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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © KS Entertainment

Aktuelle Aufführungen

Federleichter Sommergenuss

CURRYWURST MIT POMMES
(Frank Pinkus, Nick Walsh)

Besuch am
31. Juli 2016
(Premiere am 29. Juli 2016)

 

 

Theater im Tanzhaus, Wuppertal

Die Menschen an Rhein und Ruhr werden in diesem Jahr nicht eben vom Sommerwetter verwöhnt. Mickrige Temperaturen und ein wolkenverhangener Himmel, gerne auch mal ein Gewitter oder kräftige Schauer zwischendurch. Da kommt das Angebot des Wuppertaler Theaters im Tanzhaus gerade recht: Die Sommerkomödie Currywurst mit Pommes von Frank Pinkus und Nick Walsh verspricht den Daheimgebliebenen am Feriensonntag leichte Kost satt.

Die Handlung ist genial einfach. Penny betreibt einen Imbiss – die Hansi-Bar – auf einer Raststätte an einer Autobahn in Richtung Süden. Seit rund 30 Jahren öffnet sie Tag für Tag um acht Uhr morgens die Buletten-Schmiede, wechselt monatlich auch das Frittierfett und plant Jahr für Jahr, sich endlich zurückzuziehen, Ende dieses Jahres aber ganz sicher. Das versichert sie ihrem obdachlosen Verehrer Herbert immer wieder. Hier legen die unterschiedlichsten Typen einen Zwischenhalt ein. Der Aufreißer-Typ mit seinen „Miezen“ im schwarzen 3-er BMW mit rotem Spoiler, die Manager auf dem Weg zum Seminar in der Toscana, die Familie aus Sachsen, die eigentlich nach Italien will und in Spanien landen wird. Nonnen auf dem Weg zu einem Konzert sind ebenso dabei wie eine holländische Familie, die mit dem Camping-Wagen unterwegs ist, oder die Familie mit dem kameraverrückten Vater, der auch noch seinen Sohn auf dem Weg zur Toilette vor die Linse nimmt. Kurzum, rund 75 Rollen in 56 Szenen sind zu absolvieren. Während die erste Hälfte sich mit witzigen Dialogen in die Pause rettet, weil es nach sage und schreibe anderthalb Stunden dann doch etwas langatmig zu werden droht, schließen sich in der zweiten Hälfte kurzweilig die Kreise in ungewöhnlichen Konstellationen – und aus den zufälligen Begegnungen der ersten Hälfte werden pointierte Geschichten.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In Wuppertal gerät die Komödie in der Inszenierung von Kristof Stößel mit einer Besetzung von neun Personen zu einer Kostüm- und Dialektschlacht, die ihresgleichen sucht. Im Tanzhaus in Unterbarmen bleibt auch am dritten – und vorläufig letzten – Abend kein Stuhl unbesetzt. Stößel, der auch selbst mitspielt, tritt zu Beginn des Abends vor das Publikum, um eine Umbesetzung anzukündigen und das Versprechen abzugeben, dass um 23 Uhr wohl alle wieder zu Hause sein werden. Wenn man das um 18 Uhr angesichts einer „kleinen Komödie“ hört, heißt es erst mal: durchatmen. Schließlich sitzt das Publikum hier nicht im Fauteuil eines Opernhauses, sondern auf Stühlen, die auf dem Parkett eines Tanzsaals aufgestellt wurden. Die Bühne lässt auf Anhieb erkennen, dass hier keine großen Umbauten zu erwarten sind. Die Seitenbühnen sind mit Laken von der Hauptbühne abgetrennt, auf der im Hintergrund liebevoll die Hansi-Bar mit den klassischen Insignien wie dem Auszug des Speisenangebots, des Werbewimpels für das verpackte Eis und eine Tafel mit Sonderangeboten zurechtgezimmert wurde. Davor das typische Terrain der Pommes-Bude mit dem Resopal-Stehtisch und einem Holztisch mit zwei Plastik-Gartenstühlen. Da klebt der Geschmack von Pommes Schranke, Frikadellen und Currywurst, von Bier und Cola schon auf der Zunge, ehe noch das erste Wort gefallen ist.

Maria Liedhegener und Kristof Stößel - Foto © KS Entertainment

Wo bei anderen Ensembles gleich ein ganzes Team notwendig ist, um die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, Bühnenbild und Kostüme zu entwickeln sowie die Regie-Arbeit zu leisten, steht bei Stößel über all diesen Arbeiten ein Name: seiner. Bei der Besetzung beweist er ein ebenso glückliches Händchen, wie er Wert auf eine ausgeklügelte Personenführung legt. Dass er auch noch ein glänzender Schauspieler ist, der mit unglaublicher Souveränität seine Rollen interpretiert, improvisiert und quasi en passant das Publikum involviert und begeistert, man in vielen Zügen den jungen Heinz Erhardt wiederzuerkennen glaubt, wirft die Frage auf, ob er all die „Begleitarbeiten“ auf sich nimmt, um auf der Bühne diese unglaubliche Spielfreude auszuleben. Zu den Rahmenbedingungen bei Currywurst mit Pommes gehört, dass die Eltern Stößel die Gäste in der Pause mit Thüringer Bratwürsten bewirten.

Und während das Publikum die Bratwürste aus Stößels Heimat auf der rustikalen Sonnenterrasse des Tanzsaals genießt, nutzen die Schauspieler die Pause, um vor dem nächsten Hochleistungsauftritt zu verschnaufen. Zuvörderst zu nennen ist Maria Liedhegener in der Rolle der Penny. Klein, drall, freundlich ist sie mit ihrem feuerroten Haar, der Dialekt erinnert häufiger an Köln als an Wuppertal, oft drängt ihre Stimme gewollt ins Falsett. Herrlich ist ihr Gesicht entgleist und festgefroren beim Auftritt des Manns aus der Cola-Werbung zu erleben. Großes Kino. Daran ändern auch kleinere Textschwächen am dritten Abend einer jeweils dreistündigen Aufführung nichts. Ihr Lied über den Neandertaler als idealen Geliebten bringt noch einmal eine andere, wohltuende Klangfarbe in das atemberaubende Spiel. Eine gekonnte Tanz- und Gesangseinlage, am Ende eines Marathons so frisch und lebendig vorgetragen wie am Premierenabend. In der Spielfreude steht auch der „Einspringer“ Mariano Skroce ihr in nichts nach. Ganz wunderbar, wie er seine Textzettel einbaut. Auch wenn manche Zote überflüssig erscheint, sind die Dialoge in der Überzahl spritzig, witzig, zugespitzt. Textschwächen, Lachkrämpfe und vor allem von Stößel eingefügte Improvisationseinlagen sorgen dafür, den Spaßfaktor deutlich zu erhöhen. Ein Vergnügen, das über drei Stunden trägt. Dazu tragen auch Sabine Gruß, Isabelle Rotter, Teresa Schulz und Ilka Schäfer bei, die in typisierenden, bisweilen minütlich wechselnden Kostümen mit köstlichen Auftritten ebenso beitragen wie ihre männlichen Kollegen Dirk Stasikowski und Herbert Ruhnau.

Musikeinlagen gibt es überwiegend vom Band. Da darf Herbert Grönemeyers Currywurst ebenso wenig fehlen wie Diether Krebs‘ Version. Zum Finale gibt es dann die inzwischen scheinbar unausweichliche, angepasste Atemlos-Version des Liedes von Helene Fischer. Aber auch das ist so liebevoll und überzeugend gemacht, dass man es nicht ernsthaft übelnehmen darf.

Das Publikum schon gar nicht. Sind die zahlreichen Szenenapplause noch ein wenig zaghaft, gibt es am Ende kein Halten mehr. Da wird zur Musik mitgeklatscht, und die Menschen erheben sich von ihren Stühlen, um die großartige Gesamtleistung zu würdigen. Die erfreuliche Nachricht verkündet ein schweißüberströmter, aber sehr glücklich wirkender Kristof Stößel zum Schluss: Sein Ensemble wird den gesamten Sommer über spielen. Eine Nachricht, die vor allem die Theaterbesucher beglücken wird, die eine intime, zwanglose Atmosphäre lieben, in der sie sich so ungezwungen fühlen können wie die überschäumend aufspielenden Schauspieler.

Michael S. Zerban