O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Hintergründe

Schluss mit lustig – vorübergehend

Kristof Stößel hat sich zwei Dinge in den Kopf gesetzt: Komödien und eine feste Spielstätte. Vierzehn Jahre hat er darum gekämpft, jetzt zieht er einen Schlussstrich – vorläufig. Hohe Energiekosten und ein zurückhaltendes Publikum machen eine Spielstätte zum unerschwinglichen Luxus. Am 2. Oktober wird die letzte Vorstellung von Stößels Komödie stattfinden. Dann noch einmal vor vollem Haus – wie so oft in den letzten Jahren. Ein sehr persönlicher Rückblick.

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Heute betrete ich wohl zum letzten Mal den Johann-Gregor-Breuer-Saal im Wuppertaler Luisenviertel. 2018 fand hier die letzte Karnevalsveranstaltung statt, danach gingen die Gitter an der Eingangstür herunter. Als das Ensemble von Stößels Komödie den Saal das erste Mal betrat, war das Entsetzen groß. Im Foyer lag der Bauschutt. Aber die Chance, hier wieder eine Spielstätte zu finden, motivierte das Team bis in die Haarspitzen. Alsbald wurde gemalert, geputzt, aufgeräumt und eingerichtet, bis aus dem Saal wieder ein vorzeigbarer Ort geschaffen war. Bis heute verströmt die Bühne den Charme längst vergangener glanzvoller Zeiten. Und eigentlich hätte sie für die nächsten ein, zwei Jahre Heimstatt von Stößels Komödie sein sollen. Völlig überraschend kam vor zwei Wochen das Aus. Die – an sich überaus wohlwollenden – Vermieter rechneten Stößel die bevorstehenden Nebenkosten aus, während das Publikum wie allerorten mehr und mehr ausblieb. Letzteres übrigens für den Theatermacher eine völlig unbekannte Erfahrung. Man mag sich den Gesprächsmarathon vorstellen, der dieser Eröffnung folgte. Es nutzte nichts. Stößel musste sich eingestehen, dass die Spielstätte selbst bei permanent vollem Haus nicht zu finanzieren war. Die Reißleine zu ziehen, war für ihn die einzige Möglichkeit, eine Insolvenz zu vermeiden. Bis zum 2. Oktober wird das Ensemble den Breuer-Saal noch mit Extrawurst bespielen, der vielleicht wichtigsten Produktion seit Bestehen des Theaters. Der letzte Abend ist komplett ausverkauft, bis dahin gibt es allerdings noch zahlreiche Möglichkeiten, sich das Stück anzuschauen.

Das erste Mal kam ich am 16. November 2014 mit Kristof Stößel in Berührung. Die Schauspielerin Safak Pedük wies mich darauf hin, dass es in Wuppertal eine Aufführung gebe, die ich unbedingt besuchen müsse. Eigentlich eine unmögliche Geschichte. Ich arbeitete für Opernnetz und besuchte die großen Säle der Republik. Die Aufführung fand im Café Kontakthof statt, das so unauffällig war, dass ich drei Mal daran vorbeilief, ehe ich in das zugegeben behagliche Ambiente des Ladens fand. Für mich soll’s rote Rosen regnen hieß das Stück von William Ward Murta, der darin das Leben von Hildegard Knef aufarbeitete. Angela Fischer und Melanie Spielmann lernte ich an diesem Abend kennen, und die beiden Schauspielerinnen ließen das Stück mit ihrer eindringlichen Darstellung für mich unvergesslich werden. Das Misstrauen gegenüber dem Kritiker, der eigentlich doch Opern rezensierte, war groß. Nur Angela begegnete mir vom ersten Moment an mit größter Herzlichkeit, die sich auch in den kommenden Jahren fortsetzte. Sie endete erst, als sie sich Jahre später aus der Schauspielerei zurückzog, in der Erinnerung hält sie an.

Im Breuer-Saal sind die Stühle entlang eines „Cat-Walks“ angeordnet. Auf der großen Bühne ist eine raumfüllende weiße Wand aufgebaut, auf der die Bezeichnung des Tennis-Clubs geschrieben steht. Unter der Balustrade ist der Tisch für den Vorstand des Clubs aufgestellt. 32 Besucher haben Platz genommen, um der bittersüßen Komödie Extrawurst von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob zu folgen. Zum ersten Mal habe ich sie im Wuppertaler Brauhaus im August 2021 gesehen. Es war, als säße man selbst im Vereinsheim. Fantastisch. Und die Spannung ist groß, ob es dem gleichen Ensemble wie vor einem Jahr gelingt, diese Atmosphäre auch im Theatersaal herzustellen. Das gelingt nicht. Stattdessen kann es mit einem anderen Pfund wuchern. Alle Darsteller haben ihre Texte inzwischen so verinnerlicht, dass sie den Idealzustand des Theaterspiels erreichen. Ihr Vortrag ist absolut lebensecht. Eine ungewöhnliche Entwicklung in Stößels Komödie. Denn dort wurde zum Prinzip erhoben, aus Hängern im gelernten Text neue Gags zu entwickeln.

Das Theater im Tanzhaus

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Als ich das nächste Mal mit der Komödie in Berührung kam, war die Kooperation mit dem Kontakthof beendet, Stößel hatte eine neue Heimat in einer Tanzschule gefunden und dementsprechend hieß das jetzt Theater im Tanzhaus. Zwar musste das Ensemble nun für jede Aufführung den Saal komplett aufbauen, aber die Stuhlreihen waren gefüllt. Am 29. Juli 2016 fand die Premiere von Currywurst mit Pommes statt. Auf der Terrasse der Tanzschule wurden in der Pause von Kristofs Eltern Thüringer Bratwürste gegrillt. Mit Sicherheit einer der Höhepunkte in der Entwicklung von KS Entertainment, wie das Ensemble zu der Zeit hieß. Weniger erfreulich für die Damen des Ensembles war, dass Theresa Schulz nach ihrem Musical-Studium und einem ersten Engagement zum Team stieß. Da gab es Zickenkrieg. Und zu Recht. Denn längst sind Kristof und Theresa miteinander verheiratet. Und die Unruhen haben sich gelegt. Es ist müßig, jede der zahlreichen Produktionen aufzuzählen. Aber Ilka Schäfer, Michèle Connah, Sabine Reinhardt, Safak Pedük, Dirk Stasikowski oder Jan Philip Keller, um nur einige zu nennen, spielten sich in die Herzen der ständig wachsenden Fan-Gemeinde. So hätte es weitergehen können. Aber der Aufwand, für jede Aufführung aus der Tanzschule ein Theater zu bauen, wuchs den Beteiligten allmählich über den Kopf.

Im Breuer-Saal geht es derweil deutlich gehaltvoller zu, als ich es vom ersten Besuch im Wuppertaler Brauhaus in Erinnerung hatte. Die „lustigen Einfälle“ werden eher beiläufig gespielt, die Konflikte deutlicher artikuliert. Grandios der Vortrag von Giovanni Arvaneh, der wieder den „Vorzeigetürken“ spielt, mit viel Wut im Bauch über die Gastarbeiter-Politik und Integration in Deutschland. Sicher einer der eindrücklichsten Momente des Abends. Man spürt deutlich, dass Arvaneh in die Köpfe der Zuschauer vordringen kann. Zu lachen gibt es an anderen Stellen ohnehin genug.

Endlich ein richtiges Theater

So richtig zum Lachen war allen direkt oder indirekt Beteiligten zumute, als Kristof Stößel den Umzug in eine neue Spielstätte bekanntgeben durfte. Es ging in die Komödie am Karlsplatz. Ein richtiges Theater! Mit Plüschsesseln vor einer ordentlichen Bühne, mit Foyer und allem, was dazugehörte. Zunächst noch als Mitnutzer, doch schon kurze Zeit später wurde aus der Spielstätte Stößels Komödie. Dass dieser Höhenflug kurz vor dem Absturz stattfand, konnte da noch niemand ahnen. Unvergessen in dieser Zeit ist zum Beispiel Ein Herz aus Schokolade, das am 3. März 2018 in den neuen Räumlichkeiten Premiere feierte. Ein dreistündiger Abend mit viel Herz und Witz, der alle Sorgen vergessen ließ. Hier hatten auch Menschen Spaß, denen Komödie ansonsten eher ein Graus ist. Mit Feuereifer arbeiteten Stößel und sein Team daran, das Theater zu restrukturieren, um es für das Publikum noch attraktiver zu gestalten. Die Entscheidung der Bundesregierung im März 2020, die Kultur in Deutschland stillzulegen, war der Todesstoß für das junge Glück. Dass Stößels Komödie kein Einzelfall war, machte es keinen Deut besser. Und nach „normalem“ Rechtsempfinden brachte das den Staat in eine Bringschuld, die der jedoch ignorierte. Die laufenden Kosten eines leerstehenden Theaters zu begleichen, kann sich kein Theatermacher leisten. Also musste das Theater schweren Herzens wieder aufgegeben werden. Allmählich reichte es mit den Rückschlägen, und gemäß dem Motto, dass keine Geschichte zu Ende erzählt ist, ehe sie nicht zu einem guten Ende gefunden hat, musste es doch jetzt irgendwie weitergehen. Über die Pandemie rettete Stößel sich mehr oder weniger mit Online-Shows. Seine Fan-Gemeinde hielt ihm dabei die Treue.

Melanie Spielmann, Kristof Stößel, Dirk Stasikowski, Niklas Peternek und Giovanni Arvaneh nehmen den absolut verdienten Applaus mit strahlenden Gesichtern entgegen. Der Druck ist weg. Jetzt kann man einfach nur vergnügt aufspielen. Und so werden die Zuschauer in den kommenden Tagen großartige Aufführungen erleben. Dass der Breuer-Saal nur ein weiteres Provisorium war, war vom ersten Tag an klar. Dass es länger dauern sollte, als ursprünglich gedacht, stellte sich etwas später heraus. Umso unerwarteter kam das rasche Ende. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das Theater an diesem Abend zu verlassen, ohne zu wissen, wann man die Menschen aus dem Ensemble wo wiedertrifft. Nicht zu vergessen Martin Jansen, den Technischen Leiter, der ja immer am besten war, wenn man seine Arbeit nicht bemerkte. Und man hat sie außerordentlich selten bemerkt. Ist also jetzt die Zeit für Pathos gekommen? Hehre Abschiedsworte? Nein, sagt Kristof Stößel. Zwar fühlt er sich abermals von der Stadt im Stich gelassen – was hätte es die Stadt eigentlich gekostet, sich ein Boulevardtheater am Karlsplatz zu leisten? Ein Prestigegewinn wäre es allemal gewesen – aber davon lässt er sich nicht ins Bockshorn jagen. Und welcher Kulturarbeiter in Wuppertal kennt das eigentlich nicht? Schon ist er in Gesprächen mit verschiedenen Gastronomen in Wuppertal, um eine Rückkehr im Sommer kommenden Jahres vorzubereiten. Dann eben als Wandertheater. Sein Publikum bringt er ja gleich mit. Ach, und ich? Ich mag Komödien immer noch nicht. Weil es so wenig wirklich gute gibt. Trotzdem, das ist doch klar, werde ich mich dann im nächsten Sommer in Wuppertaler Kneipen rumtreiben. Die Geschichte ist schließlich noch nicht zu Ende erzählt.

Michael S. Zerban