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Fakten zur Aufführung 

HERZOG BLAUBARTS BURG
(Béla Bartók)
19. März 2008
(Premiere: 8. März 2008)

Staatstheater Saarbrücken


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Musik

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Chapeau, Sarrebruck!

<echtzeit> nennt sich die ambitionierte Reihe, in der das Staatstheater Saarbrücken seit der vergangenen Spielzeit neue Tendenzen im Musiktheater vorstellt. Nach „Eurydike hinter den Grenzen“ und dem russischen Revolutionsepos „Eis und Stahl“ (Besprechung von Franz Stuke hier) in dieser Saison gelingt mit Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ ein weiterer beeindruckender Wurf. Saarbrücken zeigt, dass Theater in der Provinz keineswegs Provinztheater sein müssen. Im Gegenteil: Im Südwesten spielt derzeit in Kaiserslautern (Reihe <Entartete Musik>, Besprechung von „Jonny spielt auf“ hier), Trier („Cusanus“, Besprechung von Franz Stuke hier) und eben Saarbrücken die (avantgardistische) Musik.

Penelope Wehrli wechselt in vereinnahmender Geschwindigkeit die unterschiedlichen Deutungsebenen. Ihr intellektuell brillanter Parforceritt nötigt dem Besucher alles ab, damit ihm Hören und Sehen nicht entgehen. Die sieben verschlossenen Türen in der einer wahren Liebe trotzenden Seelenburg des Blaubart werden tiefenpsychologisch als Schritte im Reifungsprozess des Herzogs gedeutet, bis ihm, erlöst durch Judith, mit der Öffnung der letzten Tür Zugang zur Nacht möglich wird als dem Raum schlechthin für die alles umfassende, sinnliche Liebe. Blaubart im (Lebens-)Manager Outfit liegt während der ganzen Aufführung auf der Couch, Therapeutin Judith, frauenstolz gekleidet (Kostüme: Ellen Hofmann), sitzt neben ihm auf dem Stuhl. Eingebaut in die ersten Zuschauerreihen, weil die Psychoanalyse nicht distanziert vom Logenplatz aus zu betreiben ist. Wie bei Bartók, braucht es keine Brüder mehr (im Unterschied zum eingangs von Katharina Bihler erwachsenenkonform exzellent vorgetragenen Grimmschen Märchen) zur Rettung. Der zu Erlösende ist der Mann.

Angelegt als szenische Skulptur (Dramaturgie: Berthold Schneider), wird das Märchen der Gebrüder Grimm multimedial nach allen Regeln raumspezifischer Installationskunst inszeniert. Wenn Katharina Bihler die Geschichte (mit zeitweise verfremdeter Stimme) erzählt, werden Comic-Elemente (diese Fortsetzungsmärchen des 20. Jahrhunderts) wie Walt Disneys hechel, keuch, lechz umgesetzt in unterschiedliche Schmatz-, Gaumenschnalzer- und Bronchialpfeif- und Würggeräusche lautmalerischer Art. Penelope Wehrli setzt zu Recht auf die Koinzidenz von ungarischer Sprache und Bartókscher Komposition, und einmal mehr zeigt das finno-ugrische Derivat seine überraschende Expressivität und Melodik. Unlearnable vielleicht, aber bestimmt nicht unhearable. Die deutsche Übertitelung absorbiert notwendigerweise einen Teil der Aufmerksamkeit, die gleichzeitig von den Protagonisten und der Bildkomposition aus legendären Filmszenen beansprucht wird. Eine Oper, die mehrfach besucht werden möchte. Jeder der sieben Türen wird menetekelgleich ein schriftliches Zitat zugeordnet, das die kollektive Seelenkrise der Moderne anspricht. Der siebensaitige Bogen wird von Heisenbergs Quantentheorie über Kommunikationsstrategien bis zu Zitaten des Piloten für die Hiroshimabombe gespannt.

Und als sei dies noch nicht anspruchsvoll genug, verbindet die Regisseurin Märchen und Film, als dem neuzeitlichen Träger des Mystischen. Szenen aus Zeiten, als Gesichter noch sprechen konnten, Geheimnisse bewahrten, deren völlige Aufdeckung auch nicht durch den Ausgang der Geschichten zu erleben war. Auf bewegten Gestellen, Drehtüren des Lebens, die eine Erinnerung an Don Quichottes Windmühlen wach halten, auf Flächen für Projektionen aller Arten. Für den Raum zuständig Penelope Wehrli wie für die Bildkomposition, an der Hannah Groninger mitwirkte. Mythenträchtige Bilder, Häuser, in denen man nicht zuhause sein kann, Eindrücke, die lange nachwirken, verstören wie vereinnahmen, und auf die Seelenreise schicken. Eine mehr als sehenswerte Performance.

Das Saarländische Staatsorchester intoniert unter dem Dirigat von Christophe Hellmann Bartók so heutig, so dynamisch, so unwiderstehlich suggestiv, man ist geneigt zu sagen: psychoagogisch, dass man manchmal unwillkürlich Lust verspürt, die Augen zu schließen und die Eruptionen von Gefühlen einfach nur zu genießen. Dass die Orchesterballustrade entfernt und Einblick gewährt wurde, gehört zur stimmigen Gesamtkomposition einer Skulptur.

Mit Dubravka Musovic und Olafur Sigurdarsson kam das Haus der conditio sine qua non für diese Zweipersonen-Suite nach: große Stimmen und große Persönlichkeiten. Die zum festen Ensemble gehörende Kroatin verfügt über einen ungeheuer weiten Mezzosopran, dessen differenzierte Färbung ihr Zugang verschafft zu den Tiefenschichten der Seelen ihrer dargestellten Figuren wie ihrer Hörer. Als Judith gelingt ihr, die ungeheure Herausforderung zu meistern, die von der Regie gestellt wird: Distanz und Empathie zu vermitteln. Bariton Olafur Sigurdarsson, Gast in Saarbrücken, intonationsperfekt und mit einer Klangfülle, die ihn auf allen Gefühlstasten von Sehnsucht über Ritterlichkeit bis zu ausbrechenden Atavismen spielen lässt.

Das Publikum, Zwei-Drittel-Auslastung an einem Mittwochabend, wird an seine Grenzen geführt und lässt dies bereitwillig mit sich machen. Starker Schlussapplaus, tiefer Respekt gegenüber den Beteiligten, großer Gesprächsbedarf. Grenzgänger eben, im Alltag wie in der Oper.

Frank Herkommer

 




Fotos: Björn Hickmann