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Fakten zur Aufführung 

MAZEPPA
(Pjotr Iljitsch Tschaikowsky)
22. September 2012
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Krefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Vor der Premiere

Helen Malkowsky gastiert erstmalig im Theater Krefeld Mönchengladbach mit der Oper Mazeppa von Peter Tschaikowsky. Ein spannendes Ereignis (4'56).

 

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Still ist die ukrainische Nacht

Im Theater ist kaum noch ein Platz frei – und das liegt wohl weniger am Stück. Mazeppa gehört nicht zu den oft gespielten Kassenschlagern der deutschen Opernszene. Generalmusikdirektor Mikhel Kütson gibt sein Debüt als Operndirigent in Krefeld. Da sind sie alle gekommen, um zu hören, was das Publikum in Zukunft erwarten darf. So viel sei schon verraten: Krefeld Mönchengladbach hat einen würdigen Nachfolger für Graham Jackson gefunden.

Mazeppa ist so eine Art ukrainischer Befreiungskämpfer, der über die eigene Machtattitüde stürzt. In hohem Alter nimmt er Maria, seine Patentochter und Tochter seines guten Freundes Wassilij Kotschubej, gegen dessen Willen zur Frau. Kotschubej will ihn deshalb bei Zar Peter anschwärzen. Aber der Kosakenhauptmann dreht den Spieß um, der Zar liefert den Gutsherrn Mazeppa aus, und so landet Kotschubej im Gefängnis, um hingerichtet zu werden. In seinem Größenwahn sieht Mazeppa sich schon auf einem ukrainischen Thron und zettelt einen Krieg mit dem Zaren an, den er verliert. Es handelt sich also um ein Stück, in dem es keine Gewinner geben kann.

Helen Malkowsky, Operndirektorin in Bielefeld und mit Mazeppa zu Gast in Krefeld, zeigt, was Regie aus einer Oper machen kann: Packendes, fesselndes, ergreifendes Musiktheater. Mit Kathrin-Susann Brose an ihrer Seite entwickelt sie ein Bühnenbild, das in Vielgestaltigkeit und Fantasie kaum zu übertreffen ist. Der Vorhang öffnet sich und eine schwarze Wand wird sichtbar, in die ein Käfig eingelassen ist. Nach der Einführung hebt sich diese Wand hinweg, und es wird der Innenhof eines Zellentraktes sichtbar. So kann Malkowsky mit Rückblenden arbeiten, aber auch schadlos in die Gegenwart der Handlung wechseln. Der Innenhof bietet alles, was eine Handlung braucht. Viel Grundfläche, Balkone und eine Treppe. Im zweiten Akt wird schlicht eine Wand hochgefahren, die Privatgemächer andeutet. Während Alexandra Tivig für die Kostüme in den Rückblenden die Historie andeutende Kosakenuniformen, Trachten und bürgerliche Kleidung verwendet, die aus dieser Zeit stammen könnte, wechselt die Kleidung nach und nach in Straßenkleidung aus unserer Zeit. Der Übergang ist fließend und schlüssig, dabei unaufdringlich und scheinbar selbstverständlich. Malkowsky und ihrem Team gelingt so, ein atmosphärisch dichtes Geschehen mit hoher Überzeugungskraft auf die Bühne zu bringen.

In einem solchermaßen gelungenen Umfeld sollte es den Protagonisten ein Leichtes sein, sich auszuleben. Und auch hier zeigt Malkowsky, was Personenführung im Regietheater ausmacht. Da wird auf der Bühne gespielt und nicht dargestellt. Sängerisch wird leckere Hausmannskost geboten. Wo die eine ihre Höhen um den Preis der Verständlichkeit erkauft, bleiben die anderen in der Tiefe die Deutlichkeit schuldig. Dass die Leistung trotzdem überdurchschnittlich hoch ist, liegt daran, dass die Oper in Russisch gesungen und den Sängerdarstellern ein hohes Maß an Schauspiel und Ausdruckskraft abverlangt wird. Tenor Carsten Süss gibt Andrej, den Jugendfreund Marias, mit der sängerisch vielleicht besten Leistung. Mazeppa ist nicht nur machthungrig und arrogant, er ist auch ein schwärmerischer Alter auf Freiersfüßen sowie ein Verlierer auf der ganzen Linie. Den Bogen spannt Johannes Schwärsky in wunderbarer Weise auf. Das Tüpfelchen auf dem i bleibt Izabela Matula als Maria schuldig. Eigentlich macht sie alles richtig, spielt überzeugend, singt ordentlich, aber warum sie eine „helle Taube“, ein „Engel“ ist, vermag der Zuschauer nicht so recht nachzuvollziehen. Satik Tumyan spielt ihre Mutter sehr „russisch“, was wirklich gelungen ist. Dem Vater, Wassilij Kotschubej, gelingen bis zur Hinrichtung immer wieder ergreifende Momente. Dafür sorgt Hayk Dèinyan. Matthias Wippich übertreibt als Orlik, Mazeppas Vertrautem, ein wenig, gibt sich aber insgesamt herrlich martialisch.

Bei Tschaikowsky gibt es das, was für viele Menschen Oper so erlebenswert macht: Große Chorszenen. Und dank des Chors und Extrachors des Theaters Krefeld Mönchengladbach in der – wie immer, möchte man sagen – exzellenten Einstudierung von Maria Benyumova wird hier stimmlich wie schauspielerisch „ganz großes Kino“ geboten.

Die Niederrheinischen Sinfoniker mögen sich an diesem Abend ganz besonders wohl fühlen. Sie sitzen ihrem neuen GMD Mikhel Kütson gegenüber, der mit deutlicher Geste und vollem Körpereinsatz präzise Anweisungen gibt. Hier wird nicht mit Andeutungen gearbeitet. Stattdessen klare Zeichen und nachdrückliche Aufmunterung. Nuancenreich und vielschichtig präsentiert Kütson den Mazeppa, der ihm nach eigenen Worten viel wertvoller erscheint als ein Eugen Onegin. Dabei lässt der Dirigent den Sängern Raum für ihre Stimme. Weiche Passagen laufen glattgespült durch, um gleich darauf in differenziertem Spiel den Hörer auf die Feinheiten Tschaikowskyscher Musik aufmerksam zu machen. Beim Vorspiel zum dritten Akt zeigen die Musiker die ganze Dramatik des Sinfonischen Gemäldes einer Schlacht. Malkowsky hat hier zugunsten der Musik auf das ursprüngliche Ballettstück verzichtet – und Recht daran getan. Kütson und seine Musiker lassen Kino im Kopf entstehen. Erst als Maria, geistig verwirrt, das Schlachtfeld verlässt, auf dem all die Menschen, die ihr wichtig waren, ihr Leben gelassen haben, wird es still wie in einer ukrainischen Nacht.

Aber doch nur für einen Wimpernschlag. Dann lässt sich das Publikum in seiner Begeisterung nicht mehr bremsen. Was immer das Applaus-Repertoire hergibt, hier findet es statt. Nach der Norma hat das Theater Krefeld Mönchengladbach mit Mazeppa ein weiteres Ereignis geschaffen, dessen Ruf hoffentlich und berechtigt weit über die Grenzen der Stadt hinaus reichen wird.

Michael S. Zerban

Fotos: Matthias Stutte