O-Ton

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Zuckersüß bis schnulzig-schön

EIN HERZ AUS SCHOKOLADE
(Valerie Setaire)

Besuch am
23. März 2018
(Premiere am 3. März 2018)

 

KS Theater Wuppertal, Komödie Wuppertal

Wenn ein Theater in einer x-beliebigen Folgevorstellung an einem Freitagabend zu drei Vierteln gefüllt ist, kann man als Inhaber schon ziemlich stolz sein. Vor allem, wenn es sich um ein kleines Privattheater handelt, das keine Fördermittel bekommt. Aber genau dann zählt auch jeder Zuschauer, damit sich das Theater trägt. Gleich 600 Zuschauer mehr müssten es jeden Monat sein, damit das KS Theater Wuppertal von Kristof Stößel überleben und sich die Untermiete in der Komödie Wuppertal leisten kann. In der vergangenen Woche hat Stößel eine Versammlung einberufen, mit dem Ergebnis, dass dritte die anspruchsvolle Marketing-Aufgabe der Zuschauergewinnung übernehmen und darüber hinaus ein Förderverein gegründet wird. Gelingt das nicht, wird Stößel, so seine Ankündigung, die Stadt wider eigenen Willen verlassen und unter freundlicheren Bedingungen einen Neuanfang versuchen. Für die Wuppertaler Bürger wäre das ein – weiterer – herber Verlust.

Es ist immer wieder bewundernswert, wie jemand unter solch permanentem Druck scheinbar ohne Ermüdungserscheinungen allabendlich auf der Bühne stehen kann, um die Besucher so zu begeistern, als besuchten sie eine Premiere. So auch bei der neuesten Produktion Ein Herz aus Schokolade. Es ist die erste Komödie, die Valerie Setaire verfasst hat. Die Kanadierin, in Frankreich geboren, hat als Tochter eines Catering-Unternehmers Köchin gelernt. Da lag der Plot, der inzwischen in zahlreichen Theatern aufgeführt wurde, nahe. Henri Ledoux ist leidenschaftlicher Chocolatier mit eigenem Geschäft in einer französischen Kleinstadt. Als Frau und Sohn ihn verlassen, verlässt ihn auch sein Geschmacksinn. Aber es kommt noch dicker. Statt einer Verkäuferin meldet sich auf seine Stellenanzeige hin Pascal Gaspard, ein Schokoladen-Handelsvertreter, der sich zu Höherem berufen fühlt und von Ledoux die Kunst des Schokolierens erlernen will. Doktor Margaux, Hausarzt und Stammkunde von Ledoux, weiß gegen die Anosmie auch keinen Rat, vermutet aber Rettung in der Behebung des psychischen Traumas und schaltet heimlich mit Gaspard eine Partnersuchanzeige. In der Folge stellen sich wechselweise Damen mit Heiratsabsichten und Verkäuferinnenambitionen vor. Daraus ergeben sich spritzige Dialoge, häufig doppeldeutig, aber immer witzig. Als endlich „die Richtige“ den Laden betritt, scheint es fast zu spät. Klar, dass bei dieser unbeschwerten Komödie am Ende die Richtigen zusammenfinden, der Geruchsinn des Chocolatiers zurückkehrt und das Geschäft zu nie gekannten Erfolgen aufläuft.

POINTS OF HONOR

Musik
Schauspiel
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Fast drei Stunden braucht es, bis der Chocolatier zum Glück zurückfindet, aber Regisseur Stößel sorgt dafür, dass es nie langweilig wird. Im Gegenteil sorgen zwei „Umbaupausen“ auf offener Bühne gegen Ende noch einmal für eine ordentliche Vitalisierung des Geschehens. Die Bühne kennen Fans des Theaters im Prinzip schon aus dem Januar. Guckkasten, drei Abgänge, Eingang an der linken Bühnenseite. Links eine Kasse, rechts die Sitzgelegenheiten. Zahlreiche Dekorgegenstände sorgen für den spezifischen Auftritt. Das Licht ist entsprechend dem Ladengeschäft durchgehend hell, wird nur für Pausen und Szenenwechsel abgeblendet. Viel Fantasie gibt es bei den Kostümen. Vor allem bei den Frauen ist hier einiger Wechsel angesagt, weil die Frauen verschiedene Rollen zu übernehmen haben. In dem Zusammenhang ist eine Inszenierung des Mecklenburgischen Staatstheaters interessant, die die Frauenrollen von einer einzigen Schauspielerin hat spielen lassen. Stößel verdoppelt das Angebot.

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Auch das Ensemble ist regelmäßigen Besuchern des Theaters fast schon familiär bekannt. Stößel übernimmt die Rolle von Henri Ledoux. Dazu hat er sich einen Bauch zugelegt, über den sich die schokoladenverschmierte Schürze spannt. Großartig sein Spiel, das vom Choleriker bis zum Herz-Schmerz-Patienten in jeder Hinsicht überzeugt. Das ewige Opfer, das am Ende beinahe pubertär zu neuer Liebe findet, aber immer eine verschmitzte Antwort auf den Lippen hat, überzeugt von Anfang bis Ende. Man muss Boulevard nicht mögen, um Stößel zu lieben. Aber es hilft. Ihm zur Seite steht Benjamin Krüger als Pascal Gaspard, der von den Bewegungsabläufen her ein wenig hypernervös wirkt, viel Grimassierung zeigt, aber auch die Rolle des Quereinsteigers, der sich als Supertalent entpuppt, überzeugend mimt. Dirk Stasikowski sorgt mit dem richtigen Maß für viel Spaß als Doktor Margaux, der gerne viel Alkohol trinkt. Die alkoholbedingten Ausfälle bleiben im lustigen Rahmen, bei der Bewunderung für Sophie Poumons wird es ein wenig zu boulevardesk. Trotzdem überzeugt Stasikowski insgesamt mit trocken-humorvollem Auftritt.

Stößels Entscheidung, für die verschiedenen Frauenrollen auf zwei sehr unterschiedliche Charaktere zurückzugreifen, erweist sich als Erfolg seiner Inszenierung. Die eher rundliche und kleine Maria Liedhegener, die mit einer unglaublichen Spielfreude als Jacqueline Caillette über die Bühne hüpft und als Tatjana mit ihrem Domina-Auftritt für unglaublichen Spaß sorgt. Ganz nebenbei: Wer sie abseits der Bühne erlebt, weiß, wie warmherzig und fröhlich diese Frau ist. Ihr gegenüber steht Sabine Reinhardt, die ein wenig überzogen als Manon Boyau, eine Frau vom Lande, wirkt; als Isabelle Languette kommt sie der Domina recht nahe, ehe sie in der Rolle der Sophie Poumons endlich zur wahren Bestimmung findet.

Die französischen Chansons werden vor und nach der Aufführung wie in der Pause vom Band eingespielt, und man wundert sich, dass die Musik, abgesehen von einem Ausbruch der Marsellaise, so gar keine Rolle im Stück spielt. Aber es funktioniert.

Das Publikum amüsiert sich herrlich und wirkt nach drei Stunden so frisch, als habe es eben den Saal betreten. Der Anspruch des Stücks ist nicht mehr, als gute Unterhaltung zu bieten, und das ist schon schwierig genug, aber es gelingt auf das Beste. Und einmal mehr hat das Theater bewiesen, dass es für die Stadt wichtig ist. Weil es die Theaterkultur konstruktiv nach vorne treibt und Menschen in das Theater lockt.

Michael S. Zerban