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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
4. Juli 2013
(Premiere)

Theater Erfurt, Domstufenfestspiele


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Puccinis Unvollendete

Zum 20. Mal präsentieren sich die Domfestspiele vor der Kulisse des Erfurter Doms. Mit Puccinis letzter Oper Turandot und dem Märchen von der eiskalten chinesischen Prinzessin, die ihre potenziellen Freier reihenweise hinrichten lässt, steht zudem ein Klassiker auf dem Spielplan, der aufgrund der Chorszenen und möglicher opulenter Bühnenbilder besonders open-air-tauglich erscheint. Eine neue Tribüne für knapp 2.000 Zuschauer wurde errichtet, also alles bereit für das Jubiläum. Die Erwartungshaltung ist groß. Die Domstufen sind in Rot und Schwarz verkleidet, im chinesischen Kulturkreis stehen die Farben für Trauer und Liebe sowie für Gut und Böse. Fahnen und Tücher mit großen chinesischen Schriftzeichen lassen eine klassische und werkgetreue Inszenierung vermuten. Doch dann kommt alles anders.

Der Chor, die Herren im Smoking, die Damen ebenfalls in festlicher Garderobe, erscheint zu Beginn auf der Zuschauertribüne. Jeder hat eine kleine Spieluhr in der Hand, die das Hauptthema aus Nessun dorma anspielt, während sich auf der Bühne bereits die Sklavin Liù und der alte Timur in chinesischen Phantasiekostümen bereit halten. Und dann entwickelt die Geschichte eine seltsame Eigendynamik. Auch Calaf, im schwarzen Anzug, kommt auf die Bühne, während der Chor sich in den ersten Reihen positioniert und quasi das chinesische Volk als moderne Zuschauer interpretiert. Ein Hinweis auf aktuelle politische Zustände im Reich der Mitte? Schwer nachvollziehbar. Und so sind die Protagonisten im ersten Aufzug eher verloren auf der großen Bühne, zumal von einer sensiblen Personenregie nichts zu spüren ist. Hier ist einfallsloses Rampensingen angesagt.

Zwar erscheint der Chor im zweiten Aufzug in undefinierbarem Gewand auf der Bühne, doch besser wird es dadurch nicht. Und dann die große Szene der Liù im dritten Aufzug: sie tötet sich selbst, um Calafs Namen nicht zu verraten. Jetzt das große Finale, in dem sich die Prinzessin Turandot von der eiskalten Prinzessin in eine liebevolle Frau verwandelt – Fehlanzeige! Stattdessen: Schluss mit der Vorstellung, Licht an, Illusion aus.

Was ist passiert? Regisseur Marc Adam hat sich anscheinend an die Uraufführung von 1926 erinnert, als Arturo Toscanini in Mailand nach der Sterbeszene der Liu die Aufführung abbrach, weil genau bis zu dieser Stelle das Werk aus Puccinis Feder stammte, das er aber durch seinen Tod 1924 nicht vollenden konnte. Sein Schüler Franco Alfano hat dann das Werk nach vorliegenden Skizzen und Manuskripten beendet, und erst einen Tag nach der Uraufführung wurde das Werk mit dem noch heute üblichen Alfano-Schluss mit großem Erfolg gegeben.

Mit der Fassung ohne den Alfano-Schluss bleibt dem Erfurter Publikum nicht nur eine musikalisch durchaus großartige Schlusssequenz vorenthalten, auch die Geschichte endet nicht als Märchen, dabei wollte Puccini diesen Wandel. Intendant Guy Montavon hat im Grußwort des Programmheftes diesen historischen Zusammenhang angedeutet und bedeutungsschwanger auf die Lösung durch den Regisseur hingewiesen. Welche Lösung? Adam macht es sich zu einfach, wenn er nach der Sterbeszene der Liu einfach abbricht und die Geschichte nicht zu Ende bringt. Es hätte dann vielleicht noch Hand und Fuß gehabt, wenn er durch eine entsprechende Personenregie die Konflikte und die psychologischen Tiefen der Charaktere herausgearbeitet hätte. Doch das findet nicht statt. Stattdessen bietet er eine langweilige, in keiner Form berührende Aufführung an, die dem Anspruch eines Festivals in keinster Weise gerecht wird. Da hilft auch das bunte Bühnenbild von Hsiu-Chin Tsai nicht weiter. Ein paar überdimensionierte Totenmasken auf dem Boden, ein riesiger chinesischer Drachen als Zeichen der Macht, ein bunter Raum als Palast der Prinzessin; nett anzuschauen, aber ohne große Nachhaltigkeit. Die Kostüme von Pierre Albert sind bunt und phantasievoll, passen gut in diesen Rahmen. Am überzeugendsten ist in diesem Kontext noch die Lichtregie von Thomas C. Hase, der den Dom bei Einbruch der Dunkelheit farbenprächtig illuminiert.

Leider entschädigt die sängerische Darbietung für die schwache Inszenierung nicht . Carter Scott gibt eine solide Darstellung der Turandot. Doch ihr gelingt es nicht, die Kälte auszustrahlen, die so typisch für diesen Charakter ist. Auch fehlt ihr sowohl die Dramatik im Ausdruck als auch die Stahlkraft im Sopran, um diese Figur authentisch zu charakterisieren. Enttäuschend der Tenor Sergey Nayda als Calaf. Seiner Stimme fehlt der tenorale Schmelz sowie ein warmes Timbre, und die Höhen stemmt er nur mit größter Kraftanstrengung. Sein Nessun dorma gelingt ihm bis auf das vincera zum Schluss noch ganz passabel.

Die Sopranistin Marisca Mulder als Liù überzeugt noch am ehesten durch eine saubere Stimmführung und sichere Höhen. Ihre Arie Signore, ascolta im ersten Akt singt sie sehr innig, während sie die dramatischen Ausbrüche in ihrer Sterbeszene mit großer Leidenschaft gibt. Es fehlen allerdings Wärme und Anmut in ihrer Stimme und in ihrem Spiel, so dass die große emotionale Berührung ausbleibt.

Für große Nachhaltigkeit sorgen Máté Sólyom-Nagy als Ping, Jörg Rathmann als Pang und Benedikt Nawrath als Pong. In ihrem großen Terzett zu Beginn des zweiten Aktes harmonieren die drei Stimmen auf das Beste. Vazgen Ghazaryan singt und spielt den blinden Timur mit balsamischem Bass. Robert Wörle als Kaiser Altoum und der markante Sebastian Pilgrim als Mandarin runden ein solides Sängerensemble an diesem Abend ab. Die Chöre unter der Gesamtleitung von Andreas Ketelhut zeigen nicht die Prägnanz, die für ein Werk wie Turandot unabdingbar ist. Erschwerend kommt für die Sänger hinzu, dass die Tonmischung und die Übertragung per Mikro-Port an diesem Abend nur suboptimal ist. Der Klang ist teilweise zu hallig, zu blechern und die Lautstärke nicht adäquat ausgewogen.

Dafür überzeugen Samuel Bächli am Pult und die Musiker des Philharmonischen Orchesters Erfurt, die sich unter den erschwerten Bedingungen im Orchesterzelt ein großes Lob für ihr mitreißendes und präzises Spiel verdient haben. Bächli leitet das Orchester engagiert und mit großer Dynamik, doch fehlt ihm der Mut, die wenigen lyrischen, anrührenden Momente der Partitur zuzulassen, so dass der emotionale Funke in letzter Konsequenz nicht auf das Ensemble und das Publikum überspringt.

Am Schluss gibt es freundlichen und langanhaltenden Applaus für alle Beteiligten, doch Euphorie hört sich anders an. Wer das Werk nicht kennt, wird den fehlenden Schluss auch nicht vermissen. So bleibt am Ende ein unbefriedigendes Gefühl der Enttäuschung.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Lutz Edelhoff