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Auf dem Kreuzzug nach Erfurt
Es scheint ein einfaches Rezept zu sein. Man nehme ein Werk, das den ersten Kreuzzug zum Thema hat und vor allem durch große Chorszenen imponiert, prädestiniert für eine Aufführung vor der malerischen Kulisse vom Mariendom mit seinen Stufen, gestalte es mit Massenszenen und erläutere dazu mit überdimensionierten Lettern. Schon sind die DomStufen-Festspiele 2012 in Erfurt ein Erfolg. Ist es so einfach?
Regisseur und Intendant Guy Montavon inszeniert Verdis frühe und selten gespielte Oper Die Lombarden als Erklärstück. Drei Handlungsstränge sind in dieser Oper miteinander verwoben. Neben dem hasserfüllten Bruderzwist zwischen Arvino und Pagano steht vor allem der Glaubenskrieg zwischen Christen und Muselmanen im Mittelpunkt, ein heute wieder ganz aktuelles Sujet. Auch die Liebe eines Muselmanen zu einer Christin, für die er sich taufen lässt und letztendlich sein Leben verliert, spielt in diesem Kontext eine besondere Rolle.
Hier fehlt die Ausarbeitung dieser Konflikte durch gezielte Personenregie. Stattdessen kriegerische Massenszenen mit Gebrüll, und Statisten, die erklärende Worte wie Frieden, Hass, Suche und Fremde in großen Lettern auf die Bühne tragen. Am Schluss erscheint auf der Domempore das Wort „Minarett“. Gibt es keine andere Möglichkeit, den Zuschauern und Zuhörern dieses Werk inhaltlich nahe zu bringen? Überdimensionierte Hände der Choristen, große Gesichtsmasken auf der Domempore im letzten Akt tragen nicht zum Verständnis des Werkes bei. Am Schluss erscheinen zwei riesige Holzpuppen, Symbol für die verfeindeten und letzten Endes versöhnten Brüder, oder stellvertretend für die beiden großen Religionen, die so vieles eint und gleichzeitig trennt. Die Hand wird zum Gruß gereicht, von der anderen Seite aber verweigert. Das Publikum bekommt viel Symbolik fürs Auge, aber die tieferen Dimensionen dieses Werkes werden nicht ausreichend wiedergegeben.
Versöhnt wird das Publikum am Schluss durch die farbig beleuchtete Kulisse des Erfurter Doms und seinen Stufen, die teilweise am Rande in das Geschehen mit einbezogen wurden. Hank Irvin Kittel präsentiert mit dem einheitlichen, wellenförmigen Bühnenbild Raum für Massenszenen, die intimen Momente gehen dabei aber verloren. Uta Meenen hat mit den historisch anmutenden Kostümen eine optisch ansprechende Ausstattung gewählt.
Dafür ist die musikalische und sängerische Darbietung vorzüglich. Die italienische Sopranistin Katia Pellegrino begeistert stimmlich und optisch in der Rolle der Giselda, ihre dramatischen Ausbrüche sind markant und pure Emotion. Beeindruckend auch der Auftritt des Armeniers Tigran Martirossian in der Rolle des Pagano, dessen wohlklingender, balsamischer Bass eine eindrucksvolle stimmliche Atmosphäre erzeugt. Martirossian überzeugt mit seiner enormen Bühnenpräsenz und Kondition. Sein Wandel vom brutalen und hasserfüllten Bruder zum demütigen und glaubensstarken Eremiten gelingt ihm in eindrucksvoller Manier. Richard Carlucci gibt den Oronte mit tenoralem Schmelz und strahlenden Höhen und ist vor allem in den Duetten mit Katia Pellegrino stimmlich ebenbürtig. Gabriele Mangione singt den Arvino mit heldenhaftem Tenor. Jie Zhang als Viclinda, Sebastian Pilgrim als Pirro sowie die anderen Protagonisten fügen sich stimmlich harmonisch und spielerisch ausdrucksstark in das überzeugende Gesamtensemble ein. Die Leistungen aller sind um so höher zu bewerten, als die widrigen Wetterbedingungen mit Nässe, Wind, kühlen Temperaturen und glattem Bühnenboden eine enorme Kraftanstrengung für die Protagonisten bedeuten.
Das Philharmonische Orchester Erfurt unter der Leitung von Samuel Bächli spielt mit großer Intensität, und trotz der schwierigen Rahmenbedingungen vermag es Bächli, via Monitor Orchester, Solisten und Chor zu einer harmonischen musikalischen Einheit zusammen zu fügen. Ein großes Lob gilt der Tontechnik, die trotz zahlreicher Nebengeräusche und witterungsbedingter Einschränkungen Solisten, Chor und Orchester sauber und einwandfrei überträgt und damit einen großen Anteil an der hervorragenden musikalischen Darbietung hat.
Der von Andreas Ketelhut stimmlich hervorragend eingestellte Opernchor des Theaters Erfurt sowie der Philharmonische Chor Erfurt meistern alle großen Chorszenen mit großem Engagement. Die große Hymne im vierten Akt, in der die Kreuzfahrer die Schönheit ihrer Heimat besingen, ist eine Reminiszenz an den Gefangenenchor aus Verdis Nabucco, dem Vorgängerwerk der Lombarden und musikalischer Höhepunkt des Chorgesanges.
Das Erfurter Publikum spendet am Schluss höflichen Applaus, lediglich bei Katia Pellegrino gibt es so etwas wie Begeisterung. Viele sind scheinbar zu sehr mit ihren Regenponchos beschäftigt, und die schlechte Witterung tut ein Übriges für die fehlenden Emotionen. Was allerdings überhaupt nicht geht, sind störende Straßenbahnen und grölende Jugendliche neben dem Theaterplatz, die einen ungetrübten Operngenuss nicht zulassen. Hier hat die Organisation der Festspiele offensichtlich versagt. Schade, dieser Kreuzzug hat nicht wirklich gewonnen.
Andreas H. Hölscher
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