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Fakten zur Aufführung 

JONNY SPIELT AUF
(Ernst Krenek)
17. Februar 2008 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern


Points of Honor                      

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Welcome back

Gleich zwei Produktionen „verfemter“ Musiker, führende Protagonisten der für die Nazibanausen „entarteten“ Kunst, deren Wirkungsgeschichte so brutal wie stumpf abgebrochen wurde, kommen dieses Saison im Pfalztheater Kaiserslautern zur Aufführung: Ernst Kreneks damaliger Welterfolg „Jonny spielt auf“ und „Flammen“ von Erwin Schulhoff, der unsterbliche Max Brod als Textgeber. Beide Stücke dem quotenresistenten Mut Johannes Reitmeiers und dem Engagement von GMD Uwe Sandner zu verdanken.

Adorno und Horkheimer haben Recht, wenn sie den Antisemitismus als Ritualmord der Zivilisation charakterisieren, in dem die Ohnmacht dessen demonstriert wird, was den Pogromen Einhalt gebieten könnte, der Besinnung, des Bedeutens, schließlich der Wahrheit.

Mit der Wiederanknüpfung an eine großartige, schöpferische Epoche deutscher Musikgeschichte wird nicht nur ein Schweigen aufgekündigt und dessen gefährliche Affinität zur Zustimmung, keine museale Retroperspektive vorgenommen, die dem Verstummen wenigstens das Vergessen zu ersparen suchte; es geht in Kaiserslautern 80 Jahre nach der dortigen ersten Premiere (!) genau darum, den Diskurs wieder auf zu nehmen, der in nichts weniger endet als in der Wahrheitsfrage.

Der stellt sich Regisseur Gregor Horres auf subtile und eindrucksvolle Weise (dazu auch unser Backstage- Gespräch hier). Einerseits lässt er die Geschichte kolportageartig laufen, mit hohem, sich von Szene zu Szene steigerndem Tempo, verschmitztem Esprit, tiefer Bonhomie und dem Plot innewohnendem, schlitzohrigem Humor. Das Klischee wird wie bei Krenek bedient, der Andere bleibt schwarz angemalt (Blochs herrliche Geschichte umsetzend, als der negerfeindliche Südstaatler während einer Nachtzugfahrt im Schlaf von seinen Trinkkumpanen mit Schuhwichse angeschwärzt wird und dem es beim ersten Blick in den Spiegel am Morgen entfährt: Verdammt, jetzt hat der Boy den Nigger statt mich geweckt!), er stiehlt, er benutzt Menschen, er begehrt die Frau weißer Hautfarbe, und gleichzeitig erkennt der Zuschauer sich selbst als den Sehnenden, nach vollem Leben Ausschau Haltenden, den Gejagten und von den Normen des Adornoschen „man“ Domestizierten. Horres aktualisiert den Ansatz Kreneks, das Sehnsuchtspotential als tertium comparationis zwischen Opfer und Täter, Ausgrenzendem und Ausgegrenztem zu erkennen, indem er das Abweichen als Ausweichen vor dem wahren Leben definiert, die virtuelle Welt des ewigen Chaters. Die Erlösung ist, frei nach Brecht, konkret.

Das vorzügliche Bühnenbild (Rudolf Rischer) bedient beide Ebenen. Laken als Jungfrau und Mönch, ein Interlaken der besonderen Art, mit zauberbergschem Innenleben. Videoeinspielungen (Karl-Heinz Christmann) aus dem Cyber Space , die beide Ebenen verknüpfen und den zahlreichen reinen Orchesterpassagen die Einbindung ins Geschehen erlauben. Virtuelle seelenlose Straßenschluchten, irgendwo zwischen Langscher Metropolis und New York, dem ewigen Schibboleth für das urbane Recht, ein Anderer zu sein.

Yvonne Forster mit ihrer Lautrer Erstarbeit zaubert Madonna-würdige Latexkostüme auf die fancy virtual world Bühne, nur Jonny behält klamottenmäßig den Anschluss an die beste aller möglichen Welten - die reale.

Uwe Sandner lässt diese Oper zu einem Ereignis werden. Das Pfalztheaterorchester steigert sich unter seinem Dirigat zu einem furiosen Ritt durch die unterschiedlichsten Stilrichtungen. Beileibe nicht nur Jazz, so frisch, so modern, so unerhört, als handle es ich um eine Produktion von Heute. Welcome back! Wiederkehr mit Anschluss. Während die Gesangspartien einhörbedürftig sind und den erneuten Besuch der Oper dringend angeraten erscheinen lassen, erobert die orchestral vorgetragene Musik den Hörer unmittelbar. Krenek spielt mit den Formen und Sandner gewinnt. Spornt die Gesangsolisten mit „mörderischen Partien“ (Reitmeier) zu Höchstleistungen an.

Monika Teepe als Sängerin Anita mit unglaublichen Höhen, stimmgewaltig und expressiv. Die Vokalisation ihrer Texte verunmöglicht dauerhafte Verständlichkeit, die ist auch nicht unbedingt nötig, denn ihre Körpersprache, ihr Tippeln, als liefe Albins Zaza über die weltbedeutenden Bretter, Gestik und Mimik lassen Adornos Diktum nachvollziehbar werden, wenn er behauptet, dass etwa erotische Begriffe in französischer Sprache auch unübersetzt für sich sprechen. Klaus Schneider (Komponist Max) so bunt und differenziert in der Klangfarbe wie sein herrliches Kostüm, Bernd Valentin ein überzeugender Jonny, spielverliebt, die Stimme kultiviert und klangschön, Peter Kovacs ein tragisch-komischer Daniello, der so virtuos singt, wie es seine Berufsbezeichnung im Stück verspricht, Arlette Meißner vereint als Zimmermädchen Yvonne einen jubelnden Sopran mit hinreißender Schauspielkunst. Weil sich in der Bescheidung der Meister zeigt, füllen Steffen Schantz (Hoteldirektor) und Alexis Wagner (Manager) ihre mittleren Rollen mit vollem Engagement, ihren gepflegten Stimmen und urkomisch aus.

Der Chor in Toontown-Kostümen wie aus der Disney- Requisite hat zwar nicht viel zu singen, das aber gekonnt und mit großem, verspieltem und ersichtlichem Spaß. Ulrich Nolte lässt grüßen!

Das Publikum tritt entweder erst gar nicht an (erstmals eine Premiere nicht ganz ausverkauft), in kleiner Anzahl nach dem ersten Teil der Oper ab oder ist überwältigt und hellauf begeistert. Und weil die Pfälzer der Mundzumundpropaganda mehr vertrauen als jeder professionellen Kritik, ist zu erwarten, dass noch viele Ernst Krenek back home begrüßen.

Frank Herkommer

 






Fotos: Isabel de Girard de Soucanton