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Fakten zur Aufführung 

CUSANUS - FRAGMENTE DER UNENDLICHKEIT
Boudewijn Buckinx
29. Dezember 2007
(Uraufführung: 24. November 2007)

Theater Trier


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Weisheitslehren

Cusanus, Nikolaus von Kues, entfaltet mit seiner nonkonformistischen philosophischen Theologie Wirkungen in unserer Zeit. 1488 – relativ kurz nach der Eroberung von Byzanz durch die mohammedanischen Türken – erschien sein Werk zur religiösen Toleranz De pace fidei (Über den Frieden im Glauben); es dauerte fast 500 Jahre, bis im Zweiten Vaticanum diese Ideen wieder aufgegriffen wurden. Seine Schrift De docta ignorantia (Die belehrte Unwissenheit) ist ein sokratisches Plädoyer für die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis – aber auch für die „Weisheit der Vielen“, wie man heute zu sagen pflegt.

Um diesen großen Kommunikator, Kardinal und Gelehrten macht sich das Theater Trier verdient. Doch das Theater ist nicht allein mit diesem ambitionierten Projekt: Einbezogen ist der Zusammenhang mit der Großregion Luxemburg als Kulturhauptstadt 2007, die Kooperation mit der Universität Trier, Unterstützung durch die Cusanus-Gesellschaft, katholische und protestantische Cusanus-Initiativen, Einbeziehung von Volkshochschulen und Gymnasien – und schließlich noch der Beitrag zum Jahr der Geisteswissenschaften. So realisiert sich in einem kreativ-fördernden Umfeld mit den Librettisten Inigo Bocken und Peter Larsen zur Komposition Boudewijn Buckinxs ein „Szenisches Oratorium“ mit eindringlicher Botschaft, gestalteter Inhalte, stringenter Form und erlebbarer Bühnen-Tauglichkeit.

Inhaltlich fokussiert auf Fragmente des Cusanus-Werks – die Quelle des Lichts, die Weisheit des Löffelschnitzers, die Rolle von Kalkulation und Zufall im Spiel, der moralische Impetus gegen hemmungslose Exzesse, der emotionale Triumph der Liebe und der Erkenntnis menschlicher Einmaligkeit – wechseln verfremdete Alltagsszenen, Reflexionsphasen, philosophische Imaginationen. Dabei wechseln sowohl gesungene und gesprochene Szenen als auch die Sprachen (Latein, Französisch, Englisch, Deutsch – alles klug übertitelt) – außerdem ändern sich in einem eher kontemplativ akzentuierten Ablauf die Beziehungen zwischen den symbolisch-individuellen Charakteren und dem sich ständig veränderndem Chor. Sven Grützmacher inszeniert im handlungsorientierten Oratorien-Stil, vermittelt durch Bewegungen inhaltliche Varianz und vertraut der Kraft der philosophisch-geheimnisvollen Hintergründigkeit.

Gerd Hoffmanns Bühnen-Orte sind ein Muster an handlungsorientierter „Architektur“ – abstrakt-imaginierend, konkret bedeutungsvoll, die Möglichkeiten der Trierer Bühnentechnik nutzend, zwei Ebenen präsentierend. Warum allerdings Cusanus in einem Sternzeichen-Kreis am Bühnenhimmel schwebt, bleibt ein Rätsel, konterkariert die Tendenz der Cusanus-Philosophie von der Suche nach dem Einen – oder propagiert Formen des Esoterischen als adäquate Formen der religiösen Gottsuche.

Rüdiger Mörsdorf entwirft minimalistische Videoprojektionen, die in ihrer dezent-luziden Präsentation autonom-integrierter Bestandteil von Bühne, Handlung und Bedeutung sind.

Boudewijn Buckinx komponiert eine eher zurückhaltend begleitend-kontemplative Musik, nutzt die Möglichkeiten des Minimalismus, rekurriert durchaus auf post-spätromantische Töne, vertraut den Klängen der Instrumente, schafft schwebende Atmosphäre, vermeidet atonale Dissonanzen, verzichtet aber auch auf dezidierte Melodien und lässt den Sängern lediglich die Chance zu emotionalisierendem Sprechgesang im zurückhaltenden Weill-Stil.

Franz Brochhagen leitet das konzentriert aufspielende Philharmonische Orchester Trier in hingebungsvoller Übereinstimmung mit dem behutsam voranschreitenden Bühnengeschehen – da stimmen die Einsätze, da werden die Instrumente in ihren je spezifischen emotionalen Klang-Qualitäten hörbar, da wird klassische Philosophie zu kongenialer Musik!

Dem gefühlvoll-themengerecht agierenden Ensemble des Trierer Theaters bleiben wenig Möglichkeiten zu virtuosem Gesang: Evelyn Czesla gibt dem „Mädchen“ sensible Stimme, László Lukács ist als aufklärerischer, kraftvoller Wirt überzeugender als sein Cusanus mit zuviel Vibrato, Gor Arsenian überzeugt als Löffelschnitzer mit einem Brecht-gerechten selbstbewussten Tenor, Juri Zinovenko gelingt ein kurzer, aber sehr intensiver Auftritt als hilfesuchender Bettler. Der Chor ist variabel-präsent, sollte aber an individuell-darstellerischer Kompetenz gewinnen.

Alles in allem: Eine nachdenkenswerte Aufführung, mehr als eine Hommage an einen wichtigen Denker unserer Kultur – vielmehr ein Angebot zum Neu-Verstehen des Musiktheaters. Das Trierer Publikum – gut vorbereitet, respektvoll gegenüber Inhalt und Gestaltung – akzeptiert den Abend, geht auf die nachdenklich stimmenden Angebote ein; die nicht-fremde Musik Buckinxs spielt dabei sicherlich eine Rolle - lässt aber dabei die nicht unberechtigte Frage offen, ob hier ein Beitrag zur musikalischen Zukunft des Musiktheaters zu hören war. (frs)

 








Fotos: Klaus-Dieter Theis