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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
15. Oktober 2011
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein,
Oper Duisburg


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Freiheit über alles

Francisco Goyas Hof der Irren zeigt auf einen Blick die Idee des Regisseurs, Carmen neu zu inszenieren. „Ein scharfes Licht, das den Raum eines in die Dunkelheit getauchten Stückes aufreißt, hat ebenso viel mit der Ästhetik  Goyas gemein wie mit dem Gefühl, das die Person Carmen in mir hervorruft“, sagt Carlos Wagner. Man darf sich also auf surreale Bilder und eine aufscheinende Carmen freuen. Und so sieht es dann in der Umsetzung aus: Rifail Ajdarpasic schafft eine Bühne, die eher an den Retrolook der 70-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Große Wände, in Felsoptik angemalt, sind so geschickt angeordnet, dass sich verschiedene hintereinander liegende Auftrittsebenen ergeben. Das Licht von Fabrice Kebour setzt Akzente im meist diffus ausgeleuchteten Bühnenraum. Permanent einströmender künstlicher Nebel verdüstert die Atmosphäre zusätzlich. Die Choreografie Ana Garcias könnte mit Sicherheit noch zur Spritzigkeit der Aufführung beitragen, muss aber bis zur Düsseldorfer Premiere im Dezember noch erheblich am synchronen Auftritt arbeiten. Die Kostüme Patrick Dutertres schwanken zwischen Egalität, bemühter Erotik und Tradition, irritieren zwischenzeitlich, weil Schmuggler und Ganoven im Stil französischer Geschäftsleute vergangener Jahrhunderte dargestellt werden und verlieren im letzten Akt, wenn Don José in blutverschmierter Metzgerschürze auftritt. Als Carmen stirbt, weil sie sich an einen Styropor-Stierkopf anlehnt, ist das untere Ende einer unglücklichen Inszenierung erreicht.

So könnte man sich als Zuschauer darüber ärgern, annähernd drei Stunden im Theater verbracht zu haben. Wäre da nicht die inhaltliche Idee Wagners: „Carmen sucht meiner Ansicht nach nicht die Liebe, sondern Freiheit. Freiheit ist für sie die absolute Lebensgrundlage sowohl für sich selbst als auch für alle anderen.“ Dieser Gedanke durchzieht die Inszenierung in jeder Sekunde. Hier steht und stimmt jeder Akzent. Das ist die Botschaft, und die nimmt das Publikum mit nach Hause. Freiheit bis zur letzten Konsequenz, auch wenn sie das Leben kostet. Ist Freiheit ein Menschenleben wert? Wagner sagt ja, und die aktuellen Geschehnisse in der Welt scheinen ihm recht zu geben. Dabei ist es, losgelöst aus zeitlichen Zusammenhängen, völlig egal, ob es sich um eine geschlechtsbezogene Freiheit handelt.

Isabelle Druet spielt die Carmen in dieser Hinsicht herausragend, wenngleich die tänzerischen Einlagen eher an krankhaft-konvulsivische Zuckungen erinnern. Ihr Gegenpart, Don José, ist ganz Tenor alter Schule. Bewegungsarm bemüht er sich um möglichst viel Ausdruck, auch wenn ihm manche Passagen nur näselnd gelingen. Damit liegt er aber immer noch weit vor Richard Šveda, der als Torero Escamillo weder stimmliche Varianz noch Volumen entwickelt, um seiner Rolle Glanz zu verleihen. Unglücklich auch Timo Rühonen, der seinen Bass eher brummend vermittelt, darstellerisch aber genauso unsympathisch herüberkommt, wie es seine Rolle als Leutnant Zugina verlangt. Herrlich hingegen Johannes Preißinger als Schmuggler Remendado. Immer wieder retardiert er und verleiht seiner Rolle so die ursprünglich zugeschriebene Komik. Auch bei den Frauen eher gemischte Erlebnisse. Eine strickende Micaëla? Stimmlich aber begeistert Anke Krabbe in jeder Nuance. Auch Iryna Vakula als Mercédès ist mit ihrem Sopran ihrer Rolle voll und ganz gewachsen, fügt sich darstellerisch gut in das Team ein. Wie immer überzeugend, liebevoll-ehrlich, anrührend natürlich, begeistert Alma Sadé, die seit dieser Spielzeit zum Ensemble gehört und dem Publikum in Zukunft mit Sicherheit noch viel geben wird: Sie spielt und singt eine wunderbare Frasquita.

Der Chor der Deutschen Oper am Rhein überzeugt in den Massenszenen in der Einstudierung von Gerhard Michalski. Ein ganz besonderes Kompliment gilt aber sicher dem Kinderchor am Rhein unter Leitung von Karoline Philippi! Wie selbstverständlich natürlich, leicht und sicher die Kinder antreten, sich reibungslos in den Ablauf einfügen, das ist schon eine Freude.

Mit vollem Körpereinsatz und großer Geste stürzt sich Axel Kober als Dirigent ins Geschehen. Rhythmisch versorgt er Chöre, Sänger und Orchester mit Einsatzhinweisen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Akzent dem Esprit der Melodie nicht geschadet hätte. Immerhin bleiben Dirigent und Duisburger Philharmoniker so in jeder Phase transparent, geben den Sängern Raum und spielen in gewohnter Präzision.

Das Duisburger Publikum präsentiert sich bester Laune.  Vom Arienapplaus über Bravo-Rufe bis letztlich zu standing ovations und Buh-Rufen für das Regie-Team gehen Zuschauerinnen und Zuschauer über die Länge der Distanz voll mit. Die abstrakte Idee von der Freiheit ist beim Publikum angekommen.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Hans-Jörg Michel
(Goyas Hof der Irren wurde dem Programmheft entnommen)