empfangen hat, um eine möglichst große Zahl von Personen für die Arbeit der Oper vor Ort mit Showeffekten zu begeistern, setzt Philippi auch auf die Arbeit mit Multiplikatoren jenseits der Oper: In Lehrerseminaren wird für die Oper geworben. In den Niederlanden müssen die Kinder ganz praktisch ran. Die Opera Zuid veranstaltet Workshops in den Schulen, in denen die Kinder Kostüme und Masken bis hin zum Bühnenbild entwerfen. Die Ergebnisse werden während der Tourneen der Reiseoper ausgestellt. Frank Rohde, leitender Theaterpädagoge in Köln, lässt Kinder und Jugendliche auf den verschiedenen Arbeitsplätzen der Oper wirken und stellt das ins Internet. Ein Projekt, das ähnlich spektakulär funktioniert wie seinerzeit die Einführung der Kinderoper als fester Institution in der Kölner Oper. Elke Heidenreich erinnert sich bis heute gern daran. Sie hat ein „Rezeptbuch für erfolgreiche Kinderopern“ herausgegeben. Silvia Behnke hat in Krefeld gleich mal ein Erfolgsmusical mit Schülern inszeniert, ihr Kollege Dirk Schwantes begleitet Jugendliche von der Einführung bis zum Bierchen nach der Oper und nennt das Jugendclub. In Hannover wird gleich eine ganz neue Sparte Junge Oper eingerichtet.

Das Schönste an der Vielfalt: Das Ende der Entwicklung scheint bereits erreicht. Zumindest scheint nach dem Projekt Gilgamesch kaum noch eine Steigerung möglich. Der vollständige Name des Projekts: Gilgamesch, eine Stadt macht Musiktheater. Im hessischen Wiesbaden entsteht in den vergangenen zwei Jahren eine Bürgeroper. Libretto und Komposition von SchülerInnen, Angestellten, Arbeitslosen, Rentnern, also den Bürgern der Stadt. Heraus kommt ein Musiktheater für volles Orchester, Chor, Rockband und einen Rapper mit 100 Bürgern der Stadt als Darsteller und Statisten, Opernsängern, Schauspielern und Tänzern. Da wird die Frage unbedeutend, ob einzelne Häuser die wirtschaftlichen Ziele ihrer Jugendarbeit erreichen. Wenn es alt und jung solidarisch gelingt, ein kulturelles Projekt kreativ zum Erfolg zu führen, sollte jedes Ziel erreicht sein – und Mut für eine Zukunft machen, egal, wie bedrohlich das Geschrei um Einsparungen auch immer wirken mag.

Michael S. Zerban, 10.1.2012

 

Zur Einstimmung

Peter Carp, Intendant des Theaters Oberhausen, hat sich eindrucksvoll zum Theater Jugend und Theater geäußert. Ein Hoffnungstext, der Mut macht. Weiter...


Sparte Junge Oper Hannover

Christian Schütte hat sich in Hannover danach erkundigt, wie sich gleich eine ganze Sparte Junge Oper etablieren will. Die Chancen stehen überraschend gut. (4'47).


Jugendclub und Musical




Silvia Behnke und Dirk Schwantes sorgen als Theaterpädagogen am Theater Krefeld Mönchengladbach dafür, dass die Jugendlichen sich für alle Genres der Bühne begeistern (7'33).


Die große Bühne




Caroline Philippi und Maike Fölling besuchen nicht nur Schulen, sondern auch Lehrerseminare, um die Lehrer schon früh mit dem Theatervirus zu infizieren (5'17).


Empfang in der Oper

Am letzten Arbeitstag am Aalto-Theater Essen erzählt Burkhard Lücking aus zehn Jahren Erfahrung seiner Arbeit mit Jugendlichen in der Oper (3'44).


Machen lassen

Man muss die Jugend selber machen lassen, damit sie Theater und Oper versteht - davon ist Frank Rohde überzeugt. Der Kölner liebt seine Arbeit (7'50).


Respekt vor dem Kunstwerk

Elke Heidenreich hat die Kölner Kinderoper mehr als ein Jahrzehnt lang begleitet. Sie ist bis heute fasziniert von der Wirkung von Oper auf Kinder und Eltern (4'58).


Nicht nur für die Kleinen

Christian Schuller und Elke Heidenreich haben ihre Erfahrungen mit der Kölner Kinderoper in ein "Rezeptbuch" verpackt. Die Fotos von Klaus Lefebvre sind absolut sehenswert. Weiter...


Im Internet verfügbar

Interessante Seiten zum Thema Jugend und Oper sind im Netz rar. Die Vernetzung der Institutionen untereinander ist allerdings schon weit vorangeschritten. Weiter...


Treffen in Nordhausen




Wie wird sich die Jugendarbeit an den Musiktheatern weiter entwickeln? In Nordhausen gab es eine Podiumsdiskussion, die versuchte, die Frage in ihrer ganzen Dimension zu erörtern (3'32).


BEATS! - Das Musical


Eines der größten Projekte anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Theater Hagen war das Jugendmusical, an dem Jugendliche aus allen fünf Berufskollegien der Stadt teilnahmen. Ein Rückblick. Weiter...


Operntester in Düsseldorf


Junge Leute zwischen 16 und 28 haben in Düsseldorf Gelegenheit, einmal kostenlos hinter die Kulissen und bei einer Aufführung zuzuschauen. So gewinnt man die Fans der Zukunft. Weiter...