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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
29. September 2012
(Premiere am 8. September 2012)

Stadttheater Minden


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Nach der Premiere

Matthias von Stegmann braucht keine aktuellen Bezüge, um ein wirklich spannendes Stück auf die Bühne zu bringen. Ihn interessieren die Personen, die Wagner zeichnet (5'26).


 

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Im Kleinen das Große finden

Während am Rathaus ein Rummel die Landbevölkerung in die Stadt zieht, ruft vom Balkon des wenige Meter entfernten Stadttheaters der Bläserkreis der Schaumburg-Lippischen Landeskirche mit Klängen aus dem Liebestod das Publikum zum nächsten Aufzug. Während das Haus mit seinen 450 Plätzen und der frisch geweißten Jugendstilfassade friedlich in den letzten Sonnenstrahlen des Samstagnachmittags ruht, rumort es drinnen gewaltig. Bereits zum vierten Mal inszeniert der Richard-Wagner-Verband Minden in dem kleinen Haus ganz große Oper. Zehn Jahre ist es her, dass Der fliegende Holländer zu einem überwältigenden Erfolg wurde. 2005 folgte der Tannhäuser, wiederum vier Jahre später Lohengrin. Nun feiert der Verband seinen hundertjährigen Geburtstag mit Tristan und Isolde. Frank Beermann, Musikalischer Leiter und Mann der ersten Stunde, heute GMD in Chemnitz, hatte die Idee, die die Aufführungen bis heute prägt. Anstatt die Musiker bayreuth-üblich zu verstecken, kehrt er das Konzept um und stellt das Orchester auf die Bühne. Für die Szene bleibt der kleine Raum auf dem abgedeckten Graben. „Als unser Vater Wolfgang Wagner im Jahr 2002 in Minden die Premiere des Fliegenden Holländers und drei Jahre später die Tannhäuser-Premiere erlebte, war er stark beeindruckt. Beeindruckt nicht nur von der künstlerischen Qualität der Aufführungen, sondern vor allem auch von dem unglaublichen Kraftakt, den der Richard-Wagner-Verband Minden mit diesen großen Opernproduktionen gewagt und erfolgreich gemeistert hat“, schreibt Eva Wagner-Pasquier in ihrem Grußwort. Seitdem gehört es für die Familie zum guten Ton, bei der Premiere anwesend zu sein. Und Wolfgang Wagner hat bis heute Recht behalten. Auch in diesem Jahr atmet aus jeder Pore dieser Produktion die Liebe, Anstrengung und Sorgfalt, die investiert worden sind. Ob Organisation oder umfangreiches und lesenswertes Programmheft: Hier findet alles auf einem Niveau statt, das dem eines großen Hauses ebenbürtig ist. Mit dem Unterschied, dass hier nicht hunderte von Praktikern unterwegs sind, sondern Vorarbeiten und ein Großteil der Organisation rund um die Produktion von einer Gruppe Laien unter der Ägide von Jutta Winckler, Vorsitzende des Verbandes, erledigt wird.

Am Anfang steht die Skepsis. Der Raum über dem Graben bietet kaum Platz für ein Kammerspiel. Eine Plattform, auf der drei Ruderboote untergebracht sind, die den Untergang verdeutlichen, indem sie mehr und mehr verfallen, ein paar Kisten und Koffer, Tücher und Decken sind alles, was Frank Philipp Schlößmann auf der Bühne untergebracht hat. Über dem Orchester hängt er zunächst in See stechende Ruderboote, später einen zerstörten Nachen auf. Seine Kostüme zeitlos bieder, bei einer gelbblonden Isolde in rotem Kostüm beschleicht den Zuschauer schon mal ein unangenehmes Gefühl. Regisseur Matthias von Stegmann ist es zufrieden. Kongenial findet er Handlungs- und Bewegungsabläufe, konzentriert sich ganz wesentlich auf die Personenführung. Wenn Sängerdarsteller sich dem Publikum zuwenden, erzählen sie den Fortgang der Geschichte. Dialoge finden in direkter Begegnung, wenn nicht gar intensiver Umarmung statt. So entsteht ein atmosphärisch unglaublich dichtes Spiel, während das Orchester hinter einem blauen Gaze-Vorhang aufspielt. Zu seinen Seiten findet der Chor auf Emporen Platz. Von Stegmann hat für seine Inszenierung noch ein weiteres As im Ärmel: Mariella von Vequel-Westernach spielt, nein, sie zaubert mit dem Licht. Symbolhaft, konzentriert, immer der benötigten Stimmung entsprechend, auf das Wort genau lässt sie die Lichteffekte für das Stück arbeiten.

Die Sängerdarsteller danken so viel Sorgfalt bis ins Detail mit herausragenden Leistungen. Andreas Schager gibt mit tenoralem Volumen einen Tristan, bei dem der Kenner schon ahnt, dass das im dritten Aufzug einbrechen muss – gefehlt! Als ob er gerade eine Woche Urlaub hinter sich habe, bringt er da erst recht Wagnersche Leidenschaft zum glühen. Leicht gemacht wird ihm das von Dara Hobbs, die, eigentlich viel zu jung, möchte man meinen, der Isolde gerade in den Höhen funkelnden Glanz und Strahlkraft verleiht. Ruth Maria Nicolay verkörpert eine Brangäne der Gegenwart. Da gibt es keine Schnörkel, kein sich Winden; klare Strukturen bis in einen deutlich verständlichen Mezzosopran. Als König Marke zeigt James Moellenhoff eine Bühnenpräsenz, die nicht nur in seiner physischen Größe begründet ist. Sein Bariton erschüttert in der Tiefe und bleibt doch so klar und verständlich, als trüge er ein dramatisches Gedicht vor. Roman Trekel begeistert naturgemäß besonders im dritten Aufzug als Kurwenal in Stimme und Darstellung. Wunderbare Unterstützung finden die „Leidenden“ in Thomas de Vries als Melot, André Riemer und Sebastian Eger.

Der Chor fasziniert mit Präzision und Wucht. Sicher, der Einsatz ist überschaubar, aber was Thomas Wirtz da mit Laien aus kirchlichen und weltlichen Chören einstudiert hat, ist eindrucksvoll und braucht sich hinter keinem Opernchor zu verstecken.

Die Nordwestdeutsche Philharmonie gehört ebenfalls von Anfang an zum Team der Mindener Wagner-Opern. Frank Beermann führt Orchester und Chor mit weichen, fließenden Bewegungen und offener Geste. Von melodramatischer Zeitlupe hält er nichts, sondern steuert die Musiker mit ruhiger Gelassenheit zügig durch die Partitur. Das nutzt nicht nur dem Stück, sondern auch die Musiker sind hochkonzentriert bei der Sache. Allein in den Tutti forciert der Dirigent, dass die Bühne bebt. Aber das sei gewollt, schließlich sei hier Wagner und kein Kammerorchester zu Gehör zu bringen, sagt Beermann. Großartig das Solo des Englisch Horn, von einer „studentischen Aushilfe“ mit einer Hingabe, Sanftheit und Improvisationsfreude gespielt, dass es einem den Atem nimmt.

Den Atem hat sich das Publikum für seinen Begeisterungsausbruch bewahrt. Unisono stehen die Ränge nach dem letzten Ton, das Parkett folgt unmittelbar, brausend hebt sich der Applaus der Bühne entgegen, bravi und irgendwelche westfälischen Schlachtrufe wollen nicht aufhören. Solche Begeisterung kann ein Publikum nach fünfeinhalb Stunden nur aufbringen, wenn es durch und durch davon überzeugt ist, soeben eine Glanzleistung einzigartiger Opernkunst erlebt zu haben. Und wie heißt doch gleich der Satz, den Kritiker am wenigsten mögen: Das Publikum hat immer Recht. In Minden stimmt er.

Michael S. Zerban

Fotos: Mariella von Vequel-Westernach