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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
19. Juni 2011
(Premiere: 4. Juni 2011)

Opéra National de Lyon


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„Tore ins Innenleben der Helden“

Mit dem Vorspiel ist es im Grunde schon klar: eine exzeptionelle Aufführung nimmt ihren Anfang. Das für Wagner-Maßstäbe relativ klein besetzte Orchester der Lyoner Oper - etwa 80 Musiker sitzen unter der Leitung von Kirill Petrenko im Graben - hebt an mit einem leichten, transparenten und zugleich körperreich-homogenen Wagner-Klang. Leuchtend steht der Klang im Raum. Die Dynamik ist vorzüglich angepasst an das Volumen des auf 1100 Melomanen ausgerichteten, 1989 von Jean Nouvel ohne großen Protz an heutige Opernverhältnisse angepassten Saal. Petrenko musiziert mit Intensität und Leidenschaft, lässt das in Hochform agierende Orchester jedoch nie laut auftrumpfen. Er tendiert vielmehr zum kammermusikalischen Ausmusizieren, wählt insgesamt eher langsame Zeitmaße, ohne die dynamischen Spitzen etwa in den dramatischen Fieberfantasien des dritten Aufzuges einzuebnen. Optimal ist dieser Ansatz auch für das vorzügliche und herausragende Sängerensemble, die Stimmen werden getragen und mischen sich bestens mit dem Orchester, sodass die Textverständlichkeit immer gewährleistet ist. Das ist so sensationell wie faszinierend, auch wenn man bedenkt, dass Wagner in Lyon nicht gerade auf der Tagesordnung steht. Die letzte Tristan-Produktion stand hier in der Saison 1990/91 auf dem Programm.

Der Lyoner Tristan ist nach dem Ring des Nibelungen in Valencia und Tannhäuser in Mailand die dritte Wagner-Produktion der katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus. Àlex Ollé und das La Fura dels Baus-Team wählen, ganz anders als beim Kölner Sonntag aus Licht von Karlheinz Stockhausen (Leitung hier: Carlos Padrissa, Opernnetz-Besprechung hier), einen zurückgenommen, textnah-narrativen und innigen Erzählgestus. Tristan und Isolde öffne uns die Tore ins Innenleben der Helden, so Ollé. Und so fügen sie Tristan keine konzeptionellen Metaebenen oder -erzählungen hinzu und weisen jeglichen Bühnenaktionismus ab. Sie konzentrieren sich auf die Personen, auf deren Innenleben und das Geflecht der Beziehungen, was im Verbund mit der Musik zu bewegenden Momenten führt. Jeder Blick, jede Geste, jeder Körperkontakt ist Gestaltung der Selbst- und Beziehungsverhältnisse: Àlex Ollé fragt: was ist, was bedeutet Freundschaft, Treue, Liebe? Abstrakt reduziert auf Rechteck und Kugel dazu der variable Aktionsraum, der durch Videoprojektionen von Franc Aleu aufwendig illustriert wird (Bühne: Alfons Florès). Wie immer bei La Fura: der offensive Einsatz von Videotechnik ist gut gemacht, funktioniert auch unter schwierigen Einsatzbedingungen in abgedunkelter Szene perfekt. Hinzu tritt eine sensible, effektvolle Ausleuchtung durch Albert Faura.

Der erste Aufzug: eine rechteckige Plattform dient als Spielfläche, eine Bühne auf der Bühne, zwei Geländer deuten ein Schiff an. Unmerklich dreht sie sich, auch über den Orchestergraben hinweg, ebenso unmerklich kommen Accessoirs wie Sitzflächen aus ihr hervor, wenn sie benötigt werden. Eine lebhafte Projektion signalisiert im Hintergrund, vielleicht etwas augenzwinkernd, hohen Wellengang; ein Wellengang, der im folgenden immer auch den Gefühlspegel der Protagonisten spiegelt. Über dem Meer erstreckt sich ein strahlender Sternenhimmel und ein riesiger Mond als massige (Halb-)Kugel überscheint das Ensemble und drückt zusehends auf die Szene. Isolde (Ann Petersen) ist als Folge der langen Fahrt erschöpft und seekrank bis zum Erbrechen. So klettert sie aus dem Unterdeck, gefolgt von Brangäne (Stella Grigorian), geht zur Reling und verschafft sich Luft. Auch ihrem Ärger macht sie Luft: in einer herrlich herrisch-bissig ironischen Art, wie auch wenig später in ihrer Konfrontation mit Tristan: gleich zu Beginn ein starker und präsenter Auftritt für ein extrem vielversprechendes Rollendebut der Ann Petersen. Tristan (Clifton Forbis) hingegen ist eher eine unsichere, introvertierte Type, alles andere als ein Held. Es ist fast, als ob ihm langsam bewusst wird, welchen abwegigen Plan er hier ausführt, wenn er Isolde seinem Onkel zuführt. So reagiert er auch deutlich unwirsch und widerstrebend auf Kurwenals (Jochen Schmeckenbecher) Spottlied auf Isolde und fast eingeschüchtert im Konflikt mit Isolde.

Brangäne, mehr Vertraute und Beschützerin als Dienerin Isoldes, umsorgt sie, kritisiert sie auch. Schön ausgearbeitet der Konflikt um den Todestrank. Das „erfindungsreiche Versehen“, wie es Wagner nannte, die Verwechslung von Liebes- und Todestrank, den man ob des Flaschendesigns eigentlich gar nicht verwechseln können kann, ist schließlich unbewusst konsequent, da sie das Vorhaben Isoldes insgeheim ablehnt. Um so entsetzter ist sie, als Tristan und Isolde wirklich eine Weile ‚wie tot’ daliegen, nachdem Brangäne ihnen den Trank gereicht hat, bevor sie sich in stürmischen Umarmungen ergehen. Stella Grigorian ist eine souveräne Brangäne, gut aufgelegt und sehr spielfreudig.

Im zweiten Aufzug ist der Mond gewendet und die Szene spielt im Innern des Halbrunds, abgeschottet vom Universum für den Ausnahmezustand von Liebesverlangen und Todessehnsucht. Videoprojektionen von Bäumen und Treppen, Wolken, einem veritablen Feuerzauber wie aus einem Schlussbild der Walküre, der die beiden Liebenden kreisförmig einschließt, verbinden Innen- und Außenwelten zu einem magischen Bild- und Zeitraum. Nach ihrer ‚Entdeckung’ durch Marke und Melot wird die Bildwelt rissig und zu einem Kontinuum von herabfallenden und bröckelnden Steinen. König Marke (Christof Fischesser) ist ebenfalls eine gebrochene Erscheinung. Amfortasgleich trägt er die Wunde der Verletzung, versucht vergebens, die Vorgänge zu ergründen, scheinbar in der Hoffnung, eine ihn befriedigende Erklärung zu finden, die mit seinen Vorstellungen von Freundschaft und Redlichkeit kompatibel ist. Er wendet sich direkt fragend an Isolde und Tristan, statuarisch und nervös geht er umher und versucht, dem Geschehen auf den Grund zu gehen; mehr Rätsel also als Hölle. Christof Fischesser spielt diesen Verzweiflungszustand bewegend aus, singt den Marke mit sonorer Stimme, abgrundtief traurig. Die tödliche Verletzung zieht sich Tristan durch einen Schuss aus Melots (Nabil Suliman) Gewehr zu, wobei natürlich offen bleibt, wie dieser ausgelöst wird.

Im dritten Aufzug befinden wir uns auf der Rückseite der Halbkugel. Sie hat eine Öffnung, als habe sie Tristan und sein Team, neben Kurwenal, den jungen Hirten (Viktor Antipenko) und den Steuermann (Laurent Laberdesque) ausgestoßen. Analog zum Verhältnis Brangäne-Isolde ist auch das von Kurwenal-Tristan sehr kameradschaftlich und gleichwertig gestaltet und schön gezeichnet. Geradezu herzergreifend ist die Sorge Kurwenals um seinen Herrn. Schmeckenbecher ist ein sehr direkter, diesseitiger Kurwenal, der wenig Verständnis zeigt für die Fieberausbrüche Tristans und dem dabei die wohlklingende Tongebung gut steht. Dennoch kann auch er sich Clifton Forbis' Projektionsstärke nicht entziehen und ist um so niedergeschlagener, wenn er singen muss: ‚Noch ist kein Schiff zu seh'n!’. Wie schon deutlich wurde, ist Clifton Forbis ein leidender, kein heldischer Tristan. Stimmlich an dem Nachmittag vielleicht nicht ganz auf der Höhe seiner Möglichkeiten, manchmal etwas scharf, vertritt er die Rolle mit ganz erstaunlichen Reserven für den Kraftakt der Projektionsfantasien des letzten Aufzugs, der ihm überragend gelingt, so intensiv und spannend, dass das ganze Haus mit ihm hofft und bangt. Die alle Protagonisten überragende Isolde der Ann Petersen mit einer ungemeinen Bühnenpräsenz, einer großen Variationsbreite an stimmlichen und schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten, changierend vom aufbrausend Kkämpferischen, zum sensibel zärtlichen und jugendlich Ungezwungenen, nimmt schließlich den ‚Liebestod’ leichtmütig und triumphierend auf sich; souverän, fast gelassen mit ihrem schlanken, leuchtenden und strahlenden Sopran.
Frenetischer Applaus und Ovationen für das ganze Team.

Dirk Ufermann

 









 
Fotos: Bertrand Stofleth