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Fakten zur Aufführung 

SÄNGER OHNE SCHATTEN
(Boris Nikitin)
22. August 2014
(Uraufführung)

Ruhrtriennale,
Maschinenhalle Zweckel Gladbeck


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Man singt nicht mit vollem Mund

Die Zuschauer zu irritieren, das gelang Heiner Goebbels in seiner dreijährigen Amtszeit als Intendant der Ruhrtriennale wiederholt. Die Diskussionen über die rätselhaften Bilder seiner Inszenierung von Louis Andriessens Musiktheater De Materie und über den Maschinenpark zu Romeo Castelluccis „Choreografie“ von Strawinskys Sacre du Printemps sind noch nicht verklungen, da provoziert der Schweizer Theatermacher Boris Nikitin mit der Uraufführung seiner Performance Sänger ohne Schatten weitere Fragezeichen. Und nicht nur die. Als Christoph Homberger die Arie des Sängers aus Strauss‘ Rosenkavalier trällert, während er genüsslich einen Teller Spaghetti mit ausgesprochen schlechten Tischmanieren verzehrt, werden verlegene Lacher und angewiderte Brechreize hörbar. Mit vollem Munde singt man nicht.

Klamauk oder ein Beitrag zum Verhältnis von Stimme, Körper und Rolle, wie es der Ankündigungstext etwas großspurig verspricht? Im Grunde beides und noch etwas mehr. Was Nikitin mit anerkennenswertem Unterhaltungswert 100 recht kurze Minuten auf die Zuschauer der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck loslässt, vereint mehr oder weniger zusammenhanglos Gedanken zum Wesen der Stimme und zur Erarbeitung der Rollen mit teils anrührenden, teils anekdotenhaft kecken, biografischen Einblicken, Clownerien und zum Glück auch viel schöner Musik aus dem Bestseller-Katalog der Oper. Ein wenig Volkshochschule, ein wenig Autobiografie, ein wenig Theaterzirkus und ein bisschen mehr Oper. Nicht mehr und nicht weniger.

Drei denkbar unterschiedliche Sängerpersönlichkeiten treffen sich in einer eigens erstellten Blackbox, die sich nur ein einziges Mal für kurze Zeit öffnet und den Blick auf die bizarre Turbinenlandschaft der Maschinenhalle zulässt: Der 50-jährige Tenor Christoph Homberger, der seine Karriere aufgeben will, der knapp 40-jährige Yosemeh Adjei, der am Beginn einer großen Karriere steht und die etwa 70-jährige ehemalige Primadonna der Deutschen Oper Berlin, Karan Armstrong, die ihre Karriere hinter sich hat und aufgrund eines schmerzhaften Bandscheibenvorfalls den Abend im Rollstuhl mit grandioser Selbstbeherrschung verbringt. Die drei erzählen aus ihrem Leben, geben Einblick in Aufwärmübungen, dozieren über ihre Stimme und ihre Lieblingsrollen, albern herum und singen immer wieder. Und das nicht schlecht, auch wenn die drei Stimmen von ihrer Beschaffenheit her nicht für ein ausgewogenes Vokalterzett taugen. Doch umso befremdlicher, aber auch reizvoller wirkt ein Potpourri für diese drei Stimmen, in dem Schmankerln von Bach, aus der Tosca, Hoffmanns Erzählungen, dem Rosenkavalier und dem Wozzeck kühn verknüpft werden. Eine ungewohnt herbe Note erhält so auch das traumhafte Terzett aus Mozarts Così, ohne die Schönheit der Musik anzutasten. Und Schuberts Doppelgänger im Duo von Christoph Homberger und Yosemeh Adjei erzielt eine solche Ein- und Ausdruckskraft, dass danach das Licht ausgehen müsste. Für den Schlusspunkt sorgt allerdings noch Karan Armstrong mit dem altersreifen Monolog der Marschallin, der aus dem Mund der stimmlich noch immer achtbaren, im Rollstuhl sitzenden Ex-Primadonna eine zusätzlich bewegende Note erhält. Es mag an der Erfahrung der Sängerin liegen, die dem Treiben des Opernalltags aus einer gewissen Distanz zusieht, dass ihre Bekenntnisse zu ihren Lieblingspartien, mit exzellenten Vorträgen aus dem Wozzeck und Wagners Tristan garniert, besonders nahegehen. Auch ihre inneren Widerstände gegen die Küsterin aus Janá č eks Jenufa: „Eine Frau, die ein Kind tötet. Das will ich nicht.“ Sie hat sich trotzdem von Willy Decker dazu überreden lassen, aber nur für kurze Zeit.

Handfester gehen die Herren zur Sache. Christoph Homberger gibt seinen Einstand mit einer a cappella gesungenen und gespielten Arie des Florestan und Yosemeh Adjei schlägt leidenschaftliche Funken aus einer Arie aus Händels Oper Siroe. Zu Szymanowskis Liedern eines verliebten Muezzin heben sich die schwarzen Bretter der Blackbox für kurze Zeit und die Sänger nutzen die einmalige Kulisse und die Größe der Halle, um von verschiedenen Standorten den Klangeindruck zu variieren. Eine Chance, die Nikitin leider zu selten nutzt.

Mit von der Partie ist der Pianist Stefan Wirth, der die Sänger wunderbar unterstützt und mit einer sich mächtig steigernden Wiederholung des Keikobad-Motivs aus Strauss‘ Frau ohne Schatten die Rolle des Sängers als Überwinder der orchestralen Übermacht deutlich macht.

Die Strauss-Oper gab auch Anstoß zu dem Titel des Abends, Sänger ohne Schatten, anspielend auf das Schattenmotiv als Symbol der Fruchtbarkeit, aber auch des Untoten, wie wir es aus dem Vampirismus kennen. Die Doppelrolle des Sängers als Kunstfigur und als Mensch aus Fleisch und Blut, die Wechselwirkung der beiden Bereiche sollen in zwei Teilen demonstriert werden. Die Erweckung eines Verstorbenen und Doppelgänger, aufgehängt an der Florestan-Arie und dem Schubert-Lied.

Ein kurioses Sammelsurium bieten Nikitin und das Ensemble mit diesem unterhaltsamen Opern-Talk. Das Publikum hat seinen Spaß und applaudiert herzlich.

Pedro Obiera

Fotos:
Jörg Baumann/Ruhrtriennale 2014