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Fakten zur Aufführung 

LUISA MILLER
(Giuseppe Verdi)
4. Juli 2013
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, Theater Duisburg


Points of Honor                      

Musik

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Verklärung des Todes

Es ist ein verflucht langsames Sterben – die Rede ist nicht von der Kultur in der Stadt Duisburg, sondern vom Untergang der Luisa Miller. In Duisburg, so hört man, wird es künftig 60 Opernaufführungen im Jahr geben. Da ist manche Kleinstadt besser aufgestellt. Wie die Duisburger Opernfans damit umgehen wollen, werden sie an diesem Abend zeigen.

Zur Aufführung im Theater Duisburg kommt ein Frühwerk Giuseppe Verdis in der Inszenierung von Carlos Wagner, der schon die Carmen zu verantworten hatte. Vor geschlossenem Vorhang lässt Generalmusikdirektor Giordano Bellincampi die Ouvertüre mit Verve von seinen Duisburger Philharmonikern abspielen. Ein bisschen dick aufgetragen, aber das darf auch sein. Passiert ja sonst nichts. Dick auch der Applaus. Kaspar Zwimpfer präsentiert anschließend eine Bühne, die das Geschehen auf ein Kammerspiel reduziert. Ein überdimensionales „Kinderzimmer“, in dessen Mittelpunkt ein Bett steht, das zum Abschluss der Szene von Boris Statsenko ganz nebenbei durch die Rückwand hinausgeschoben wird. Die Wände mit Kindermalereien verziert. Im Zimmer des aufblühenden Bauernmädchens Luisa Miller herrscht das Glück vor. Die große Liebe ist gefunden, der Vater letztlich überzeugt. Bis die Düsternis in Gestalt von Wurm hereinbricht. Fortan verfolgt der Zuschauer auf einer Drehbühne, die in einen Wald wechselt und bei jedem erneuten Wechsel das Kinderzimmer schrumpfen lässt, wie Luisa sich von glücklicher Jugend über emotionale Wirrungen in ihren langen Tod hineinfindet. Die hochaufragenden Bäume sind durchlöchert und zeugen vom Verfall einer „ewig“ bestehenden Gesellschaft. Außerdem bieten sie den Herren die Gelegenheit, in die Höhe aufzusteigen, um von dort zu singen. Die augenfällige Symbolik wird von den Kostümen Christof Cremers unterstrichen. Luisa bekommt ein farbloses Walle-Walle-Kleidchen, die Edelleute treten im gediegenen Schwarz auf, die üblichen „Gestapo-Mäntel“ etwas abgemildert, und letztlich schlüpft auch die Duchessa in ihr Hochzeitskleid – das ist ein wenig plump und erfüllt mehr Stellvertreterfunktion als die echte Schönheit eines Brautkleides. Wagner entscheidet sich nicht für den großen Wurf, sondern für die kleine Idee, die er aber konsequent durchdekliniert. Da stimmt dann – fast alles – auf den i-Punkt. Auf den Takt genau fallen Flaschen, Sofas und Gläser um. Volker Weinhart bringt seine Lichtwechsel, wenn schon ohne großartige Effekte, so doch mit einer unglaublichen Präzision. Diese Filigranarbeit überzeugt und macht Spaß.

Weniger Spaß kommt bei den Sängerdarstellern auf. Der Start, so darf man wohl pauschal festhalten, misslingt. Olesya Golovneva singt in der Titelrolle technisch meist einwandfrei, muss zwischendurch trampolinspringend ihre Stimme halten – was ihr gelingt! – zündet aber nicht. Boris Statsenko, der doch außerhalb jeder Kritik stehen sollte, singt den Vater unverständlich, und Sami Luttinen beginnt den Wurm mit einem Brummbass, der Schlimmes für den Fortgang ahnen lässt. Auftritt des feurigen, südländischen Liebhabers, Rodolfo di Walter: Giancarlo Monsalve mag die Damen mit seinem Aussehen beglücken; der Gesang klingt eher bayerisch – mit ganz vielen Knödeln. Und dabei bleibt es auch. Während seiner großen Arie, die er im Baum singt, ein schöner Ersatz für die Rampe, gibt es doch kein Hindernis für die Stimme. Alles, was Monsalve erntet, sind Buh-Rufe im Szenenapplaus. Knödelig geht es forciert in die Höhen, die schließlich kurzerhand abgebrochen werden. Damit bleibt der Tenor hinter seinen Kollegen zurück, die im Laufe des Spiels zu ihrer Rolle finden. Allen voran Golovneva, die aus der Langeweile herausfindet in ihre Paraderolle. Das transparent durchscheinende Wesen, das so schön leiden kann und über alle Lagen hinweg begeistert. Ihre Piani bleiben noch gehaucht verständlich. Ihr Leiden und ihre Entwicklung sind konsequent. Als Luisa stirbt, ist Golovneva wieder in ihrer ganzen Größe zu erleben. Luttinen erreicht spätestens im Duett mit Thorsten Grümbel, der den Conte gibt, alte Größe. Spielfreude überwiegt die große Geste, und sein Bass klingt im Walzer mit Grümbel wieder rund und verständlich. Statsenko findet ebenfalls zu seiner Größe zurück und überzeugt im emotionalen Spiel vor allem zum Schluss hin. Susan Maclean erfüllt die Rolle der Federica voll und ganz. Erfüllt also den Vertrag. Das große Leuchten bleibt aus. Einen kleinen Beitrag liefert auch das frischgebackene Opernstudio-Mitglied Paul Stefan Onaga. Der gibt einen elegant gesungenen Verräter. Schön, dass er Freude an seinem Auftritt hat, die auch beim Publikum ankommt. Katarzyna Kuncio schließlich lässt als Laura aufhorchen.

Gerhard Michalski versucht, aus dem Chor der Deutschen Oper am Rhein alles an Verdi herauszuholen, was man beispielsweise aus Aida kennt. Der ganz große Chor, laut, stark. Das muss nicht immer gefallen.

Bellincampi verlangt seinen Philharmonikern alles ab. Das geht auch durchaus schon mal auf Kosten der Sänger. Die Tutti fallen hin und wieder gewaltig aus. Aber vielleicht muss Verdi so sein. Wenn Bellincampi ihn interpretiert.

Dem Publikum gefällt’s. Es schwelgt. Besucherinnen und Besucher beklatschen Arien, Szenen, meist zu früh, egal, als ob sie zum ersten Mal Oper hören. Luisa Miller ist zwanzig Minuten lang gestorben, wenn man nicht eigentlich das ganze Stück von zweieinhalb Stunden rechnen will. Was also sollen negative Schlagzeilen bewirken? Gar nichts. Das Publikum feiert seine Oper, sein Ensemble, sein Orchester. Jetzt erst recht. Die Menschen erheben sich zum frenetischen Schlussapplaus. Hier in Duisburg herrscht ein ganz besonderer Geist. Jetzt gerade.

Michael S. Zerban

Fotos: Hans Jörg Michel