O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Michaela Büttgen

Kommentar

Worüber man nicht redet

Im vergangenen Jahr beschloss die Landesregierung entgegen ihren Versprechungen, den Kulturetat um 50 Prozent aufzustocken, die Förderungen zu kürzen. Nach elf Jahren soll das Budget damit erstmals wieder sinken. Sieben Millionen Euro sollen so eingespart werden, was „weniger als 0,007 Prozent am Gesamthaushalt des Landes ausmache“. Da kann der Bürger sich ja entspannt zurücklehnen, wenn es nicht so viel ist. Und die Kulturschaffenden schweigen.

Joachim Neugart hatte Glück im Unglück. – Foto © O-Ton

Die Programme waren gedruckt. Selbstverständlich mit dem Logo des Landesmusikrats NRW. Schließlich wurden die Konzertprojekte am Quirinus-Münster in Neuss seit vielen Jahren zuverlässig gefördert. Da kam die Nachricht wie aus heiterem Himmel. „Leider hat die Auswahlkommission Ihrem Projekt keine Förderung zugesprochen, da die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nicht ausreichen, um alle eingegangenen Anträge zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund hat die Jury Antragsstellern den Vorzug gegeben, die nicht bereits mehrere Jahre in Folge gefördert wurden und/oder deren Projekte inhaltlich überzeugender waren“, teilte der Landesmusikrat NRW Joachim Neugart, Kantor des Quirinus-Münsters in Neuss, mit. Damit geriet die Aufführung der Matthäus-Passion in Gefahr, und es war ausschließlich privaten Sponsoren zu verdanken, dass die „gravierende“ Finanzierungslücke kurzfristig geschlossen werden und die Veranstaltung wie geplant stattfinden konnte.

Neugart ist kein Einzelfall. Allerorten hört man in diesen Monaten von Kulturschaffenden hinter vorgehaltener Hand von abgelehnten Projekten. Dass Neugart die Ablehnung in einer Beilage zu seinem Programmheft öffentlich macht, liegt vor allem daran, dass seine Tage bis zum Ruhestand gezählt sind, er also nicht mehr darüber nachdenken muss, wie es für ihn in den nächsten Jahren ohne Förderung weitergeht. Laut wollen die allerwenigsten darüber reden. Schließlich besteht die Hoffnung, dass künftige Projekte in Zukunft „überzeugender sind“ und doch wieder gefördert werden. Da will man nicht durch laute Kritik an einem abgelehnten Förderantrag zur persona non grata werden. Und so kann die Landesregierung ohne großes Ach und Wehe ihre Kürzung des Kulturetats durchsetzen. Dabei war die Kulturszene eigentlich noch in euphorischer Stimmung. Schließlich hatte die neue Landesregierung eine Aufstockung des Kulturetats um 50 Prozent versprochen. Dass es so was schon mal gegeben hatte, daran konnte sich keiner erinnern. Nicht, dass man dafür hätte auf einen Kindergartenplatz verzichten oder einem Sportverein einen neuen Fußball vorenthalten müsste. Aber es war ein Signal für kulturelle Vielfalt.

Ende des vergangenen Jahres kam die Nachricht, dass die Landesregierung von der Erhöhung des Kulturetats von 0,31 Prozent des Gesamthaushalts um mehr als fünf Prozent nichts mehr wissen wollte, sondern stattdessen eine Kürzung um sieben Millionen Euro vorzunehmen gedachte. Der Kulturrat NRW beschwichtigte: Diese Lücke sei mit etwas kulturpolitischem Gestaltungswillen überwindbar.

„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, wie schon Friedrich Wilhelm 1806 wusste. Und das System sorgt dafür. Stadttheater und Opernhäuser sind durch langfristige Verträge vor kurzfristigen Kürzungen weitgehend geschützt. Betroffen werden, so viel ist schon abzusehen, vor allem kleinere Ensembles, Einzelkünstler und kleinere Veranstalter, also vor allem jene, die der so genannten Freien Szene zugeordnet werden. Also diejenigen, die ohnehin schon die Mühsal von Förderanträgen für Einzelprojekte auf sich nehmen müssen. Das sind aber auch diejenigen, die oft Trends setzen, mit ungewöhnlichen Programmen aufwarten, kurzum: für die kulturelle Vielfalt sorgen.

Der Kantor des Quirinus-Münsters hat in seiner Verzweiflung genau das Richtige unternommen. Er hat seine Kontakte genutzt und private Sponsoren gefunden. Kann die Regierung – und damit wir alle – möglicherweise darauf vertrauen, dass sie damit ihre Verantwortung in private Hände abgeben kann? Das wird in den wenigsten Fällen gelingen, wenn die Bürger Nordrhein-Westfalens jetzt nicht hellwach werden. Zwar kann es eigentlich nicht sein, dass Künstler wieder auf Mäzene – und ihre Willkür – angewiesen sind, aber wenn eine Landesregierung ihre Bürger in Sachen Kultur allein lässt, müssen die dafür sorgen, dass die Fehler der Landesregierung unsere Gesellschaft nicht in dunkle Zeitalter zurückstoßen. Eine bessere Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Wir leben in traurigen Zeiten.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.