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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
26. Mai 2012
(Premiere am 21. Mai 2010)

Theater Lübeck

Points of Honor                      

Musik

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Eiskalte chinesische Prinzessin

Auch der zweite Abend des Puccini-Zyklus am Theater Lübeck gelingt zu einem außergewöhnlichen musikalischen Ereignis. Giacomo Puccinis letzte Oper Turandot konnte der Komponist selbst nicht mehr vollenden. Sein Schüler Franco Alfano schrieb den Schluss dazu, und diese Fassung wird auch in Lübeck gespielt. Es ist wohltuend, dass der Dirigent nach der Sterbeszene der Liù und vor dem Alfano-Schluss eine mehrere Sekunden andauernde Generalpause einlegt.

Regisseur Wolfgang Quetes hat die Geschichte der eiskalten chinesischen Prinzessin Turandot mit eindrucksvollen stilistischen Mitteln umgesetzt. Der Kontrast zwischen Kälte und Wärme, zwischen Hass und Liebe, ja zwischen Tod und Leben wird vor allem optisch dargestellt. Die Bühne von Heinz Balthes ist ein kalter, weißer, einengender Raum, der keinen Platz für Gefühle zulässt. Er ist der Hort emotionaler Kälte. Die steile Treppe, quasi aus dem Himmel kommend, verstärkt diesen Moment. Passend dazu sind das chinesische Volk, der Hofstaat der Prinzessin und sie selbst in helle weiße und beigefarbene Gewänder gekleidet, die Gesichter ausdruckslos kalt und weiß geschminkt. Lediglich der Scharfrichter und seine Schergen erscheinen in tiefem Schwarz. Die Eisestemperaturen übertragen sich förmlich auf das Publikum. Die einzigen farbigen Elemente sind blutrote Lampions und die Utensilien der Minister.

In warmen Grüntönen dagegen erscheinen der fremde Prinz Calaf, sein Vater Timur und die Sklavin Liù. José-Manuel Vázquez hat die Kostüme entworfen. Das von Matthias Hönig inszenierte Lichtdesign unterstreicht dabei die emotionalen Kontraste. Die Personenregie von Quetes zielt genau auf diesen Konflikt ab, der von den Protagonisten in konsequenter Form umgesetzt wird. Das Zusammenspiel von Bühne, Kostümen und Lichtdesign ist in dieser Inszenierung grandios gelöst, herausragend dabei das furiose Finale im ersten Akt, als die Bühne zum Gongschlag Calafs in blutrotes Licht getaucht wird.

Mit einem außergewöhnlichen Sängerensemble besticht das Theater Lübeck an diesem Abend und macht die Aufführung zu einem besonderen Erlebnis. Rebecca Teem überzeugt schauspielerisch und gesanglich als  Turandot. Mit ihrem strahlkräftigen Sopran und ihren glasklaren Höhen ist die Eiseskälte der Prinzessin förmlich hörbar geworden. Ihre Auftrittsarie und die Rätselfragen lassen die Temperatur im Theater förmlich sinken. Die Verwandlung zur liebenden Frau am Schluss vermag ihr bei aller stimmlichen Perfektion vom Ausdruck her nicht ganz zu gelingen.

Herausragend an diesem Abend ist der Tenor Mario Zhang als Calaf. Seine schöne Stimme besticht durch ein warmes, baritonales Timbre, und seine leuchtenden und durchdringenden Höhen setzen sich mühelos und ohne Kraftverlust gegen das Fortissimo im Orchester durch. Sein Nessun dorma braucht keinen Vergleich zu scheuen. Da diese Arie mit dem Konzertschluss gegeben wurde, durfte Zhang den verdienten Bravo-Sturm nach dem letzten, lang ausgehaltenem „vinceró“ entgegen nehmen.

Die junge Sopranistin Anne Ellersiek überzeugt vor allem durch eine sehr saubere Stimmführung und wunderbare Piano-Töne. Ihre Arie Signore, ascolta im ersten Akt singt sie mit großer Innigkeit, während sie die dramatischen Ausbrüche in ihrer Schlussszene mit großer Leidenschaft gibt. Es fehlen allerdings etwas Wärme und Anmut in Stimme und Spiel, so dass die große emotionale Berührung leider ausbleibt.

Für große Nachhaltigkeit sorgen Steffen Kubach als Ping, Patrick Busert als Pong und Daniel Szeili als Pang. Die drei Minister werden hier als Hofnarren dargestellt, die durch überschäumendes komödiantisches Spiel begeistern. In ihrem großen Terzett zu Beginn des zweiten Aktes dürfen sie ihre Masken ablegen und offenbaren ihre tiefen Sehnsüchte nach ihrer Heimat. Musikalisch ist dieses Terzett bewegend gesungen, die drei Stimmen harmonieren auf das Beste.

Andreas Haller singt und spielt den blinden Timur mit balsamischem Bass, seine Erschütterung nach dem Tode Liùs ist ein bewegender Moment an diesem Abend. Edgar Schäfer als alter Kaiser Altoum und der markante Johan Choi als Mandarin runden ein außergewöhnliches Sängerensemble ab.

Auch musikalisch ist dieser Abend auf höchstem Niveau. Das Orchester verdient größtes Lob für sein mitreißendes und präzises Spiel. Ein Sonderlob gehört den Bläsern in den Proszeniumslogen, die durch ihre sauberen Einsätze der musikalischen Dramatik einen besonderen Akzent verleihen. Eine derartige Orchesterleistung ist nicht selbstverständlich. Ludwig Pflanz leitet das Orchester engagiert und mit großer Dynamik. Doch es fehlt ihm der Mut, die wenigen lyrischen, anrührenden Momente der Partitur zuzulassen, so dass der emotionale Funke in letzter Konsequenz nicht vom Orchestergraben auf das Ensemble und das Publikum überspringt, wie es am Abend zuvor Luciano di Martino in der Madama Butterfly gelungen ist.

Herausragend der von Joesph Feigl und Gudrun Schröder perfekt einstudierte Chor, Extrachor und Kinderchor. Sie meistern alle Schwierigkeiten des Abends mit großer Bravour und werden am Ende mit großem Jubel bedacht.

Zum Schluss ist sich das Publikum einig im großen Jubel für Sänger, Orchester und Chor. Doch der ganz große Enthusiasmus, wie er am Abend vorher festzustellen war, bleibt aus. Vielleicht hat das Publikum sehr sensibel auf die fehlenden großen emotionalen Berührungen reagiert. Dennoch, die Messlatte, die nach dem ersten Abend des Puccini-Zyklus schon sehr hoch gelegt wurde, ist zumindest sängerisch noch einmal übertroffen worden.

Andreas H. Hölscher

Erster Teil des Zyklus: Madama Butterfly
Dritter Teil des Zyklus: Tosca

 





Fotos: Oliver Fantitsch