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Fakten zur Aufführung 

LE SACRE DU PRINTEMPS
(Romeo Castellucci)
15. August 2012
(Uraufführung)

Ruhrtriennale, Gebläsehalle Duisburg


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Vom Staube verweht

Was die Überlegungen Romeo Castelluccis, des bekannten italienischen Theatermachers, für seine mit Spannung erwartete Choreografie von Igor Strawinskys einstigem Skandalstück Le Sacre du Printemps angeht, kann man ihm voll und ganz zustimmen. Die Premiere zum Auftakt der diesjährigen Ruhrtriennale in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks Nord zeigt allerdings, dass Logik und Bühnenwirksamkeit nicht unbedingt auf einem Holz wachsen müssen. Da helfen auch kein Maschinenpark mit 40 riesigen Gebläse-Apparaturen und computergesteuerten Robotern und auch keine sechs Tonnen Knochenstaub, zermahlen aus den Resten von 75 armen Rindern.

Zunächst die gute Nachricht: Auf die Wirkung des Sacre kann man sich auch außerhalb der Tanzbühne verlassen und sei es im schmucklosen Konzertsaal. Da hat Castellucci Recht. Auch werden heute keine Menschenopfer mehr wie im heidnischen Russland Strawinskys gefeiert. Menschen fallen heute eher maschinellen Prozessen zum Opfer. Und Knochenstaub als wichtigste Grundlage der heutigen Düngerproduktion taugt als Symbol für die Schnittstellen von Leben, Tod und Weiterleben. Da mag ihm niemand widersprechen.

Zusammenhänge, die tanzende Menschen aus Fleisch und Blut nach Ansicht Castelluccis allerdings nicht mehr zum Ausdruck bringen können. Also lässt er die Maschinen sprechen und das Knochenmehl tanzen. Das sieht so aus, dass zum Rhythmus der eingespielten Musik der Staub in unterschiedlicher Konzentration und Beleuchtung in die Luft geblasen wird und gelegentlich pittoreske Arrangements bildet, die jede Fotoausstellung zieren könnten. Leise rieselt das Mehl zu zarten Klängen, mächtig hüllt es die mit einem transparenten Vorhang von den Zuschauern getrennte Bühne ein. Schnell wird deutlich, dass Castellucci, der Wert darauf legt, nicht als „Choreograf“ bezeichnet zu werden, nicht anders auf die Töne reagiert als die meisten Voll-Choreografen. Und noch schneller wird deutlich, dass der Bewegungskanon der Staubwolken erheblich enger begrenzt ist als der des menschlichen Körpers. Im Wettkampf mit der Natur zieht halt immer wieder die Technik den Kürzeren. Jede Stubenfliege bewegt sich eleganter als der teuerste Airbus. Und um die Dynamik, die explosive Sprengkraft der Musik motorisch umsetzen zu können, bedarf es keiner lärmenden Maschinerie, sondern der Vitalität und Beweglichkeit des menschlichen Körpers. Schließlich käme niemand auf die Idee, die ruppige, kantige Interpretation des Werks durch Musica Aeterna unter Teodor Currentzis, deren Live-Mitschnitt von der letztjährigen Ruhrtriennale eingespielt wird, durch Dampfhämmer zu ersetzen. Bisher wenigstens nicht.

Das Ergebnis ist so trocken wie der Staub, den Castellucci rieseln lässt. Vor dem finalen Opfertanz kapituliert er vollends. Die Maschinen schweigen und auf den Vorhang werden nüchterne Infos zur Düngerherstellung projiziert. Nach dem Schlusstakt der Originalmusik setzt eine unverbindliche elektronische Geräuschkulisse ein und Arbeiter in Ebola-Schutzkleidern schippen noch eine Viertelstunde lang den Knochenstaub in diverse Kübel. Das Ende bleibt offen, Saaldienerinnen deuten an, dass es nicht mehr lange dauern kann, die ersten Besucher verlassen die Halle, zaghafter Applaus verstummt nach ein paar verlegenen Sekunden. Ein Paradebeispiel, leider nicht das einzige in der Geschichte der Ruhrtriennale, für das eklatante Missverhältnis von Aufwand und künstlerischem Ertrag.

Pedro Obiera

Fotos:
Wonge Bergmann/Ruhrtriennale 2014