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Fakten zur Aufführung 

JEDERMANN - DIE ROCKOPER
(Peter Lund/Wolfgang Böhmer)
12. Juli 2014
(Uraufführung am 10. Juli 2014)

Theater Erfurt, Domstufenfestspiele


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Rockiges Sterben auf den Domstufen

Am Ende der Spielzeit werden im Theater Erfurt nochmals alle Kräfte gebündelt. Denn dann stehen die Domstufen-Festspiele an, ein sommerlicher Höhepunkt für Einheimische und Touristen in der an Attraktionen wahrlich nicht armen Stadt. Das Ambiente ist mehr als imposant. 70 Domstufen, die zwischen dem Mariendom und der etwas rechts dahinter liegenden St. Severikirche auf den Domberg führen, bilden eine einmalige Kulisse für das Open-Air-Spektakel. Die natürliche Szenerie passt oder wird passend gemacht für nahezu jeden Schauplatz, sei er nah oder fern. Das kann ein märchenhaftes China sein, wie letztes Jahr bei Turandot, das mittelalterliche Jerusalem, wie 2012 bei Verdis Lombarden oder ein sizilianisches Dorf, wie 2007 bei Mascagnis Cavalleria Rusticana. Gespielt wird nicht nur Oper, sondern auch Oratorium, Schauspiel und Musical: Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar wurde 2005 hier gekreuzigt, 2008 gab sich Erfurts berühmtester Student Martin Luther im vom norwegischen Autorenduo Wiik und Kverndokk eigens komponierten Martin L. – Das Musical die Ehre, und heuer ist es der Jedermann, den es schon 2000 im Original von Hugo von Hofmannsthal, angereichert mit Bachscher Musik, gab. 2014 kämpft der reiche Mann nun singend vergeblich gegen das Sterben an – in der von Peter Lund und Wolfgang Böhmer neu kreierten, gleichnamigen Rockoper.

Sie bleibt nahe an der Erstfassung. Lund benutzt gereimte Verse, aktualisiert nur dezent und greift kaum in die Ursprungshandlung ein. So verschafft er beispielsweise der hier als Liebste bezeichneten Buhlschaft größeres Gewicht, lässt sie vom Mob verbrennen und Jedermann im Todesreich willkommen heißen – eine utopische Erlösung. Den Autor und Regisseur, ein Meister der überspitzten, gesellschaftskritischen Texte mit messerscharfen Pointen, der zudem wunderbar differenziert inszenieren kann, lernt man hier von einer ganz neuen Seite kennen. Erstmals versucht er sich an einem Freilicht-Event, bei dem nicht Feinzeichnung verlangt wird, sondern großes, buntes Volkstheater. Und es gelingt ihm. Lund weiß die Massen zu bewegen, sorgt für effektvolle Chor- und Ensembleaufzüge, zeigt aber auch sein Händchen für Personenregie in der Führung der allegorischen Figuren. Allerdings hat er auch ein Ausstattungsteam an seiner Seite, das das rechte Gespür für effektvolle Optik zeigt. Ulrike Reinhards fantasiereiche Kostüme, Stefan Winklers magisches Lichtdesign und Hank Irwin Kittels Szenerie, die mit einem Minimum an Versatzstücken Bühnenatmosphäre schafft, tragen wesentlich zum szenischen Erfolg der Aufführung mit bei.

Den hat sie musikalisch nicht minder. Auch für den Komponisten Wolfgang Boehmer, einer der häufigen künstlerischen Partner von Peter Lund, ist die große Form ein Novum. Und auch er meistert die Aufgabe beachtlich. Seine Partitur ist reich an eingängigen Soli und Ensemblestücken, bietet Erinnerungsmotive, dankbare Sängerpartien und als Clou eine Rockband, die neben dem traditionellen Orchester die Stimmung anheizt.

Andreas Lichtenberger macht als Jedermann eine attraktive Figur, bleibt aber vokal und gestalterisch zurückhaltend. Kein Wunder, sind es doch die Frauen, die in Erfurt die Hosen anhaben. Brigitte Oelke ist als weiblicher Tod umwerfend. Jeder ihrer Auftritte ist ein Highlight in punkto darstellerischer Präsenz und stimmlicher Ausdruckskraft. Den sanften Gegenpol verkörpert Marysol Ximénez-Carrillo in einer Doppelrolle. Mit bestens geschulter Musicalstimme, vorbildlicher Textdeutlichkeit und inniger Ausstrahlung werden ihre Werke und Schuldners Frau zu anrührenden Bühnengestalten. Dazu kommt Katja Bildt als übergroße Mutter, die sie mit imponierender Röhre ausstattet. Nur die anmutig agierende Nadja Mchantaf von der Dresdner Semperoper fällt vokal aus dem Rahmen, weil sie in der oberen Lage die Opernsängerin nicht verleugnen kann. Alle weiteren Partien sind mit Mitgliedern aus dem Hausensemble – stellvertretend sei der tapsige Gott von Nils Stäfe genannt – und Gästen treffend besetzt. In Jürgen Grimm haben sie einen aufmerksamen Begleiter, der zudem dem Philharmonischen Orchester Erfurt einen mitreißenden Musicalsound entlockt.

Die ausverkaufte Vorstellung wird vom Publikum ausgiebig bestaunt und beklatscht. Im kommenden Jahr kommt mit Webers Der Freischütz wieder die Oper zu ihrem Recht. Dann kann man erleben, wie der deutsche Wald auf den Domstufen Platz findet.

Karin Coper

Fotos: Lutz Edelhoff