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OPERNNETZ SPEZIAL

Drahtlose Funkübertragung

 

 

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Rasenmäher im Kulturbetrieb

Was zunächst wie ein weiterer, eindrucksvoller Fortschritt in der modernen, digitalen Welt klingt, könnte sich als größter, je erlebter Rückschritt im Kulturbetrieb entpuppen. Die Bundesregierung spricht entzückt von der „Digitalen Dividende“, weil sie ein Riesengeschäft gemacht hat, wenn sie überhaupt spricht, die Mobilfunkunternehmen reiben sich die Hände, werben lautstark für schnellere Übertragungsgeschwindigkeiten und haben mit sonst nichts zu tun – und die Kulturbetriebe? Sprechen demnächst möglicherweise sehr, sehr leise.

Das hört sich an wie ein gigantischer Rasenmäher, der aus den Lautsprechern schallt: das Störgeräusch“, so beschreibt Katja Riedel in der Süddeutschen Zeitung, was künftig für immer mehr Theaterbetriebe Wirklichkeit werden könnte. Die Wirkung dieses Störgeräuschs bei den Künstlern beschreibt Riedel so: „Es schießt den Musikern direkt in ihre sensiblen Ohren und hat schon Künstler von der Bühne direkt ins Flugzeug getrieben. […] Ein Geräusch, das schmerzt.“ Immerhin sei das Störgeräusch 25 Mal stärker als die Mikrofone.

Dabei fing alles so schön an. Die Rundfunkanstalten gaben Frequenzen frei, die die Mobilfunkbetreiber gut gebrauchen konnten, um der Einrichtung von Long-Time-Evolution-Netzen (LTE), die um ein Vielfaches schnellere Übertragungsgeschwindigkeiten als der derzeit aktuelle UMTS-Standard erlauben, Vorschub zu leisten. Mittendrin die Bundesregierung, die schließlich die Frequenzen an O2/Telefonica, Vodafone und Telekom für stolze 4,4 Milliarden Euro versteigerten. Um dem Ganzen das Deckmäntelchen des Nutzens für die Verbraucher umzuhängen, knüpfte das Bundeswirtschaftsministerium eine Bedingung an den Erwerb der Frequenzen: Vor dem lohnenden Geschäft in den Metropolen hätten die Mobilfunkbetreiber die „weißen Flecken“, also vor allem die ländlichen Gegenden zu versorgen. Die Mobilfunkbetreiber sagten zu, zahlten und schweigen seitdem. Still und leise bauen sie ihre Netze auf, in Berlin läuft gerüchteweise der Probebetrieb.

Die Krux an der Geschichte: Auf den verkauften Frequenzen funkten und funken nicht nur die Rundfunkanstalten, sondern auch sämtliche Geräte der drahtlosen Funkübertragung und damit auch die so genannten Microports, ohne die heute kaum noch ein Event oder ein Theaterbetrieb auskommt, übrigens auch nicht die Funk- und Fernsehanstalten bei Live-Veranstaltungen. Das bedeutet zweierlei. Die Kulturbetriebe können allerspätestens in vier Jahren nicht mehr auf den Frequenzen funken, und die Betriebe, deren Geräte älter als acht Jahre sind, müssen sich vollkommen neu ausstatten, weil solche Geräte nicht auf andere Frequenzen umgestellt werden können.

Den Frequenzbedarf hat die Regierung inzwischen „gelöst“, indem sie zwei andere Frequenzbereiche freigegeben hat. Bei dem einen handelt es sich um eine so genannte Mittellücke zwischen den Frequenzen der Mobilfunkbetreiber. Da weiß noch keiner, ob diese Mittellücke nicht von den LTE-Netzen überstrahlt wird. Für den anderen Frequenzbereich gibt es überhaupt noch keine Geräte. Beide Bereiche können aber erst dann ernsthaft ausgetestet werden, wenn die LTE-Netze in den Regelbetrieb gehen. Bislang verraten die Mobilfunkbetreiber nicht einmal, wo sie wann stundenweise im Testbetrieb sind. Das erklärt Wolfgang Bilz, Shure Applications Engineer, in einem Video.

Völlig ungeklärt ist bislang der Finanzbedarf, der durch die Ausstattung mit notwendig werdender neuer Technik entsteht. Obwohl die Bundesregierung ursprünglich eine „angemessene“ finanzielle Deckung zugesagt hatte, hat sie diesen Betrag inzwischen auf 124 Millionen Euro beziffert. Der Bühnenverein hat laut Rolf Bolwin, Geschäftsführender Direktor, für seine Mitglieder allein einen Bedarf von 130 Millionen Euro berechnet. Insgesamt steht ein Betrag von über einer Milliarde Euro im Raum. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet gegen, indem es argumentiert, dass die Anlagen ja teilweise ohnehin veraltet seien und erneuert werden müssten. Es könne ja nicht sein, dass die Theaterbetriebe sich auf Kosten der Bundesregierung mit neuer Technik schadlos halten. So sollten, schlägt das Ministerium vor, die Entschädigungen gestaffelt vorgenommen werden, wobei die Betriebe, die mehr als acht Jahre alte Anlagen betreiben, leer ausgehen sollen. Damit sollen also die hauptsächlich Betroffenen leer ausgehen. Von Seiten der Kultur herrscht in der Regierung das große Schweigen. Jedenfalls war Kulturstaatsminister Bernd Neumann nicht bereit, sich gegenüber Opernnetz zu dem Thema zu äußern.

Die Ratlosigkeit in den Theaterbetrieben ist groß. Einzelne privat betriebene Musical-Theater haben in den sauren Apfel gebissen und auf eigene Kosten investiert. Da kommen schnell mal 100.000 Euro zusammen, die aus eigener Tasche aufgebracht werden müssen. Aber die Funktechnik ist für die privaten Betreiber überlebenswichtig. Als sich im unmittelbaren Umfeld der Freilichtbühne Bökendorf im Kreis Höxter die Sendemasten häufen, steckt der Verein, der die Freilichtbühne betreibt, 32.000 Euro in die „Zwangsmodernisierung“, erzählt Sabine Brinkmann in ihrem Artikel. Schließlich, so vermutet Brinkmann, könne schon ein einziges LTE-Smartphone im Publikum ausreichen, „um den Klang einer Aufführung zu sprengen“. De facto, so vermuten Beobachter wie Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt aus Köln, werde in Deutschland eine große Bereinigung einsetzen. Wobei Bereinigung wohl eher eine erhebliche Verarmung der kulturellen Landschaft in Deutschland bedeuten dürfte als einen nützlichen Prozess. Bauer weist auch darauf hin, dass es sich durchaus nicht nur um eine deutsche, sondern vielmehr eine europäische Entwicklung handelt. So könnte es in vielen Theaterbetrieben Europas in den nächsten Jahren sehr, sehr still werden.

Michael S. Zerban

 

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